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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Gebiete der Zweckmäßigkeit. Nach Allem, was uns in dieser Hinsicht
bekannt geworden ist, sind wir von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die
Verhältnisse in kleineren Staaten einem normalen Bestehen und gedeihlicher
Entwickelung der Rechtspflege keineswegs günstig und eingreifende Aenderungen
durchaus nothwendig sind. Das Schwert der Justitia kann nur in einer
kraftvollen und mächtigen Hand sicher ruhen, in einer schwächeren vielleicht
schädigend, jedenfalls nicht in entsprechender Weise wirken. Auf die eigent¬
liche Rechtsprechung kommt es hierbei nicht allein an. Auch da, wo diese,
namentlich in den oberen Instanzen, vorzüglich ist, schützt sie, wie das Beispiel
von Kurhessen und Nassau gezeigt hat, nicht vor ungesunden Erscheinungen
im allgemeinen Rechtsleben des Landes. -- Von vornherein muß es Bedenken
erregen, die Leitung des Justizwesens kleinerer Länder meistentheils Ministern
anvertraut zu sehen, welche nicht Juristen ex xrvtssso, wohl aber gewiegte,
ja hervorragende Verwaltungsbeamte sind. Im Ganzen werden sie als solche
dem Staat offenbar größere Dienste leisten, wie weniger vielseitig ausgebildete
Rechtsgelehrte, gleichwohl will uns bedünken, daß die Rechtspflege in ihren
verschiedenen Zweigen darunter leiden müsse, wenn sie an oberster Stelle eines
sich ihr vollständig widmenden Vertreters entbehrt. Unwillkürlich wird der
höchste Verwaltungsbeamte den Schwerpunkt seiner Thätigkeit und seiner
Neigungen in dem ihm zunächst liegenden Berufskreise finden und bei der
Behandlung der in das Justizdepartement einschlagenden Verhältnisse oft nicht
diejenigen Grundsätze zur Anwendung bringen, welche der Justtzminister eines
größeren Staates für die richtigen halten wird.

Sieht man ab von den Klagen über die völlig unauskömmliche Be¬
soldung der Gerichtsbeamten, namentlich bei den Untergerichten, die Zurück¬
setzung der Richter im Range und Gehalt gegenüber ihren Collegen bei der
Verwaltung, dem Protektionswesen, weil derartige Beschwerden selbst in
größeren Staaten nicht ausbleiben, so kann man sich doch der Thatsache nicht
verschließen, daß die hier und da in Kleinstaaten bestehenden Disciplinar-
gesetze für Richter nicht bloß den Stand derselben Herabdrücken, sondern
geradezu geeignet sind, die Selbständigkeit des Richteramts zu gefährden.
Man wird es ferner begreiflich finden aber nimmermehr für dienlich erachten
können, wenn die an der Spitze stehenden Verwaltungsmänner bei der An¬
stellung und Beförderung der Richter das Hauptgewicht auf Eigenschaften
legen, welche Verwaltungsbeamten zur besonderen Empfehlung gereichen, daß
sie hingegen dem unbeugsamen Rechtssinne nicht das gleiche Verständniß
entgegenbringen wie Bürger und Bauer, welcher daraus in seinen Streitsachen
-- besonders gegen den Fiskus -- eine wesentliche Beruhigung schöpft. Es
würde zu weit führen, wollten wir auf eine Darlegung der uns von ver¬
schiedenen Seiten mitgetheilten Unzuträglichkeiten eingehen, welche sich auf den


Gebiete der Zweckmäßigkeit. Nach Allem, was uns in dieser Hinsicht
bekannt geworden ist, sind wir von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die
Verhältnisse in kleineren Staaten einem normalen Bestehen und gedeihlicher
Entwickelung der Rechtspflege keineswegs günstig und eingreifende Aenderungen
durchaus nothwendig sind. Das Schwert der Justitia kann nur in einer
kraftvollen und mächtigen Hand sicher ruhen, in einer schwächeren vielleicht
schädigend, jedenfalls nicht in entsprechender Weise wirken. Auf die eigent¬
liche Rechtsprechung kommt es hierbei nicht allein an. Auch da, wo diese,
namentlich in den oberen Instanzen, vorzüglich ist, schützt sie, wie das Beispiel
von Kurhessen und Nassau gezeigt hat, nicht vor ungesunden Erscheinungen
im allgemeinen Rechtsleben des Landes. — Von vornherein muß es Bedenken
erregen, die Leitung des Justizwesens kleinerer Länder meistentheils Ministern
anvertraut zu sehen, welche nicht Juristen ex xrvtssso, wohl aber gewiegte,
ja hervorragende Verwaltungsbeamte sind. Im Ganzen werden sie als solche
dem Staat offenbar größere Dienste leisten, wie weniger vielseitig ausgebildete
Rechtsgelehrte, gleichwohl will uns bedünken, daß die Rechtspflege in ihren
verschiedenen Zweigen darunter leiden müsse, wenn sie an oberster Stelle eines
sich ihr vollständig widmenden Vertreters entbehrt. Unwillkürlich wird der
höchste Verwaltungsbeamte den Schwerpunkt seiner Thätigkeit und seiner
Neigungen in dem ihm zunächst liegenden Berufskreise finden und bei der
Behandlung der in das Justizdepartement einschlagenden Verhältnisse oft nicht
diejenigen Grundsätze zur Anwendung bringen, welche der Justtzminister eines
größeren Staates für die richtigen halten wird.

