Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

reichlichem Maße im Lande vorräthig. so daß hier unter sehr günstigen
Bedingungen fabrizirt werden konnte. Und so machten unsere Lohgerber
schon früher recht brave Geschäfte auf der Leipziger Messe, wie auch noch
heute. Doch Hauptsache war der Ackerbau und die Viehzucht, und Haupt¬
artikel unsers Exports waren Getreide. Pferde, Rindvieh. Schafe und
Schweine. Unsere Jahrmärkte waren stets massenhaft besucht von aus- und
inländischen Getreide, und Viehhändlern, vorzüglich aber von israelitischen
Pferde-, und belgischen und französischen "Schweinkäufern", wie die Leute
hier genannt werden.

Und wie der Export, so der Import. Beim Import machten die
Colonialwaaren die Hauptsache aus. Das Volk kleidete sich meistens noch in
selbstgewonnenes, selbstgesponnenes und selbstgewebtes Zeug, welches seinen
besten Glanz beim Blaufärber erhalten hatte. Blauleinene Hosen und em
blauleinener Kittel dazu war das gewöhnliche Nationalkostüm bei uns.

Der Leser begreift, daß. bet einer solchen fast patriarchalischen Einfachheit
das Geld nicht in üm-ihn" bei uns zu sein brauchte, und bei unserer elementaren
Industrie auch wohl nicht in UM'idus sein konnte. Wozu hätten wir damals
große Bankinstitute gebraucht. Es genügte reichlich an den Herren Notaren
und Advokaten, um den guten Bauern, die sich da schinden lassen wollten, das
Fell über die Ohren zu ziehen. Große Kapitalisten, die ihren Vortheil auch
damals schon verstehen mochten, sahen in unserm isolirten Ländchen nichts,
was sie hätte in Versuchung führen können, ihr Geld bei diesem oder jenem
Unternehmen zu riskiren, das etwa erst nach langen Jahren rentabel werden
s^te. Unsere großen Schätze, die besten Reichthümer des Landes, unsere
Eisenerze und prachtvollen Hau- und Pflastersteine mußten ungeschätzt und
unbenutzt in der Erde liegen. Die gehaltvollen Bohnenerze, die man nur
zusammenzuschaufeln und zu waschen brauchte, um sie nach dem Schmelzofen
^ bringen, machten den guten Bauern nur Verdruß und entwertheten ihr
Erdreich. Die paar Hüttenwerke, welche unter solch günstigen Verhältnissen
ins Leben gerufen wurden, kamen nicht fort. Sie vegetirten und verkümmerten.
^ fehlte uns an Verkehrsmitteln mit der Außenwelt. Wir standen isolirt
von dem übrigen großen europäischen Körper, und die reichen Verkehrsadern
desselben pulsirten nicht in unserm industriellen Organismus, dank dem alten
heillosen Schlendrian der leitenden Gewalten bei uns. Das war, wie
unsere Pastoren meinen, die goldene, paradiesische Zeit, die Zeit der Unschuld
und des kindlichen Glaubens und Gehorsams. Für die guten Herren mag
allerdings die Zeit viel von einem goldenen Paradiese (wie es Pater von
Eochem in seinen "vier letzten Dingen" so lebhaft schildert) gehabt haben. Das
eiserne Zeitalter war es jedenfalls noch nicht, das sollte uns erst der deutsche
Zollverein bringen, und zwar zugleich mit den Eisenbahnen, dieser verruchten


reichlichem Maße im Lande vorräthig. so daß hier unter sehr günstigen
Bedingungen fabrizirt werden konnte. Und so machten unsere Lohgerber
schon früher recht brave Geschäfte auf der Leipziger Messe, wie auch noch
heute. Doch Hauptsache war der Ackerbau und die Viehzucht, und Haupt¬
artikel unsers Exports waren Getreide. Pferde, Rindvieh. Schafe und
Schweine. Unsere Jahrmärkte waren stets massenhaft besucht von aus- und
inländischen Getreide, und Viehhändlern, vorzüglich aber von israelitischen
Pferde-, und belgischen und französischen „Schweinkäufern", wie die Leute
hier genannt werden.

Und wie der Export, so der Import. Beim Import machten die
Colonialwaaren die Hauptsache aus. Das Volk kleidete sich meistens noch in
selbstgewonnenes, selbstgesponnenes und selbstgewebtes Zeug, welches seinen
besten Glanz beim Blaufärber erhalten hatte. Blauleinene Hosen und em
blauleinener Kittel dazu war das gewöhnliche Nationalkostüm bei uns.

