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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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von oben bis unten und schrieb hierauf einen freundlichen Schreibebrief an
den Herrn Minister, in welchem man ihm auseinandersetzte, wie überall kein
Grund vorliege, dem Schreiben des Herrn Ministers nachzukommen. Nach
den Verträgen der Regierung mit der guten Stadt Rostock habe die letztere
das Recht auf die Bewaffnung ihrer Bürger. Es sei jedenfalls an der Stelle
der Bürgerwehr eine neue Organisirung der wehrhaften Bürgerschaft nöthig;
dem scheine aber das Rescript entgegen treten zu wollen und werde daher
zunächst noch eine gefällige Erläuterung erbeten.

Der Herr Minister hatte mittlerweile schon zehnmal das Gesicht zum
Fenster hinausgesteckt. Die Frist war abgelaufen. "Kommen denn noch immer
nicht die Gewehre von der Rostocker Bürgergarde?"

Er wischte die goldene Brille, er guckte: richtig, sie kamen noch im¬
mer nicht.

Nun ward er aber ernstlich böse. Obendrein kam in diesem Augenblick
auch noch das obige, ihm höchst verdächtige Schreiben des Rostocker Ma¬
gistrats.

Ein neues Rescript ward entsendet! "So gewiß binnen nunmehr acht
Tagen nach Schwerin anzuzeigen, daß und in welcher Weise die Bürgerwehr
aufgelöst worden, als sonst das Ministerium unverzüglich diese Auflösung
Und die damit verbundenen Maßnahmen selbst ins Werk setzen wird."

Ja, das verschlug! Die Herren vom Rath in Rostock wurden schier
bedenklich; sie steckten die Köpfe zusammen. Es ward weitere Verhandlung
Mit der Bürgerschaft beschlossen.

Man überlegte.

Die Männer der Vorsicht meinten: "Er kommt uns mit Militärmacht."
Die Männer der That erwiderten: "Mag Er kommen; die Ehre der Stadt
^fordert die Anwendung des Zwanges."

Man rieth, sich mit der beliebten Clausel zu behelfen, die schon oft
hatte helfen müssen. Und richtig! Man beschloß die vortreffliche Clausel:
"Mit Vorbehalt der Rechte der Stadt" dem Ministerium von der Auflösung
Bürgerwehr Anzeige zu machen.

Aber die Gewehre? Die sollten auf keinen Fall nach Schwerin aus¬
liefert werden. Ganz sachte wollte man die Waffen nach Hamburg senden;
°re sollten sie einstweilen zur Disposition der Stadt bleiben.

Schade! Der Minister hatte sich doch so herzlich darauf gefreut, den
^nten Rostockern die Gewehre im Zeughaus "einstweilen sicher aufzu¬
bewahren".

Während er noch so recht sehnsüchtig nach den tausend Stück Gewehren
auslugte, fuhren die Waffen Schwerin an der Nase vorbei, lustig nach Harn-


von oben bis unten und schrieb hierauf einen freundlichen Schreibebrief an
den Herrn Minister, in welchem man ihm auseinandersetzte, wie überall kein
Grund vorliege, dem Schreiben des Herrn Ministers nachzukommen. Nach
den Verträgen der Regierung mit der guten Stadt Rostock habe die letztere
das Recht auf die Bewaffnung ihrer Bürger. Es sei jedenfalls an der Stelle
der Bürgerwehr eine neue Organisirung der wehrhaften Bürgerschaft nöthig;
dem scheine aber das Rescript entgegen treten zu wollen und werde daher
zunächst noch eine gefällige Erläuterung erbeten.

Der Herr Minister hatte mittlerweile schon zehnmal das Gesicht zum
Fenster hinausgesteckt. Die Frist war abgelaufen. „Kommen denn noch immer
nicht die Gewehre von der Rostocker Bürgergarde?"

Er wischte die goldene Brille, er guckte: richtig, sie kamen noch im¬
mer nicht.

Nun ward er aber ernstlich böse. Obendrein kam in diesem Augenblick
auch noch das obige, ihm höchst verdächtige Schreiben des Rostocker Ma¬
gistrats.

Ein neues Rescript ward entsendet! „So gewiß binnen nunmehr acht
Tagen nach Schwerin anzuzeigen, daß und in welcher Weise die Bürgerwehr
aufgelöst worden, als sonst das Ministerium unverzüglich diese Auflösung
Und die damit verbundenen Maßnahmen selbst ins Werk setzen wird."

