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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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scheiden über seine Arbeit aus; er beansprucht nicht, eine wissenschaftliche
Arbeit über Petrarca zu liefern, sondern er versucht nur, "durch diese Blätter
die Erinnerung an einen Mann aufzufrischen, der in Deutschland nicht seiner
Bedeutung gemäß gewürdigt zu werden pflegt." Letztere Behauptung scheint
uns so allgemein ausgesprochen, beiläufig bemerkt, zu weit zu gehn. Der
Dichter Petrarca ist in Deutschland wie überall gefeiert, und es dürfte nicht
schwer fallen, seinen unmittelbaren Einfluß aus die Entwickelung gewisser
Gattungen deutscher Lyrik nachzuweisen; die glänzende Ausbildung des Sonetts
in unserer dichterischen Litteratur ist um von Anderen zu schweigen, schon ein
vollgültiges Zeugniß für die mächtige Einwirkung des großen italienischen
Liebessängers aus unsere Poesie. Der großen Bedeutung des Gelehrten und
Humanisten wird dagegen -- gerade weil Petrarca's Dichterruhm, sein Liebes¬
glück und Liebesleid, die Gemüther der Mitlebenden und Nachlebenden zu
ausschließlich gefesselt hat -- im Allgemeinen allerdings nicht genügend aner-
kannt. Wer denkt, wenn er die von dem schimmernden Zauber der höchsten
Liebesromantik umstrahlten Namen Petrarca und Laura aussprechen hört,
an die stillen Arbeiten des gelehrten Forschers, an den rastlosen Eifer, mit
welchem derselbe alle Klöster nach alten Pergamenten durchsuchte, an das Ent¬
zücken, mit welchem ihn jeder Fund erfüllte, an die ununterbrochenen Kämpfe,
die er gegen die Verknöcherung aller Wissenschaften führte, gegen die Char-
latanerie der Aerzte, gegen die trockene, alles historischen Sinnes baare,
rabulistische Gelehrsamkeit der Juristen, gegen die spitzfindige Scholastik der
Theologen, wider die sein tiefes religiöses Gefühl sich empörte! Und doch ist
gerade die Kenntniß dieser Thätigkett des Gelehrten unerläßlich für Jeden,
der die Bedeutung Petrarca's vollkommen würdigen will.

Herr Geiger hat sich ein großes Verdienst erworben, indem er den Ge¬
bildeten unseres Volkes in kurzen kräftigen Zügen ein Bild der Gesammt-
individualität des großen Dichters, des begeisterten Patrioten, des muthigen
Vorkämpfers für Aufklärung und Bildung entwirft. Der Verfasser verzichtet,
wie gesagt darauf, neue Forschungen und wissenschaftliches Detail zu bieten.
Nichtsdestoweniger aber beruht sein Werk auf einem umfassenden und sehr
sorgfältigen Quellenstudium. Das vorhandene reiche Material ist gründlich
durchgearbeitet; vor Allem tritt ein genaues Studium der Werke des Dichters,
namentlich seines ausgebreiteten Briefwechsels, auf jeder Seite hervor. Ein¬
zelne Streitfragen, wie über die Persönlichkeit der Laura und das Verhältniß
des Dichters zu der gefeierten Geliebten, sind einer erneuten Prüfung unter¬
zogen und dadurch ihrer Lösung näher geführt. Vor Allem wird die Un¬
Haltbarkeit der Ansicht des Abbe' de sate, daß Laura eine geborene de Noves,
an einen Herrn de sate verheirathet und Mutter von 11 Kindern gewesen
sei, mit beweiskräftigen Gründen nachgewiesen. Die anspruchslose Schrift


scheiden über seine Arbeit aus; er beansprucht nicht, eine wissenschaftliche
Arbeit über Petrarca zu liefern, sondern er versucht nur, „durch diese Blätter
die Erinnerung an einen Mann aufzufrischen, der in Deutschland nicht seiner
Bedeutung gemäß gewürdigt zu werden pflegt." Letztere Behauptung scheint
uns so allgemein ausgesprochen, beiläufig bemerkt, zu weit zu gehn. Der
Dichter Petrarca ist in Deutschland wie überall gefeiert, und es dürfte nicht
schwer fallen, seinen unmittelbaren Einfluß aus die Entwickelung gewisser
Gattungen deutscher Lyrik nachzuweisen; die glänzende Ausbildung des Sonetts
in unserer dichterischen Litteratur ist um von Anderen zu schweigen, schon ein
vollgültiges Zeugniß für die mächtige Einwirkung des großen italienischen
Liebessängers aus unsere Poesie. Der großen Bedeutung des Gelehrten und
Humanisten wird dagegen — gerade weil Petrarca's Dichterruhm, sein Liebes¬
glück und Liebesleid, die Gemüther der Mitlebenden und Nachlebenden zu
ausschließlich gefesselt hat — im Allgemeinen allerdings nicht genügend aner-
kannt. Wer denkt, wenn er die von dem schimmernden Zauber der höchsten
Liebesromantik umstrahlten Namen Petrarca und Laura aussprechen hört,
an die stillen Arbeiten des gelehrten Forschers, an den rastlosen Eifer, mit
welchem derselbe alle Klöster nach alten Pergamenten durchsuchte, an das Ent¬
zücken, mit welchem ihn jeder Fund erfüllte, an die ununterbrochenen Kämpfe,
die er gegen die Verknöcherung aller Wissenschaften führte, gegen die Char-
latanerie der Aerzte, gegen die trockene, alles historischen Sinnes baare,
rabulistische Gelehrsamkeit der Juristen, gegen die spitzfindige Scholastik der
Theologen, wider die sein tiefes religiöses Gefühl sich empörte! Und doch ist
gerade die Kenntniß dieser Thätigkett des Gelehrten unerläßlich für Jeden,
der die Bedeutung Petrarca's vollkommen würdigen will.

Herr Geiger hat sich ein großes Verdienst erworben, indem er den Ge¬
bildeten unseres Volkes in kurzen kräftigen Zügen ein Bild der Gesammt-
individualität des großen Dichters, des begeisterten Patrioten, des muthigen
Vorkämpfers für Aufklärung und Bildung entwirft. Der Verfasser verzichtet,
wie gesagt darauf, neue Forschungen und wissenschaftliches Detail zu bieten.
Nichtsdestoweniger aber beruht sein Werk auf einem umfassenden und sehr
sorgfältigen Quellenstudium. Das vorhandene reiche Material ist gründlich
durchgearbeitet; vor Allem tritt ein genaues Studium der Werke des Dichters,
namentlich seines ausgebreiteten Briefwechsels, auf jeder Seite hervor. Ein¬
zelne Streitfragen, wie über die Persönlichkeit der Laura und das Verhältniß
des Dichters zu der gefeierten Geliebten, sind einer erneuten Prüfung unter¬
zogen und dadurch ihrer Lösung näher geführt. Vor Allem wird die Un¬
Haltbarkeit der Ansicht des Abbe' de sate, daß Laura eine geborene de Noves,
an einen Herrn de sate verheirathet und Mutter von 11 Kindern gewesen
sei, mit beweiskräftigen Gründen nachgewiesen. Die anspruchslose Schrift


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/92>, abgerufen am 22.07.2024.