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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Errichtung einer förmlichen Bürgergarde regelte. Eine Volksversammlung
ward berufen; über Montur und Waffen sollte dort das Weitere geplant
werden. In dieser Versammlung platzten aber-die Geister aufeinander. Die
Einen hielten einen Säbel für unnöthig, als Schutzwaffe sei der Säbel nicht
wohl zu denken, "denn vor einem Handgemenge mit dem Säbel werde der
Himmel die Bürgergarde gnädig bewahren." Die Andern stimmten für den
Säbel; namentlich die braven Freiwilligen von 1813 , die alten Haudegen,
die den Gebrauch des Säbels aus der eigenen Praxis kannten und ihn wohl
zu führen gedachten. Die Einen wollten blaues Tuch, die Andern grünes
Tuch zur Uniform, aber.aus keinen Fall russisch Grün; Alle waren sie einig
im Haß gegen den Moscowiter. Die eine Partei wünschte dies , die andere
das, -- es galt hier schon der verzweifelte Schmerzensruf, den ein Freund
der Bürgerwehr später ausstieß: "Dergleichen verschiedene Sinne bringe nun
einmal Einer unter das gleiche Käppi!"

Bei den Meisten freilich wollte in den nächsten Wochen schon die Be¬
geisterung merklich abkühlen. Die tapferen 671 Männer und Familienväter,
welche ihren Namen so begeistert in die Liste eingezeichnet hatten, wo steckten
sie auf einmal? Die Meisten waren nirgends zu sehen. Ueber diese saum¬
seligen ereiferte sich namentlich ein alter Vicekanzleidirector, der mit jugend¬
lichem Feuer der guten Sache diente; er schalt öffentlich in der Zeitung über
diese Helden, die ihn und die wenigen Getreuen allein exerciren ließen. Es
erschienen nämlich bei den öffentlichen Exercitien höchstens 30 Mann, dies
Mal der Eine, das nächste Mal ein Anderer. "Es ist sehr zu befürchten",
ruft der alte Vieekanzleidirektor jammernd, "daß die Rostocker Bürgergarde
bei ihrem ersten öffentlichen Auftreten entweder durch die Mängel ihrer äußern
militärischen Haltung oder auch durch unrichtige Ausführung des Commandos
leicht die Heiterkeit der Straßenjungen erregen könnte."

Inzwischen suchte der Magistrat der sinkenden Begeisterung etwas nach¬
zuhelfen. Es erschien am 7. April eine Verordnung des Rathes, welche ein
festes Corps von 800 Mann, in acht Compagnien, von je 100 Mann ge¬
theilt, gründete,. und den Dienst der Bürgerwehr einem jeden Bürger zur
Pflicht machte, sobald er noch nicht das SOste Lebensjahr überschritten hatte-
Die Dienstzeit ward auf drei Jahre festgestellt; die Montur sollte jeder
Bürger auf eigene Kosten sich anschaffen, dagegen wollte die Stadt die
nöthigen Waffen, -- Flinte, Säbel und Patrontasche, -- jedem Bürger
kostenfrei liefern. Um diese Zeit war die Uniform der Bürgergardisten in
der Plenarversammlung im Allgemeinen berathen worden. Man hatte hieraus
eine Commission zur Organisation der Bürgergarde ernannt. Dieselbe trat
mit einem detaillirten Entwurf über die Uniform hervor, welcher wieder in
einer Plenarversammlung berathen wurde. Nur einige wenige Abänderungen


Errichtung einer förmlichen Bürgergarde regelte. Eine Volksversammlung
ward berufen; über Montur und Waffen sollte dort das Weitere geplant
werden. In dieser Versammlung platzten aber-die Geister aufeinander. Die
Einen hielten einen Säbel für unnöthig, als Schutzwaffe sei der Säbel nicht
wohl zu denken, „denn vor einem Handgemenge mit dem Säbel werde der
Himmel die Bürgergarde gnädig bewahren." Die Andern stimmten für den
Säbel; namentlich die braven Freiwilligen von 1813 , die alten Haudegen,
die den Gebrauch des Säbels aus der eigenen Praxis kannten und ihn wohl
zu führen gedachten. Die Einen wollten blaues Tuch, die Andern grünes
Tuch zur Uniform, aber.aus keinen Fall russisch Grün; Alle waren sie einig
im Haß gegen den Moscowiter. Die eine Partei wünschte dies , die andere
das, — es galt hier schon der verzweifelte Schmerzensruf, den ein Freund
der Bürgerwehr später ausstieß: „Dergleichen verschiedene Sinne bringe nun
einmal Einer unter das gleiche Käppi!"

