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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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auf dem Hute zu unterscheiden. Nun ist ihr Treiben ziemlich ungestört.
Dichte plaudernde Gruppen umlagern die enge Ghetto-Straße, die an den
großen Festtagen Israels in einen grünen Garten verwandelt wird; von
einem Fenster zum andern reichen die Laubgehänge und rothe Teppiche schmücken
den Balkon, aber noch mancher Shylok wandelt unter den kichernden Mädchen.

So reich indessen Venedig an Schönheit ist, eines mangelt der Stadt
doch ganz, das ist die Natur. Wer hier genießen will, muß flüchten, in die
Ziaräini xuxliei auf den Lido oder an die kleinen Inseln von Chioggia und
Borcello, wo die Schifferhütten stehen, aus dem Gebälk zersplitterter Schiffe
gezimmert. Die öffentlichen Gärten Venedigs sind eine Schöpfung Napoleon's,
der Hunderte von Mauern, ja selbst geweihte Mauern niederriß, um Venedig
diesen Tummelplatz zu schaffen, das seltenste Geschenk, das er bieten konnte:
ein mächtiges Stück festes Land, eine Wanderung im Grünen. Man geht
der Riva asi LeUavovi entlang, die von der Msetw gegen den Lido führt,
ein stattlicher Quai mit breiten Quadern, auf denen das Volk sich tummelt
und vor dem in langer Reihe die Schiffe ankern. Die einen bisher die
Flagge auf, das Sternenbanner der Union oder die stolzen Farben des
deutschen Reiches, an anderen werden die Flanken neu betheert; die Matrosen
aber, die müßig sind, liegen schlafend auf dem sonnigen Verdeck. Immer
wieder kommen wir an Brücken vorüber mit flachen breiten Stufen, die die
Kanäle überschneiden, zur Linken steht das Arsenal mit seinen ungeheueren
Werften und Magazinen, von den beiden steinernen Löwen gehütet, die
Morosini einst aus Athen entführte. Jahrhundertelang genoß dasselbe einen
europäischen Ruhm und kein anderes der Erde schien mit ihm vergleichbar,
die Aufsicht war drei "Patronen" anvertraut, die aus dem Kreise der
Nobili gewählt wurden und jede Nacht mit der Prüfung der Wachen wechsel¬
ten. Der Ämmirag'tlo ack arLMalö hatte den MA-iiso äueals zu beschützen,
während die Wahl eines neuen Dogen stattfand, er befehligte den Bucentaur,
wenn der Gewählte hinausfuhr ins Meer um den Ring in die Fluth zu
werfen, ein Heer von Arbeitern stand unter feinem Befehle. Zur Zeit da
die Republik am mächtigsten war, lagen ohne Unterlaß 10,000 der herrlichsten
Eichenstämme im Wasser um dem Schiffsbau zu dienen; jedes Seil und jede
Eisenrolle hatte ihr geheimes Erkennungszeichen und schon der Diebstahl eines
Nagels war mit fünfjähriger Galeere bedroht. Hier lag auch der weltbe¬
rühmte Bucentaurus vor Anker, das prunkende Fahrzeug der Dogen, das ganz
mit Gold und rothem Sammt überlastet, in dem selbst der Boden mit Eben¬
holz und Perlmutter gedeckt war. 84 goldene Nuder bewegten die Barke
über die blaue Fluth und das Jauchzen einer stolzen Menge gab ihr das
Geleite! Hohen Ruhm genoß auch ehedem die Wassensammlun.,, weiche steh
im Arsenal befindet, denn sie bot den reichsten historischen Ueberblick, aber


auf dem Hute zu unterscheiden. Nun ist ihr Treiben ziemlich ungestört.
Dichte plaudernde Gruppen umlagern die enge Ghetto-Straße, die an den
großen Festtagen Israels in einen grünen Garten verwandelt wird; von
einem Fenster zum andern reichen die Laubgehänge und rothe Teppiche schmücken
den Balkon, aber noch mancher Shylok wandelt unter den kichernden Mädchen.

So reich indessen Venedig an Schönheit ist, eines mangelt der Stadt
doch ganz, das ist die Natur. Wer hier genießen will, muß flüchten, in die
Ziaräini xuxliei auf den Lido oder an die kleinen Inseln von Chioggia und
Borcello, wo die Schifferhütten stehen, aus dem Gebälk zersplitterter Schiffe
gezimmert. Die öffentlichen Gärten Venedigs sind eine Schöpfung Napoleon's,
der Hunderte von Mauern, ja selbst geweihte Mauern niederriß, um Venedig
diesen Tummelplatz zu schaffen, das seltenste Geschenk, das er bieten konnte:
ein mächtiges Stück festes Land, eine Wanderung im Grünen. Man geht
der Riva asi LeUavovi entlang, die von der Msetw gegen den Lido führt,
ein stattlicher Quai mit breiten Quadern, auf denen das Volk sich tummelt
und vor dem in langer Reihe die Schiffe ankern. Die einen bisher die
Flagge auf, das Sternenbanner der Union oder die stolzen Farben des
deutschen Reiches, an anderen werden die Flanken neu betheert; die Matrosen
aber, die müßig sind, liegen schlafend auf dem sonnigen Verdeck. Immer
wieder kommen wir an Brücken vorüber mit flachen breiten Stufen, die die
Kanäle überschneiden, zur Linken steht das Arsenal mit seinen ungeheueren
Werften und Magazinen, von den beiden steinernen Löwen gehütet, die
Morosini einst aus Athen entführte. Jahrhundertelang genoß dasselbe einen
europäischen Ruhm und kein anderes der Erde schien mit ihm vergleichbar,
die Aufsicht war drei „Patronen" anvertraut, die aus dem Kreise der
Nobili gewählt wurden und jede Nacht mit der Prüfung der Wachen wechsel¬
ten. Der Ämmirag'tlo ack arLMalö hatte den MA-iiso äueals zu beschützen,
während die Wahl eines neuen Dogen stattfand, er befehligte den Bucentaur,
wenn der Gewählte hinausfuhr ins Meer um den Ring in die Fluth zu
werfen, ein Heer von Arbeitern stand unter feinem Befehle. Zur Zeit da
die Republik am mächtigsten war, lagen ohne Unterlaß 10,000 der herrlichsten
Eichenstämme im Wasser um dem Schiffsbau zu dienen; jedes Seil und jede
Eisenrolle hatte ihr geheimes Erkennungszeichen und schon der Diebstahl eines
Nagels war mit fünfjähriger Galeere bedroht. Hier lag auch der weltbe¬
rühmte Bucentaurus vor Anker, das prunkende Fahrzeug der Dogen, das ganz
mit Gold und rothem Sammt überlastet, in dem selbst der Boden mit Eben¬
holz und Perlmutter gedeckt war. 84 goldene Nuder bewegten die Barke
über die blaue Fluth und das Jauchzen einer stolzen Menge gab ihr das
Geleite! Hohen Ruhm genoß auch ehedem die Wassensammlun.,, weiche steh
im Arsenal befindet, denn sie bot den reichsten historischen Ueberblick, aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/61>, abgerufen am 25.08.2024.