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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Byron und nach ihm Chambers haben das Gedicht eine Ode ge¬
nannt, und wir können uns diese Bezeichnung des pathetischen Ausdrucks we¬
gen, den der Dichter seinem Stoffe angedeihen läßt, gefallen lassen; da aber
dieser Ausdruck nicht einem Gegenstande, sondern einer Begebenheit
zutheil wird, so würde man die Benennung durch den Zusatz "episch" prä-
cisiren müssen, und wir würden uns durch die Bezeichnung "epische Ode"
einer eoutlaZietiv in aHseto nicht mehr schuldig machen, als wenn wir von
epischer Lyrik oder lyrischer Epik überhaupt reden. Schon das mit dem Reim
verbundene anapästisch-logaödische Metrum entspricht weder nach altclassischen
noch nach unsern modernen Begriffen dem Wesen der Ode, sondern erinnert
mit seinen vier Hebungen und unterschiedlichen Senkungen in jedem Verse
vielmehr an den episch-lyrischen Ton, wie er sich in Deutschland auf dem
Fundamente des mittelalterlichen Epos durch Goethe's "Erlkönig" und
Uhland's hierher gehörige Dichtungen herausgebildet hat. In der epischen
Lyrik möchte ich aber mit Theodor Echtermeyer dem hierin auch
Heinrich Kurz**) gefolgt ist, von der Ballade, die dem mythischen Epen-
kreise (Edda), und von der Romanze, die dem romantischen Kunstepos (Parcival)
entspricht, die Rhapsodie trennen, die mit dem heroischen Epos (Nibelungen'
lieb) correspondirt. Das Element der Rhapsodie ist die Tapferkeit der
historischen Welt. So wie die Ballade mysteriös und tragisch, die Romanze
hell und ethisch, so ist die Rhapsodie, auch wo sie den Untergang darstellt,
klar und markig. Der Stoff der Rhapsodie ist das gesammte Heldenleben
aller Völker; sie schließt sich aber vorzugsweise an die Geschichte des Volkes
an, in dem sie entsteht, und bewahrt dadurch ein nationales Interesse. Der
Form nach erfordert sie den klaren und ruhigen Fluß der epischen Darstel¬
lung, dem das Pathos durchaus nicht fremd ist, wie das Mustergedicht dieser
Gattung in Deutschland, "Des Sängers Fluch" von Uhland. veranschau¬
licht. -- Dieser Charakteristik entspricht vollkommen Wolfe's "Tlnz Lurial",
und so entscheide ich mich ohne Bedenken dafür, das Gedicht den Rhapsodien
beizugesellen.

Da ich das Metrische schon berührt habe, so wenden wir uns nun von
der Betrachtung des Stoffs und der Form zu der dichterischen Composition-




"Unsere Balladen- und Romanzen-Poesie", eine sehr beachtenswerthe, bereits früher
von Theodor Echtermeyer veröffentlichte Abhandlung, die von der zweiten Aufl. an (Halle 1839)
jeder von desselben Verf. "Auswahl deutscher Gedichte" einverleibt war bis zur 11. Auflage
(Halle 1861); spätere Herausgeber des bekannten Schulbuches haben diese Abhandlung des in¬
zwischen verstorbenen (1844) Echtermeyer leider nicht wieder mit abdrucken lassen.
*) Commentar zu seinem "Handbuch der poetischen Nationalliteratur der Deutsche""
(Zürich 1842) S. 377. -- "Geschichte der deutschen Literatur." Bd. III. (Leipzig 1859 u. ö.)
S. 3S3 a., 358 b.

Byron und nach ihm Chambers haben das Gedicht eine Ode ge¬
nannt, und wir können uns diese Bezeichnung des pathetischen Ausdrucks we¬
gen, den der Dichter seinem Stoffe angedeihen läßt, gefallen lassen; da aber
dieser Ausdruck nicht einem Gegenstande, sondern einer Begebenheit
zutheil wird, so würde man die Benennung durch den Zusatz „episch" prä-
cisiren müssen, und wir würden uns durch die Bezeichnung „epische Ode"
einer eoutlaZietiv in aHseto nicht mehr schuldig machen, als wenn wir von
epischer Lyrik oder lyrischer Epik überhaupt reden. Schon das mit dem Reim
verbundene anapästisch-logaödische Metrum entspricht weder nach altclassischen
noch nach unsern modernen Begriffen dem Wesen der Ode, sondern erinnert
mit seinen vier Hebungen und unterschiedlichen Senkungen in jedem Verse
vielmehr an den episch-lyrischen Ton, wie er sich in Deutschland auf dem
Fundamente des mittelalterlichen Epos durch Goethe's „Erlkönig" und
Uhland's hierher gehörige Dichtungen herausgebildet hat. In der epischen
Lyrik möchte ich aber mit Theodor Echtermeyer dem hierin auch
Heinrich Kurz**) gefolgt ist, von der Ballade, die dem mythischen Epen-
kreise (Edda), und von der Romanze, die dem romantischen Kunstepos (Parcival)
entspricht, die Rhapsodie trennen, die mit dem heroischen Epos (Nibelungen'
lieb) correspondirt. Das Element der Rhapsodie ist die Tapferkeit der
historischen Welt. So wie die Ballade mysteriös und tragisch, die Romanze
hell und ethisch, so ist die Rhapsodie, auch wo sie den Untergang darstellt,
klar und markig. Der Stoff der Rhapsodie ist das gesammte Heldenleben
aller Völker; sie schließt sich aber vorzugsweise an die Geschichte des Volkes
an, in dem sie entsteht, und bewahrt dadurch ein nationales Interesse. Der
Form nach erfordert sie den klaren und ruhigen Fluß der epischen Darstel¬
lung, dem das Pathos durchaus nicht fremd ist, wie das Mustergedicht dieser
Gattung in Deutschland, „Des Sängers Fluch" von Uhland. veranschau¬
licht. — Dieser Charakteristik entspricht vollkommen Wolfe's „Tlnz Lurial",
und so entscheide ich mich ohne Bedenken dafür, das Gedicht den Rhapsodien
beizugesellen.