Ja, das verschlug! Die Herren vom Rath in Rostock wurden schier
bedenklich; sie steckten die Köpfe zusammen. Es ward weitere Verhandlung
Mit der Bürgerschaft beschlossen.

Man überlegte.

Die Männer der Vorsicht meinten: „Er kommt uns mit Militärmacht."
Die Männer der That erwiderten: „Mag Er kommen; die Ehre der Stadt
^fordert die Anwendung des Zwanges."

Man rieth, sich mit der beliebten Clausel zu behelfen, die schon oft
hatte helfen müssen. Und richtig! Man beschloß die vortreffliche Clausel:
»Mit Vorbehalt der Rechte der Stadt" dem Ministerium von der Auflösung
Bürgerwehr Anzeige zu machen.

Aber die Gewehre? Die sollten auf keinen Fall nach Schwerin aus¬
liefert werden. Ganz sachte wollte man die Waffen nach Hamburg senden;
°re sollten sie einstweilen zur Disposition der Stadt bleiben.

Schade! Der Minister hatte sich doch so herzlich darauf gefreut, den
^nten Rostockern die Gewehre im Zeughaus „einstweilen sicher aufzu¬
bewahren".

Während er noch so recht sehnsüchtig nach den tausend Stück Gewehren
auslugte, fuhren die Waffen Schwerin an der Nase vorbei, lustig nach Harn-


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[0153] von oben bis unten und schrieb hierauf einen freundlichen Schreibebrief an den Herrn Minister, in welchem man ihm auseinandersetzte, wie überall kein Grund vorliege, dem Schreiben des Herrn Ministers nachzukommen. Nach den Verträgen der Regierung mit der guten Stadt Rostock habe die letztere das Recht auf die Bewaffnung ihrer Bürger. Es sei jedenfalls an der Stelle der Bürgerwehr eine neue Organisirung der wehrhaften Bürgerschaft nöthig; dem scheine aber das Rescript entgegen treten zu wollen und werde daher zunächst noch eine gefällige Erläuterung erbeten. Der Herr Minister hatte mittlerweile schon zehnmal das Gesicht zum Fenster hinausgesteckt. Die Frist war abgelaufen. „Kommen denn noch immer nicht die Gewehre von der Rostocker Bürgergarde?" Er wischte die goldene Brille, er guckte: richtig, sie kamen noch im¬ mer nicht. Nun ward er aber ernstlich böse. Obendrein kam in diesem Augenblick auch noch das obige, ihm höchst verdächtige Schreiben des Rostocker Ma¬ gistrats. Ein neues Rescript ward entsendet! „So gewiß binnen nunmehr acht Tagen nach Schwerin anzuzeigen, daß und in welcher Weise die Bürgerwehr aufgelöst worden, als sonst das Ministerium unverzüglich diese Auflösung Und die damit verbundenen Maßnahmen selbst ins Werk setzen wird." Ja, das verschlug! Die Herren vom Rath in Rostock wurden schier bedenklich; sie steckten die Köpfe zusammen. Es ward weitere Verhandlung Mit der Bürgerschaft beschlossen. Man überlegte. Die Männer der Vorsicht meinten: „Er kommt uns mit Militärmacht." Die Männer der That erwiderten: „Mag Er kommen; die Ehre der Stadt ^fordert die Anwendung des Zwanges." Man rieth, sich mit der beliebten Clausel zu behelfen, die schon oft hatte helfen müssen. Und richtig! Man beschloß die vortreffliche Clausel: »Mit Vorbehalt der Rechte der Stadt" dem Ministerium von der Auflösung Bürgerwehr Anzeige zu machen. Aber die Gewehre? Die sollten auf keinen Fall nach Schwerin aus¬ liefert werden. Ganz sachte wollte man die Waffen nach Hamburg senden; °re sollten sie einstweilen zur Disposition der Stadt bleiben. Schade! Der Minister hatte sich doch so herzlich darauf gefreut, den ^nten Rostockern die Gewehre im Zeughaus „einstweilen sicher aufzu¬ bewahren". Während er noch so recht sehnsüchtig nach den tausend Stück Gewehren auslugte, fuhren die Waffen Schwerin an der Nase vorbei, lustig nach Harn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/153>, abgerufen am 27.07.2024.