Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.Größe ganz zu erleben. Warum sollte man verzweifeln, da nicht einer Man wird kaum eine Arbeit Herman Grimm's finden, welche die ge¬ Größe ganz zu erleben. Warum sollte man verzweifeln, da nicht einer Man wird kaum eine Arbeit Herman Grimm's finden, welche die ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132232"/> <p xml:id="ID_14" prev="#ID_13"> Größe ganz zu erleben. Warum sollte man verzweifeln, da nicht einer<lb/> Generation allein bestimmt war, den großen Tag der Erfüllung der natio¬<lb/> nalen Hoffnungen zu schauen? So haben sie gehofft und geglaubt, bis einer<lb/> nach dem Andern getrost ins Grab gestiegen ist, — In Herman Grimm's<lb/> Stil und Darstellung prägt sich die edle Ruhe und Klarheit aus, die er in<lb/> Allem als das beste Erbtheil des Vaterhauses von Kindheit an überkommen<lb/> hat. Auch seine politischen Abhandlungen aus Zeiten, in denen Andere an<lb/> der Zukunft unseres Volkes verzweifeln wollten, sind von jener festen ruhigen<lb/> nationalen Zuversicht getragen. Ihm ist von jeher nur die Zeit wann,<lb/> nicht die Frage ob wir das Ziel unserer Staatseinheit erreichen würden,<lb/> zweifelhaft gewesen. Zu dieser Einsicht ist er gekommen bei jungen Jahren,<lb/> schon im Vaterhause; sie ist ihm nicht das Ergebniß schwerer innerer Kämpfe,<lb/> nie die Quelle häuslichen Zwiespaltes gewesen.' Er hat sie stolz und gelassen<lb/> ausgesprochen solange er denkt und schreibt, wie einst der römische Staats¬<lb/> bürger das civis Nowtwus sum.</p><lb/> <p xml:id="ID_15" next="#ID_16"> Man wird kaum eine Arbeit Herman Grimm's finden, welche die ge¬<lb/> rühmten Eigenthümlichkeiten in ein günstigeres Licht setzte, als die erste Ab¬<lb/> handlung der vorliegenden Sammlung „Voltaire und Frankreich". Sie erschien<lb/> zuerst in den ersten Heften der Preußischen Jahrbücher von 1871. Hier ist<lb/> sie unverändert abgedruckt. Begonnen wurde sie, als Paris noch von unseren<lb/> Heeren cernirt war, beendigt als die scheußliche Erhebung der Commune er¬<lb/> stickte in Brand und Blut, wie sie angefangen hatte. Wie kommt der Deutsche<lb/> dazu, in solchen Tagen des hervorragendsten Schriftstellers des Nationalfeindes<lb/> zu gedenken? In Tagen, da niemand in Frankreich selbst an Voltaire dachte,<lb/> sondern jeder Franzose nur Zeit hatte, mit dem Kampf ü, outranee gegen<lb/> die deutsche Invasion und dann mit der Niederwerfung der gemeinsten<lb/> Revolution sich zu beschäftigen, welche seit zweiundachtzig Jahren sich dort<lb/> erhoben hatte. Grimm gibt klare Antwort auf die berechtigte Frage: „Für<lb/> uns hat Voltaire gerade jetzt besondere Bedeutung", sagt er, „weil er der<lb/> erste und mächtigste Organisator der Lehre vom providentiellen Uebergewichte<lb/> Frankreichs gewesen ist, welche, mit kleinen Anfängen beginnend, allmählich ^<lb/> als geistiges Element in den Charakter der Franzosen überging.... Voltaire<lb/> war es, der den ganzen Reichthum seines Volkes zuerst sah, und zuerst ihm<lb/> selber und allen anderen Nationen im größten Glänze zu Gesichte brachte.<lb/> Für ihn ist das die Welt überstrahlende Frankreich als einheitliches Land und<lb/> Volk das Erzeugniß der allgemeinen Entwickelung der Menschheit. Er selber<lb/> aber mit seinem ganzen Wesen ist die reifste Frucht, welche dies Paradies der<lb/> modernen Kultur jemals gezeitigt hat. Kein Schriftsteller ist in irgend einem<lb/> Volke aufgestanden, dem Volk und Land in solchem Grade zur Folie gedient<lb/> hätten, als der französische Voltaire. . . Sein Geist repräsentirt den Geist von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Größe ganz zu erleben. Warum sollte man verzweifeln, da nicht einer
