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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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eng verbunden, daß beide sich auch in der Betrachtung schwer von einander
trennen lassen. Petrarca erkannte die allgemeine weit über Italiens Grenzen
sich erstreckende Bedeutung des Alterthumsstudiums sehr wohl, und das welt¬
bürgerliche, auf Neugestaltung der ganzen mittelalterlichen Gesellschaft zielende
Element des Humanismus ist ihm so wenig, wie seinem jüngeren Zeit¬
genossen Boccaccio fremd. Aber Rom, das Rom der Triumphatoren und
das Rom des Knechtes der Knechte Gottes, ist diesem älteren Humanisten eben
der Mittelpunkt der neu zu gestaltenden Gesellschaft, die rechtmäßige Erbin
einer doppelten Weltherrschaft. Der Mittelpunkt ist erstarrt; es gilt ihn neu
zu beleben, neue Fruchtkeime in ihn zu senken. Rom ist von seinen Häuptern,
dem Papst, dem schlechten Hirten und dem Kaiser, der über seinem Walten
im barbarischen Norden seines höchsten Amtes vergißt, verlassen; es gilt, die
Flüchtigen wieder einzufangen und der vereinsamten Königin der Welt wieder
zuzuführen. Petrarca erschöpft die Fülle seiner Beredsamkeit, um den Päpsten
Avignon, das arge Babel, die Stadt der Sünde und Verderbniß, die er selbst
in seiner Jugendzeit allzugenau hatte kennen lernen, zu verleiden; er schil¬
dert Karl IV. in leuchtenden Farben die Herrlichkeit der ewigen Stadt, die
Macht der alten Imperatoren, die Erhabenheit ihres Weltherrscherberufs.
Aber wie wohlwollend Karl auch die kühnen Worte des begeisterten Dichters
aufnahm, in seiner kühl berechnenden Staatskunst, die ganz andere Bahnen
verfolgte, ließ er sich durch die glänzenden Bilder, die Petrarca vor ihm auf¬
rollte, nicht irre machen. Eben so wenig aber ließ sich Petrarca durch die
vielen Enttäuschungen, die er erfuhr, seine Hoffnungen zerstören. Mit glühen¬
dem Eifer trat er für Cota Rienzi's schwärmerische Entwürfe ein. Er beglück¬
wünscht den verwegenen Tribunen, daß er ein solches Volk, das Volk, daß
es einen solchen Helden gefunden habe. Die alte Mauer, heißt es in der
herrlichen an Cota gerichteten Canzone, die noch Trutz und Zierde der Welt
ist, die erzittert beim Gedanken


An die Vergangenheit, denkt sie der Sage:
Und Grüfte, wohin die Gebeine sanken
Von Männern, die beseelt von Ruhmbegierde,
Erst enden an dem Ende aller Tage;
Und die Zerrüttung unsrer ganzen Lage,
Sie sehn auf dich, als ihren Retter nieder.
Euch herrliche Scipionen, wie willkommen!
Dir, treuer Brutus, wenn auch ihr vernommen,
Daß wohl bestellt des Staates Haupt und Glieder!
Wie blickte freundlich wieder
Fabricius, vernimmt er diese Tone,
Und sagt: Mein Rom bleibt fortan noch das Schöne!

So entzündet die Vertiefung in das Alterthum, der Blick auf die ver-


eng verbunden, daß beide sich auch in der Betrachtung schwer von einander
trennen lassen. Petrarca erkannte die allgemeine weit über Italiens Grenzen
sich erstreckende Bedeutung des Alterthumsstudiums sehr wohl, und das welt¬
bürgerliche, auf Neugestaltung der ganzen mittelalterlichen Gesellschaft zielende
Element des Humanismus ist ihm so wenig, wie seinem jüngeren Zeit¬
genossen Boccaccio fremd. Aber Rom, das Rom der Triumphatoren und
das Rom des Knechtes der Knechte Gottes, ist diesem älteren Humanisten eben
der Mittelpunkt der neu zu gestaltenden Gesellschaft, die rechtmäßige Erbin
einer doppelten Weltherrschaft. Der Mittelpunkt ist erstarrt; es gilt ihn neu
zu beleben, neue Fruchtkeime in ihn zu senken. Rom ist von seinen Häuptern,
dem Papst, dem schlechten Hirten und dem Kaiser, der über seinem Walten
im barbarischen Norden seines höchsten Amtes vergißt, verlassen; es gilt, die
Flüchtigen wieder einzufangen und der vereinsamten Königin der Welt wieder
zuzuführen. Petrarca erschöpft die Fülle seiner Beredsamkeit, um den Päpsten
Avignon, das arge Babel, die Stadt der Sünde und Verderbniß, die er selbst
in seiner Jugendzeit allzugenau hatte kennen lernen, zu verleiden; er schil¬
dert Karl IV. in leuchtenden Farben die Herrlichkeit der ewigen Stadt, die
Macht der alten Imperatoren, die Erhabenheit ihres Weltherrscherberufs.
Aber wie wohlwollend Karl auch die kühnen Worte des begeisterten Dichters
aufnahm, in seiner kühl berechnenden Staatskunst, die ganz andere Bahnen
verfolgte, ließ er sich durch die glänzenden Bilder, die Petrarca vor ihm auf¬
rollte, nicht irre machen. Eben so wenig aber ließ sich Petrarca durch die
vielen Enttäuschungen, die er erfuhr, seine Hoffnungen zerstören. Mit glühen¬
dem Eifer trat er für Cota Rienzi's schwärmerische Entwürfe ein. Er beglück¬
wünscht den verwegenen Tribunen, daß er ein solches Volk, das Volk, daß
es einen solchen Helden gefunden habe. Die alte Mauer, heißt es in der
herrlichen an Cota gerichteten Canzone, die noch Trutz und Zierde der Welt
ist, die erzittert beim Gedanken


An die Vergangenheit, denkt sie der Sage:
Und Grüfte, wohin die Gebeine sanken
Von Männern, die beseelt von Ruhmbegierde,
Erst enden an dem Ende aller Tage;
Und die Zerrüttung unsrer ganzen Lage,
Sie sehn auf dich, als ihren Retter nieder.
Euch herrliche Scipionen, wie willkommen!
Dir, treuer Brutus, wenn auch ihr vernommen,
Daß wohl bestellt des Staates Haupt und Glieder!
Wie blickte freundlich wieder
Fabricius, vernimmt er diese Tone,
Und sagt: Mein Rom bleibt fortan noch das Schöne!

So entzündet die Vertiefung in das Alterthum, der Blick auf die ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/94>, abgerufen am 22.07.2024.