Sieht man ab von den Klagen über die völlig unauskömmliche Be¬
soldung der Gerichtsbeamten, namentlich bei den Untergerichten, die Zurück¬
setzung der Richter im Range und Gehalt gegenüber ihren Collegen bei der
Verwaltung, dem Protektionswesen, weil derartige Beschwerden selbst in
größeren Staaten nicht ausbleiben, so kann man sich doch der Thatsache nicht
verschließen, daß die hier und da in Kleinstaaten bestehenden Disciplinar-
gesetze für Richter nicht bloß den Stand derselben Herabdrücken, sondern
geradezu geeignet sind, die Selbständigkeit des Richteramts zu gefährden.
Man wird es ferner begreiflich finden aber nimmermehr für dienlich erachten
können, wenn die an der Spitze stehenden Verwaltungsmänner bei der An¬
stellung und Beförderung der Richter das Hauptgewicht auf Eigenschaften
legen, welche Verwaltungsbeamten zur besonderen Empfehlung gereichen, daß
sie hingegen dem unbeugsamen Rechtssinne nicht das gleiche Verständniß
entgegenbringen wie Bürger und Bauer, welcher daraus in seinen Streitsachen
— besonders gegen den Fiskus — eine wesentliche Beruhigung schöpft. Es
würde zu weit führen, wollten wir auf eine Darlegung der uns von ver¬
schiedenen Seiten mitgetheilten Unzuträglichkeiten eingehen, welche sich auf den


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[0508] Gebiete der Zweckmäßigkeit. Nach Allem, was uns in dieser Hinsicht bekannt geworden ist, sind wir von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Verhältnisse in kleineren Staaten einem normalen Bestehen und gedeihlicher Entwickelung der Rechtspflege keineswegs günstig und eingreifende Aenderungen durchaus nothwendig sind. Das Schwert der Justitia kann nur in einer kraftvollen und mächtigen Hand sicher ruhen, in einer schwächeren vielleicht schädigend, jedenfalls nicht in entsprechender Weise wirken. Auf die eigent¬ liche Rechtsprechung kommt es hierbei nicht allein an. Auch da, wo diese, namentlich in den oberen Instanzen, vorzüglich ist, schützt sie, wie das Beispiel von Kurhessen und Nassau gezeigt hat, nicht vor ungesunden Erscheinungen im allgemeinen Rechtsleben des Landes. — Von vornherein muß es Bedenken erregen, die Leitung des Justizwesens kleinerer Länder meistentheils Ministern anvertraut zu sehen, welche nicht Juristen ex xrvtssso, wohl aber gewiegte, ja hervorragende Verwaltungsbeamte sind. Im Ganzen werden sie als solche dem Staat offenbar größere Dienste leisten, wie weniger vielseitig ausgebildete Rechtsgelehrte, gleichwohl will uns bedünken, daß die Rechtspflege in ihren verschiedenen Zweigen darunter leiden müsse, wenn sie an oberster Stelle eines sich ihr vollständig widmenden Vertreters entbehrt. Unwillkürlich wird der höchste Verwaltungsbeamte den Schwerpunkt seiner Thätigkeit und seiner Neigungen in dem ihm zunächst liegenden Berufskreise finden und bei der Behandlung der in das Justizdepartement einschlagenden Verhältnisse oft nicht diejenigen Grundsätze zur Anwendung bringen, welche der Justtzminister eines größeren Staates für die richtigen halten wird. Sieht man ab von den Klagen über die völlig unauskömmliche Be¬ soldung der Gerichtsbeamten, namentlich bei den Untergerichten, die Zurück¬ setzung der Richter im Range und Gehalt gegenüber ihren Collegen bei der Verwaltung, dem Protektionswesen, weil derartige Beschwerden selbst in größeren Staaten nicht ausbleiben, so kann man sich doch der Thatsache nicht verschließen, daß die hier und da in Kleinstaaten bestehenden Disciplinar- gesetze für Richter nicht bloß den Stand derselben Herabdrücken, sondern geradezu geeignet sind, die Selbständigkeit des Richteramts zu gefährden. Man wird es ferner begreiflich finden aber nimmermehr für dienlich erachten können, wenn die an der Spitze stehenden Verwaltungsmänner bei der An¬ stellung und Beförderung der Richter das Hauptgewicht auf Eigenschaften legen, welche Verwaltungsbeamten zur besonderen Empfehlung gereichen, daß sie hingegen dem unbeugsamen Rechtssinne nicht das gleiche Verständniß entgegenbringen wie Bürger und Bauer, welcher daraus in seinen Streitsachen — besonders gegen den Fiskus — eine wesentliche Beruhigung schöpft. Es würde zu weit führen, wollten wir auf eine Darlegung der uns von ver¬ schiedenen Seiten mitgetheilten Unzuträglichkeiten eingehen, welche sich auf den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/508>, abgerufen am 23.07.2024.