Bei den Meisten freilich wollte in den nächsten Wochen schon die Be¬
geisterung merklich abkühlen. Die tapferen 671 Männer und Familienväter,
welche ihren Namen so begeistert in die Liste eingezeichnet hatten, wo steckten
sie auf einmal? Die Meisten waren nirgends zu sehen. Ueber diese saum¬
seligen ereiferte sich namentlich ein alter Vicekanzleidirector, der mit jugend¬
lichem Feuer der guten Sache diente; er schalt öffentlich in der Zeitung über
diese Helden, die ihn und die wenigen Getreuen allein exerciren ließen. Es
erschienen nämlich bei den öffentlichen Exercitien höchstens 30 Mann, dies
Mal der Eine, das nächste Mal ein Anderer. „Es ist sehr zu befürchten",
ruft der alte Vieekanzleidirektor jammernd, „daß die Rostocker Bürgergarde
bei ihrem ersten öffentlichen Auftreten entweder durch die Mängel ihrer äußern
militärischen Haltung oder auch durch unrichtige Ausführung des Commandos
leicht die Heiterkeit der Straßenjungen erregen könnte."

Inzwischen suchte der Magistrat der sinkenden Begeisterung etwas nach¬
zuhelfen. Es erschien am 7. April eine Verordnung des Rathes, welche ein
festes Corps von 800 Mann, in acht Compagnien, von je 100 Mann ge¬
theilt, gründete,. und den Dienst der Bürgerwehr einem jeden Bürger zur
Pflicht machte, sobald er noch nicht das SOste Lebensjahr überschritten hatte-
Die Dienstzeit ward auf drei Jahre festgestellt; die Montur sollte jeder
Bürger auf eigene Kosten sich anschaffen, dagegen wollte die Stadt die
nöthigen Waffen, — Flinte, Säbel und Patrontasche, — jedem Bürger
kostenfrei liefern. Um diese Zeit war die Uniform der Bürgergardisten in
der Plenarversammlung im Allgemeinen berathen worden. Man hatte hieraus
eine Commission zur Organisation der Bürgergarde ernannt. Dieselbe trat
mit einem detaillirten Entwurf über die Uniform hervor, welcher wieder in
einer Plenarversammlung berathen wurde. Nur einige wenige Abänderungen


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[0118] Errichtung einer förmlichen Bürgergarde regelte. Eine Volksversammlung ward berufen; über Montur und Waffen sollte dort das Weitere geplant werden. In dieser Versammlung platzten aber-die Geister aufeinander. Die Einen hielten einen Säbel für unnöthig, als Schutzwaffe sei der Säbel nicht wohl zu denken, „denn vor einem Handgemenge mit dem Säbel werde der Himmel die Bürgergarde gnädig bewahren." Die Andern stimmten für den Säbel; namentlich die braven Freiwilligen von 1813 , die alten Haudegen, die den Gebrauch des Säbels aus der eigenen Praxis kannten und ihn wohl zu führen gedachten. Die Einen wollten blaues Tuch, die Andern grünes Tuch zur Uniform, aber.aus keinen Fall russisch Grün; Alle waren sie einig im Haß gegen den Moscowiter. Die eine Partei wünschte dies , die andere das, — es galt hier schon der verzweifelte Schmerzensruf, den ein Freund der Bürgerwehr später ausstieß: „Dergleichen verschiedene Sinne bringe nun einmal Einer unter das gleiche Käppi!" Bei den Meisten freilich wollte in den nächsten Wochen schon die Be¬ geisterung merklich abkühlen. Die tapferen 671 Männer und Familienväter, welche ihren Namen so begeistert in die Liste eingezeichnet hatten, wo steckten sie auf einmal? Die Meisten waren nirgends zu sehen. Ueber diese saum¬ seligen ereiferte sich namentlich ein alter Vicekanzleidirector, der mit jugend¬ lichem Feuer der guten Sache diente; er schalt öffentlich in der Zeitung über diese Helden, die ihn und die wenigen Getreuen allein exerciren ließen. Es erschienen nämlich bei den öffentlichen Exercitien höchstens 30 Mann, dies Mal der Eine, das nächste Mal ein Anderer. „Es ist sehr zu befürchten", ruft der alte Vieekanzleidirektor jammernd, „daß die Rostocker Bürgergarde bei ihrem ersten öffentlichen Auftreten entweder durch die Mängel ihrer äußern militärischen Haltung oder auch durch unrichtige Ausführung des Commandos leicht die Heiterkeit der Straßenjungen erregen könnte." Inzwischen suchte der Magistrat der sinkenden Begeisterung etwas nach¬ zuhelfen. Es erschien am 7. April eine Verordnung des Rathes, welche ein festes Corps von 800 Mann, in acht Compagnien, von je 100 Mann ge¬ theilt, gründete,. und den Dienst der Bürgerwehr einem jeden Bürger zur Pflicht machte, sobald er noch nicht das SOste Lebensjahr überschritten hatte- Die Dienstzeit ward auf drei Jahre festgestellt; die Montur sollte jeder Bürger auf eigene Kosten sich anschaffen, dagegen wollte die Stadt die nöthigen Waffen, — Flinte, Säbel und Patrontasche, — jedem Bürger kostenfrei liefern. Um diese Zeit war die Uniform der Bürgergardisten in der Plenarversammlung im Allgemeinen berathen worden. Man hatte hieraus eine Commission zur Organisation der Bürgergarde ernannt. Dieselbe trat mit einem detaillirten Entwurf über die Uniform hervor, welcher wieder in einer Plenarversammlung berathen wurde. Nur einige wenige Abänderungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/118>, abgerufen am 27.07.2024.