Der Leser begreift, daß. bet einer solchen fast patriarchalischen Einfachheit
das Geld nicht in üm-ihn» bei uns zu sein brauchte, und bei unserer elementaren
Industrie auch wohl nicht in UM'idus sein konnte. Wozu hätten wir damals
große Bankinstitute gebraucht. Es genügte reichlich an den Herren Notaren
und Advokaten, um den guten Bauern, die sich da schinden lassen wollten, das
Fell über die Ohren zu ziehen. Große Kapitalisten, die ihren Vortheil auch
damals schon verstehen mochten, sahen in unserm isolirten Ländchen nichts,
was sie hätte in Versuchung führen können, ihr Geld bei diesem oder jenem
Unternehmen zu riskiren, das etwa erst nach langen Jahren rentabel werden
s^te. Unsere großen Schätze, die besten Reichthümer des Landes, unsere
Eisenerze und prachtvollen Hau- und Pflastersteine mußten ungeschätzt und
unbenutzt in der Erde liegen. Die gehaltvollen Bohnenerze, die man nur
zusammenzuschaufeln und zu waschen brauchte, um sie nach dem Schmelzofen
^ bringen, machten den guten Bauern nur Verdruß und entwertheten ihr
Erdreich. Die paar Hüttenwerke, welche unter solch günstigen Verhältnissen
ins Leben gerufen wurden, kamen nicht fort. Sie vegetirten und verkümmerten.
^ fehlte uns an Verkehrsmitteln mit der Außenwelt. Wir standen isolirt
von dem übrigen großen europäischen Körper, und die reichen Verkehrsadern
desselben pulsirten nicht in unserm industriellen Organismus, dank dem alten
heillosen Schlendrian der leitenden Gewalten bei uns. Das war, wie
unsere Pastoren meinen, die goldene, paradiesische Zeit, die Zeit der Unschuld
und des kindlichen Glaubens und Gehorsams. Für die guten Herren mag
allerdings die Zeit viel von einem goldenen Paradiese (wie es Pater von
Eochem in seinen „vier letzten Dingen« so lebhaft schildert) gehabt haben. Das
eiserne Zeitalter war es jedenfalls noch nicht, das sollte uns erst der deutsche
Zollverein bringen, und zwar zugleich mit den Eisenbahnen, dieser verruchten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132335"/>
          <p xml:id="ID_331" prev="#ID_330"> reichlichem Maße im Lande vorräthig. so daß hier unter sehr günstigen<lb/>
Bedingungen fabrizirt werden konnte. Und so machten unsere Lohgerber<lb/>
schon früher recht brave Geschäfte auf der Leipziger Messe, wie auch noch<lb/>
heute. Doch Hauptsache war der Ackerbau und die Viehzucht, und Haupt¬<lb/>
artikel unsers Exports waren Getreide. Pferde, Rindvieh. Schafe und<lb/>
Schweine. Unsere Jahrmärkte waren stets massenhaft besucht von aus- und<lb/>
inländischen Getreide, und Viehhändlern, vorzüglich aber von israelitischen<lb/>
Pferde-, und belgischen und französischen &#x201E;Schweinkäufern", wie die Leute<lb/>
hier genannt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_332"> Und wie der Export, so der Import. Beim Import machten die<lb/>
Colonialwaaren die Hauptsache aus. Das Volk kleidete sich meistens noch in<lb/>
selbstgewonnenes, selbstgesponnenes und selbstgewebtes Zeug, welches seinen<lb/>
besten Glanz beim Blaufärber erhalten hatte. Blauleinene Hosen und em<lb/>
blauleinener Kittel dazu war das gewöhnliche Nationalkostüm bei uns.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_333" next="#ID_334"> Der Leser begreift, daß. bet einer solchen fast patriarchalischen Einfachheit<lb/>
das Geld nicht in üm-ihn» bei uns zu sein brauchte, und bei unserer elementaren<lb/>
Industrie auch wohl nicht in UM'idus sein konnte. Wozu hätten wir damals<lb/>
große Bankinstitute gebraucht. Es genügte reichlich an den Herren Notaren<lb/>
und Advokaten, um den guten Bauern, die sich da schinden lassen wollten, das<lb/>
Fell über die Ohren zu ziehen. Große Kapitalisten, die ihren Vortheil auch<lb/>
damals schon verstehen mochten, sahen in unserm isolirten Ländchen nichts,<lb/>
was sie hätte in Versuchung führen können, ihr Geld bei diesem oder jenem<lb/>
Unternehmen zu riskiren, das etwa erst nach langen Jahren rentabel werden<lb/>
s^te. Unsere großen Schätze, die besten Reichthümer des Landes, unsere<lb/>
Eisenerze und prachtvollen Hau- und Pflastersteine mußten ungeschätzt und<lb/>
unbenutzt in der Erde liegen. Die gehaltvollen Bohnenerze, die man nur<lb/>
