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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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zu stören durch die lebhafte Rückerinnerung an John, der in der That aus
dem Kreise ihrer täglichen Gedanken mehr und mehr geschwunden ist. An
den Tod John's glaubt überdies Herr Ralph Dent selbst nicht. Es ist nun
meisterhaft gezeichnet, wie das Bild des fernen Geliebten sich bei Prudenee
wieder belebt und erwärmt, sobald sie ernstlich mit sich zu Rathe geht, welche
Antwort sie Dillingham geben soll. Sowie sie aufhört, diesen dilatorisch zu
behandeln, legt die flammende Erinnerung an die erste Liebe ihres Mädchen¬
herzens ein absolutes Veto ein, und die entscheidende äußere Veranlassung
zur Abweisung Dillingham's -- wie dieser sie bittet das Lied "der Alte Robim
Gray", eine ihrer eigenen Situation verwandte Ballade zu singen -- ist nur
die formelle Bestätigung dessen, was bei ihr selbst längst beschlossen war.
Sie bricht mitten im Liede ab und läuft davon. Herr Ralph Dent, der das
Paar allein gelassen hatte, um die erhoffte Entscheidung ja nicht aufzuhalten,
findet nur Dillingham, zum ersten Male nicht in besonderer Laune.

Das Kartenhaus des Schwindlers bricht nun rasch zusammen. Am an¬
dern Morgen kehrt John Dent verwundet und verkümmert zurück, in einem
Anzug, "den sein Onkel von Zeit zu Zeit nachdenklich betrachtete und ent¬
schlossen war, in nicht ferner Zeit im Garten hinter dem Hause eingraben
zu lassen." Leider entwischt Nevins mit seiner Beute (dem früher gestohlenen
Gelde John's) abermals. Denn Nevins hat sein Opfer bereits am frühen
Morgen nach jenem Abend, an dem Prudenee das Lied vom Alten Robim
Gray nicht zu Ende sang, in einer Droschke über die Brücke fahren sehen,
die nach Willowbrook führt, und gesehen, wie John hier den Diener seines
Oheims gesprochen, der eben mit Prudence's schriftlichen Nein Herrn Dilling¬
ham zustrebt. Erst am andern Morgen entdeckt John durch eine Photo¬
graphie Dillingham's, daß er Georg Nevins ist, und Onkel und Neffe finden
natürlich den saubern Vogel längst nicht mehr in der Stadt. Was aus John
und Prudenee geworden, verräth uns Aldrich deutlich genug am Ende, indem
er sagt, er habe im letzten Frühjahr bei seiner letzten Anwesenheit in River-
mouth einen kleinen Mann sich auf einem Gartenthore der Besitzung des weil.
Pastor Hawkins schaukeln sehen. "Ich hatte diese kleine Persönlichkeit nie zu'
vor gesehen, aber es lag etwas wunderlich Bekanntes in den schwarzen
Haaren und den aufgeweckten schwarzen Augen, etwas wunderlich Bekanntes
in der biegsamen, geschmeidigen Gestalt (es war, wie wenn John Dent, von
fünf Fuß acht Zoll zu drei Fuß vier Zoll verschnitten worden wäre) und als
er meinen Gruß mit jener cavaliermäßigen Mine erwiderte, welche unsern
sechsjährigen Mann von Welt bezeichnet, so lag in seiner Stimme ein Ton¬
fall so seltsam gleich dem Tonfall in Prudence's Stimme, daß ich in mich
hineinlachte."

So kurz und gedrungen diese Auszüge naturgemäß sein mußten, soviel


zu stören durch die lebhafte Rückerinnerung an John, der in der That aus
dem Kreise ihrer täglichen Gedanken mehr und mehr geschwunden ist. An
den Tod John's glaubt überdies Herr Ralph Dent selbst nicht. Es ist nun
meisterhaft gezeichnet, wie das Bild des fernen Geliebten sich bei Prudenee
wieder belebt und erwärmt, sobald sie ernstlich mit sich zu Rathe geht, welche
Antwort sie Dillingham geben soll. Sowie sie aufhört, diesen dilatorisch zu
behandeln, legt die flammende Erinnerung an die erste Liebe ihres Mädchen¬
herzens ein absolutes Veto ein, und die entscheidende äußere Veranlassung
zur Abweisung Dillingham's — wie dieser sie bittet das Lied „der Alte Robim
Gray", eine ihrer eigenen Situation verwandte Ballade zu singen — ist nur
die formelle Bestätigung dessen, was bei ihr selbst längst beschlossen war.
Sie bricht mitten im Liede ab und läuft davon. Herr Ralph Dent, der das
Paar allein gelassen hatte, um die erhoffte Entscheidung ja nicht aufzuhalten,
findet nur Dillingham, zum ersten Male nicht in besonderer Laune.

Das Kartenhaus des Schwindlers bricht nun rasch zusammen. Am an¬
dern Morgen kehrt John Dent verwundet und verkümmert zurück, in einem
Anzug, „den sein Onkel von Zeit zu Zeit nachdenklich betrachtete und ent¬
schlossen war, in nicht ferner Zeit im Garten hinter dem Hause eingraben
zu lassen." Leider entwischt Nevins mit seiner Beute (dem früher gestohlenen
Gelde John's) abermals. Denn Nevins hat sein Opfer bereits am frühen
Morgen nach jenem Abend, an dem Prudenee das Lied vom Alten Robim
Gray nicht zu Ende sang, in einer Droschke über die Brücke fahren sehen,
die nach Willowbrook führt, und gesehen, wie John hier den Diener seines
Oheims gesprochen, der eben mit Prudence's schriftlichen Nein Herrn Dilling¬
ham zustrebt. Erst am andern Morgen entdeckt John durch eine Photo¬
graphie Dillingham's, daß er Georg Nevins ist, und Onkel und Neffe finden
natürlich den saubern Vogel längst nicht mehr in der Stadt. Was aus John
und Prudenee geworden, verräth uns Aldrich deutlich genug am Ende, indem
er sagt, er habe im letzten Frühjahr bei seiner letzten Anwesenheit in River-
mouth einen kleinen Mann sich auf einem Gartenthore der Besitzung des weil.
Pastor Hawkins schaukeln sehen. „Ich hatte diese kleine Persönlichkeit nie zu'
vor gesehen, aber es lag etwas wunderlich Bekanntes in den schwarzen
Haaren und den aufgeweckten schwarzen Augen, etwas wunderlich Bekanntes
in der biegsamen, geschmeidigen Gestalt (es war, wie wenn John Dent, von
fünf Fuß acht Zoll zu drei Fuß vier Zoll verschnitten worden wäre) und als
er meinen Gruß mit jener cavaliermäßigen Mine erwiderte, welche unsern
sechsjährigen Mann von Welt bezeichnet, so lag in seiner Stimme ein Ton¬
fall so seltsam gleich dem Tonfall in Prudence's Stimme, daß ich in mich
hineinlachte."

So kurz und gedrungen diese Auszüge naturgemäß sein mußten, soviel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/110>, abgerufen am 27.07.2024.