Generation allein bestimmt war, den großen Tag der Erfüllung der natio¬
nalen Hoffnungen zu schauen? So haben sie gehofft und geglaubt, bis einer
nach dem Andern getrost ins Grab gestiegen ist, — In Herman Grimm's
Stil und Darstellung prägt sich die edle Ruhe und Klarheit aus, die er in
Allem als das beste Erbtheil des Vaterhauses von Kindheit an überkommen
hat. Auch seine politischen Abhandlungen aus Zeiten, in denen Andere an
der Zukunft unseres Volkes verzweifeln wollten, sind von jener festen ruhigen
nationalen Zuversicht getragen. Ihm ist von jeher nur die Zeit wann,
nicht die Frage ob wir das Ziel unserer Staatseinheit erreichen würden,
zweifelhaft gewesen. Zu dieser Einsicht ist er gekommen bei jungen Jahren,
schon im Vaterhause; sie ist ihm nicht das Ergebniß schwerer innerer Kämpfe,
nie die Quelle häuslichen Zwiespaltes gewesen.' Er hat sie stolz und gelassen
ausgesprochen solange er denkt und schreibt, wie einst der römische Staats¬
bürger das civis Nowtwus sum.
Man wird kaum eine Arbeit Herman Grimm's finden, welche die ge¬
rühmten Eigenthümlichkeiten in ein günstigeres Licht setzte, als die erste Ab¬
handlung der vorliegenden Sammlung „Voltaire und Frankreich". Sie erschien
zuerst in den ersten Heften der Preußischen Jahrbücher von 1871. Hier ist
sie unverändert abgedruckt. Begonnen wurde sie, als Paris noch von unseren
Heeren cernirt war, beendigt als die scheußliche Erhebung der Commune er¬
stickte in Brand und Blut, wie sie angefangen hatte. Wie kommt der Deutsche
dazu, in solchen Tagen des hervorragendsten Schriftstellers des Nationalfeindes
zu gedenken? In Tagen, da niemand in Frankreich selbst an Voltaire dachte,
sondern jeder Franzose nur Zeit hatte, mit dem Kampf ü, outranee gegen
die deutsche Invasion und dann mit der Niederwerfung der gemeinsten
Revolution sich zu beschäftigen, welche seit zweiundachtzig Jahren sich dort
erhoben hatte. Grimm gibt klare Antwort auf die berechtigte Frage: „Für
uns hat Voltaire gerade jetzt besondere Bedeutung", sagt er, „weil er der
erste und mächtigste Organisator der Lehre vom providentiellen Uebergewichte
Frankreichs gewesen ist, welche, mit kleinen Anfängen beginnend, allmählich ^
als geistiges Element in den Charakter der Franzosen überging.... Voltaire
war es, der den ganzen Reichthum seines Volkes zuerst sah, und zuerst ihm
selber und allen anderen Nationen im größten Glänze zu Gesichte brachte.
Für ihn ist das die Welt überstrahlende Frankreich als einheitliches Land und
Volk das Erzeugniß der allgemeinen Entwickelung der Menschheit. Er selber
aber mit seinem ganzen Wesen ist die reifste Frucht, welche dies Paradies der
modernen Kultur jemals gezeitigt hat. Kein Schriftsteller ist in irgend einem
Volke aufgestanden, dem Volk und Land in solchem Grade zur Folie gedient
hätten, als der französische Voltaire. . . Sein Geist repräsentirt den Geist von
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