zusammenzuschaufeln und zu waschen brauchte, um sie nach dem Schmelzofen<lb/>
^ bringen, machten den guten Bauern nur Verdruß und entwertheten ihr<lb/>
Erdreich. Die paar Hüttenwerke, welche unter solch günstigen Verhältnissen<lb/>
ins Leben gerufen wurden, kamen nicht fort. Sie vegetirten und verkümmerten.<lb/>
^ fehlte uns an Verkehrsmitteln mit der Außenwelt. Wir standen isolirt<lb/>
von dem übrigen großen europäischen Körper, und die reichen Verkehrsadern<lb/>
desselben pulsirten nicht in unserm industriellen Organismus, dank dem alten<lb/>
heillosen Schlendrian der leitenden Gewalten bei uns. Das war, wie<lb/>
unsere Pastoren meinen, die goldene, paradiesische Zeit, die Zeit der Unschuld<lb/>
und des kindlichen Glaubens und Gehorsams. Für die guten Herren mag<lb/>
allerdings die Zeit viel von einem goldenen Paradiese (wie es Pater von<lb/>
Eochem in seinen &#x201E;vier letzten Dingen« so lebhaft schildert) gehabt haben. Das<lb/>
eiserne Zeitalter war es jedenfalls noch nicht, das sollte uns erst der deutsche<lb/>
Zollverein bringen, und zwar zugleich mit den Eisenbahnen, dieser verruchten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] reichlichem Maße im Lande vorräthig. so daß hier unter sehr günstigen Bedingungen fabrizirt werden konnte. Und so machten unsere Lohgerber schon früher recht brave Geschäfte auf der Leipziger Messe, wie auch noch heute. Doch Hauptsache war der Ackerbau und die Viehzucht, und Haupt¬ artikel unsers Exports waren Getreide. Pferde, Rindvieh. Schafe und Schweine. Unsere Jahrmärkte waren stets massenhaft besucht von aus- und inländischen Getreide, und Viehhändlern, vorzüglich aber von israelitischen Pferde-, und belgischen und französischen „Schweinkäufern", wie die Leute hier genannt werden. Und wie der Export, so der Import. Beim Import machten die Colonialwaaren die Hauptsache aus. Das Volk kleidete sich meistens noch in selbstgewonnenes, selbstgesponnenes und selbstgewebtes Zeug, welches seinen besten Glanz beim Blaufärber erhalten hatte. Blauleinene Hosen und em blauleinener Kittel dazu war das gewöhnliche Nationalkostüm bei uns. Der Leser begreift, daß. bet einer solchen fast patriarchalischen Einfachheit das Geld nicht in üm-ihn» bei uns zu sein brauchte, und bei unserer elementaren Industrie auch wohl nicht in UM'idus sein konnte. Wozu hätten wir damals große Bankinstitute gebraucht. Es genügte reichlich an den Herren Notaren und Advokaten, um den guten Bauern, die sich da schinden lassen wollten, das Fell über die Ohren zu ziehen. Große Kapitalisten, die ihren Vortheil auch damals schon verstehen mochten, sahen in unserm isolirten Ländchen nichts, was sie hätte in Versuchung führen können, ihr Geld bei diesem oder jenem Unternehmen zu riskiren, das etwa erst nach langen Jahren rentabel werden s^te. Unsere großen Schätze, die besten Reichthümer des Landes, unsere Eisenerze und prachtvollen Hau- und Pflastersteine mußten ungeschätzt und unbenutzt in der Erde liegen. Die gehaltvollen Bohnenerze, die man nur zusammenzuschaufeln und zu waschen brauchte, um sie nach dem Schmelzofen ^ bringen, machten den guten Bauern nur Verdruß und entwertheten ihr Erdreich. Die paar Hüttenwerke, welche unter solch günstigen Verhältnissen ins Leben gerufen wurden, kamen nicht fort. Sie vegetirten und verkümmerten. ^ fehlte uns an Verkehrsmitteln mit der Außenwelt. Wir standen isolirt von dem übrigen großen europäischen Körper, und die reichen Verkehrsadern desselben pulsirten nicht in unserm industriellen Organismus, dank dem alten heillosen Schlendrian der leitenden Gewalten bei uns. Das war, wie unsere Pastoren meinen, die goldene, paradiesische Zeit, die Zeit der Unschuld und des kindlichen Glaubens und Gehorsams. Für die guten Herren mag allerdings die Zeit viel von einem goldenen Paradiese (wie es Pater von Eochem in seinen „vier letzten Dingen« so lebhaft schildert) gehabt haben. Das eiserne Zeitalter war es jedenfalls noch nicht, das sollte uns erst der deutsche Zollverein bringen, und zwar zugleich mit den Eisenbahnen, dieser verruchten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/113
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/113>, abgerufen am 27.07.2024.