Da ich das Metrische schon berührt habe, so wenden wir uns nun von
der Betrachtung des Stoffs und der Form zu der dichterischen Composition-




„Unsere Balladen- und Romanzen-Poesie", eine sehr beachtenswerthe, bereits früher
von Theodor Echtermeyer veröffentlichte Abhandlung, die von der zweiten Aufl. an (Halle 1839)
jeder von desselben Verf. „Auswahl deutscher Gedichte" einverleibt war bis zur 11. Auflage
(Halle 1861); spätere Herausgeber des bekannten Schulbuches haben diese Abhandlung des in¬
zwischen verstorbenen (1844) Echtermeyer leider nicht wieder mit abdrucken lassen.
*) Commentar zu seinem „Handbuch der poetischen Nationalliteratur der Deutsche»"
(Zürich 1842) S. 377. — „Geschichte der deutschen Literatur." Bd. III. (Leipzig 1859 u. ö.)
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[0142] Byron und nach ihm Chambers haben das Gedicht eine Ode ge¬ nannt, und wir können uns diese Bezeichnung des pathetischen Ausdrucks we¬ gen, den der Dichter seinem Stoffe angedeihen läßt, gefallen lassen; da aber dieser Ausdruck nicht einem Gegenstande, sondern einer Begebenheit zutheil wird, so würde man die Benennung durch den Zusatz „episch" prä- cisiren müssen, und wir würden uns durch die Bezeichnung „epische Ode" einer eoutlaZietiv in aHseto nicht mehr schuldig machen, als wenn wir von epischer Lyrik oder lyrischer Epik überhaupt reden. Schon das mit dem Reim verbundene anapästisch-logaödische Metrum entspricht weder nach altclassischen noch nach unsern modernen Begriffen dem Wesen der Ode, sondern erinnert mit seinen vier Hebungen und unterschiedlichen Senkungen in jedem Verse vielmehr an den episch-lyrischen Ton, wie er sich in Deutschland auf dem Fundamente des mittelalterlichen Epos durch Goethe's „Erlkönig" und Uhland's hierher gehörige Dichtungen herausgebildet hat. In der epischen Lyrik möchte ich aber mit Theodor Echtermeyer dem hierin auch Heinrich Kurz**) gefolgt ist, von der Ballade, die dem mythischen Epen- kreise (Edda), und von der Romanze, die dem romantischen Kunstepos (Parcival) entspricht, die Rhapsodie trennen, die mit dem heroischen Epos (Nibelungen' lieb) correspondirt. Das Element der Rhapsodie ist die Tapferkeit der historischen Welt. So wie die Ballade mysteriös und tragisch, die Romanze hell und ethisch, so ist die Rhapsodie, auch wo sie den Untergang darstellt, klar und markig. Der Stoff der Rhapsodie ist das gesammte Heldenleben aller Völker; sie schließt sich aber vorzugsweise an die Geschichte des Volkes an, in dem sie entsteht, und bewahrt dadurch ein nationales Interesse. Der Form nach erfordert sie den klaren und ruhigen Fluß der epischen Darstel¬ lung, dem das Pathos durchaus nicht fremd ist, wie das Mustergedicht dieser Gattung in Deutschland, „Des Sängers Fluch" von Uhland. veranschau¬ licht. — Dieser Charakteristik entspricht vollkommen Wolfe's „Tlnz Lurial", und so entscheide ich mich ohne Bedenken dafür, das Gedicht den Rhapsodien beizugesellen. Da ich das Metrische schon berührt habe, so wenden wir uns nun von der Betrachtung des Stoffs und der Form zu der dichterischen Composition- „Unsere Balladen- und Romanzen-Poesie", eine sehr beachtenswerthe, bereits früher von Theodor Echtermeyer veröffentlichte Abhandlung, die von der zweiten Aufl. an (Halle 1839) jeder von desselben Verf. „Auswahl deutscher Gedichte" einverleibt war bis zur 11. Auflage (Halle 1861); spätere Herausgeber des bekannten Schulbuches haben diese Abhandlung des in¬ zwischen verstorbenen (1844) Echtermeyer leider nicht wieder mit abdrucken lassen. *) Commentar zu seinem „Handbuch der poetischen Nationalliteratur der Deutsche»" (Zürich 1842) S. 377. — „Geschichte der deutschen Literatur." Bd. III. (Leipzig 1859 u. ö.) S. 3S3 a., 358 b.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/142>, abgerufen am 29.12.2024.