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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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auf der Krupe, zur Nachtzeit von der Mailänder Straße her in die Stadt zu
stehlen wußten.*)

Auch Franz I. waren die vielen kleinen Kämpfe, welche die Nähe der
Kaiserlichen herbeiführte, sehr erwünscht. Er wollte die spanischen Löwen,
wie Bonnivet seit Gattinara Pescara's Leute beständig nannte, kennen lernen,
und die geringsten Vortheile über sie erfochten, erschienen ihm sichere Vorboten
eines unzweifelhaften Sieges. Wiederholt betheiligte er sich persönlich an der¬
artigen Kämpfen""), und die beständigen Allarmirungen und Angriffe der leich¬
ten spanischen Truppen machten die Franzosen täglich kecker aber auch sorg¬
loser. Oft griffen sie nicht einmal mehr zu den Waffen, sondern begnügten
sich die anprellenden Feinde, "das Mohrengefindel", wie sie sie nannten, mit
Schimpfreden zu begrüßen.***)

Allmählich wurde aber doch die Lage beider Heere bedenklich. Man stand
sich jetzt drei Wochen lang ohne namhaftes Resultat gegenüber. Auch die
verlängerte Frist unbesoldeten Dienstes, zu welcher sich die Truppen auf ihrer
Führer Zureden verstanden hatten, näherte sich nun ihrem Ende. Was half
es, daß man die Deutschen auf das Lösegeld der drei Könige im französischen
Lager vertröstete, nämlich auf Franz I. selbst, auf den König von Navarra
und auf den Grafen Suffolk, der als Prätendent von England galt. Die
Landsknechte meinten, man solle des Bären Fell nicht verkaufen, bevor man
ihn erlegt. Ihre Forderungen wurden täglich ungestümer, ihre Plünderungen
in der Umgegend täglich weiter ausgedehnt, und die Noth in Pavia stieg
aufs Aeußerste. In Franz I. Heer offenbarte sich nach den täglichen Kämpfen
ein bedeutender Abgang an Leuten. Ueberdies war ein in seinem Dienste
stehender sehr tüchtiger italienischer Condottiere, Pallavicini, bei einer Unter¬
nehmung auf Cremona geschlagen und gefangen 1-), und eine heranrückende Ver¬
stärkung von 17 italienischen Fähnlein überfallen und zersprengt worden.-j-l-)
Empfindlicher war jedoch ein anderer Verlust: unter Dietegen von Salis
waren nämlich 6000 Graubündtner in ihre Heimath zurückgekehrt, weil ein
abenteuernder Edelmann im Einverständnisse mit Erzherzog Ferdinand die
Pässe des Veltlin gesperrt hatte.-M-) Und damit nicht genug! Grobe Betrüge-








*) Guicciardini.
Paul. Jovius und Reißner.
Sandoval.
t) Guicciardini, Capella und du Bellay,
11) Guicciardini, Paul. Jovius und Reißner.
sit) Hottinger: Geschichte der schweizer Kirchentrcnnung, Bd. 1. Zürich 1825, du Bellay
und Capella. -- Jener Edelmann war Mcdequin, Marquis von Marignano, Geheimschreiber
des Herzogs von Mailand. Dieser hatte ihn mit einem Uriasbriefe an den Stadthauptmann
von Musca am Comersee gesandt; Medequiu aber hatte das Schreiben eröffnet, sein Todes¬
urtheil gelesen, sich durch Bestechung Muscas und Chiavcnnas bemächtigt und sich durch den
Besitz dieses wichtigen Platzes des kaiserlichen Schutzes versichert,
Grenzboten III. 1874, 9
auf der Krupe, zur Nachtzeit von der Mailänder Straße her in die Stadt zu
stehlen wußten.*)

Auch Franz I. waren die vielen kleinen Kämpfe, welche die Nähe der
Kaiserlichen herbeiführte, sehr erwünscht. Er wollte die spanischen Löwen,
wie Bonnivet seit Gattinara Pescara's Leute beständig nannte, kennen lernen,
und die geringsten Vortheile über sie erfochten, erschienen ihm sichere Vorboten
eines unzweifelhaften Sieges. Wiederholt betheiligte er sich persönlich an der¬
artigen Kämpfen""), und die beständigen Allarmirungen und Angriffe der leich¬
ten spanischen Truppen machten die Franzosen täglich kecker aber auch sorg¬
loser. Oft griffen sie nicht einmal mehr zu den Waffen, sondern begnügten
sich die anprellenden Feinde, „das Mohrengefindel", wie sie sie nannten, mit
Schimpfreden zu begrüßen.***)

Allmählich wurde aber doch die Lage beider Heere bedenklich. Man stand
sich jetzt drei Wochen lang ohne namhaftes Resultat gegenüber. Auch die
verlängerte Frist unbesoldeten Dienstes, zu welcher sich die Truppen auf ihrer
Führer Zureden verstanden hatten, näherte sich nun ihrem Ende. Was half
es, daß man die Deutschen auf das Lösegeld der drei Könige im französischen
Lager vertröstete, nämlich auf Franz I. selbst, auf den König von Navarra
und auf den Grafen Suffolk, der als Prätendent von England galt. Die
Landsknechte meinten, man solle des Bären Fell nicht verkaufen, bevor man
ihn erlegt. Ihre Forderungen wurden täglich ungestümer, ihre Plünderungen
in der Umgegend täglich weiter ausgedehnt, und die Noth in Pavia stieg
aufs Aeußerste. In Franz I. Heer offenbarte sich nach den täglichen Kämpfen
ein bedeutender Abgang an Leuten. Ueberdies war ein in seinem Dienste
stehender sehr tüchtiger italienischer Condottiere, Pallavicini, bei einer Unter¬
nehmung auf Cremona geschlagen und gefangen 1-), und eine heranrückende Ver¬
stärkung von 17 italienischen Fähnlein überfallen und zersprengt worden.-j-l-)
Empfindlicher war jedoch ein anderer Verlust: unter Dietegen von Salis
waren nämlich 6000 Graubündtner in ihre Heimath zurückgekehrt, weil ein
abenteuernder Edelmann im Einverständnisse mit Erzherzog Ferdinand die
Pässe des Veltlin gesperrt hatte.-M-) Und damit nicht genug! Grobe Betrüge-








*) Guicciardini.
Paul. Jovius und Reißner.
Sandoval.
t) Guicciardini, Capella und du Bellay,
11) Guicciardini, Paul. Jovius und Reißner.
sit) Hottinger: Geschichte der schweizer Kirchentrcnnung, Bd. 1. Zürich 1825, du Bellay
und Capella. — Jener Edelmann war Mcdequin, Marquis von Marignano, Geheimschreiber
des Herzogs von Mailand. Dieser hatte ihn mit einem Uriasbriefe an den Stadthauptmann
von Musca am Comersee gesandt; Medequiu aber hatte das Schreiben eröffnet, sein Todes¬
urtheil gelesen, sich durch Bestechung Muscas und Chiavcnnas bemächtigt und sich durch den
Besitz dieses wichtigen Platzes des kaiserlichen Schutzes versichert,
Grenzboten III. 1874, 9
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/73>, abgerufen am 22.07.2024.