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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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sind, ihr Justizwesen ganz für sich zu ordnen. Für diejenigen, welche unter
allen Umständen einem Theil ihrer Justizhoheit werden entsagen müssen --
gleichviel, ob zu Gunsten einer Gemeinschaft mit anderen kleinen oder in der
Form des Anschlusses an größere Staaten -- handelt es sich nur um ein
Mehr oder Minder der aufzugebenden Rechte und Lasten. Sie werden sich
die Frage vorzulegen haben, ob die ihnen als Gliedern einer zu einer Ge¬
richtsgemeinschaft zusammengetretenen Staatengruppe verbleibende größere Frei¬
heit der Bewegung aufgewogen wird durch die Verantwortung, welche sie
trifft, wenn auf diese Weise ihren Angehörigen die Wohlthaten der neuen
Reichsgesetze nicht voll und ganz zu Theil werden. Gewinnen sie die Ueber¬
zeugung, daß die Wahrung des Restes ihrer Selbständigkeit dem gemeinen
Wohl nicht förderlich wäre, so haben sie die Pflicht, davon noch soviel auf¬
zugeben, als zur Herstellung haltbarer, befriedigender Zustände schwinden muß.

Diesen Standpunkt würden aber nach unserer Ansicht nicht bloß die
Thüringischen Staaten, sondern überhaupt alle diejenigen einzunehmen haben,
welche sich in gleicher oder ähnlicher Lage befinden, und es wäre, wie wir
glauben, nicht blos ein Akt der weisesten und hochherzigsten Politik, sondern
ein unermeßlicher Gewinn für sie selbst wie auch für das Allgemeine, wenn
sie sämmtlich in geschlossener Zahl zu dem Entschlüsse gelangten, ihr Gerichts¬
wesen gemeinschaftlich der Leitung des Reiches nach jenem Borschlage zu
unterstellen.

Allerdings ist die Haltung, welche man maßgebenden Ortes derartigen
Anträgen der Kleinstaaten gegenüber beobachten würde, nicht mit Sicherheit
als eine geneigte vorauszusetzen. Im Neichsgrundgesetze wird ein solcher Fall
nicht vorgesehen, derselbe dürfte daher, da er eine Veränderung der Verfassung
involvirt, im Wege der Gesetzgebung seine Erledigung finden müssen.

Von allein wesentlicher Bedeutung erscheint dabei unseres Erachtens die
Haltung Preußens. Wenn dieses für die hier vertretene Auffassung gewonnen
werden könnte, so bliebe immer der Ausweg einer Uebertragung der Justiz¬
verwaltung der kleineren Bundesländer an jenen Staat und auch dieser Even¬
tualität würden wir uns gern fügen, wenn sie zur Schaffung eines gemein¬
schaftlichen Mittelpunktes für die Rechtspflege in jenen Ländern führt.

Schon einmal ist man in Preußen beim Abschluß des Aecessionsvertrages
mit Waldeck-Pyrmont in der Lage gewesen, sich über eine analoge Frage
schlüssig zu machen. Wenn anders spätere Erfahrungen nicht eine Wandelung
seiner Ansichten zuwege gebracht haben, würde aus der Rede des Fürsten
Bismarck in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 11. December 1867
wohl eine günstige Beurtheilung ähnlicher Vorschläge Seitens der Regierung
gefolgert werden dürfen. Denn auch damals handelte es sich darum, daß ein
kleineres Staatswesen mit seinen Mitteln nicht ausreichte, diejenigen Bedürf-


sind, ihr Justizwesen ganz für sich zu ordnen. Für diejenigen, welche unter
allen Umständen einem Theil ihrer Justizhoheit werden entsagen müssen —
gleichviel, ob zu Gunsten einer Gemeinschaft mit anderen kleinen oder in der
Form des Anschlusses an größere Staaten — handelt es sich nur um ein
Mehr oder Minder der aufzugebenden Rechte und Lasten. Sie werden sich
die Frage vorzulegen haben, ob die ihnen als Gliedern einer zu einer Ge¬
richtsgemeinschaft zusammengetretenen Staatengruppe verbleibende größere Frei¬
heit der Bewegung aufgewogen wird durch die Verantwortung, welche sie
trifft, wenn auf diese Weise ihren Angehörigen die Wohlthaten der neuen
Reichsgesetze nicht voll und ganz zu Theil werden. Gewinnen sie die Ueber¬
zeugung, daß die Wahrung des Restes ihrer Selbständigkeit dem gemeinen
Wohl nicht förderlich wäre, so haben sie die Pflicht, davon noch soviel auf¬
zugeben, als zur Herstellung haltbarer, befriedigender Zustände schwinden muß.

Diesen Standpunkt würden aber nach unserer Ansicht nicht bloß die
Thüringischen Staaten, sondern überhaupt alle diejenigen einzunehmen haben,
welche sich in gleicher oder ähnlicher Lage befinden, und es wäre, wie wir
glauben, nicht blos ein Akt der weisesten und hochherzigsten Politik, sondern
ein unermeßlicher Gewinn für sie selbst wie auch für das Allgemeine, wenn
sie sämmtlich in geschlossener Zahl zu dem Entschlüsse gelangten, ihr Gerichts¬
wesen gemeinschaftlich der Leitung des Reiches nach jenem Borschlage zu
unterstellen.

Allerdings ist die Haltung, welche man maßgebenden Ortes derartigen
Anträgen der Kleinstaaten gegenüber beobachten würde, nicht mit Sicherheit
als eine geneigte vorauszusetzen. Im Neichsgrundgesetze wird ein solcher Fall
nicht vorgesehen, derselbe dürfte daher, da er eine Veränderung der Verfassung
involvirt, im Wege der Gesetzgebung seine Erledigung finden müssen.

Von allein wesentlicher Bedeutung erscheint dabei unseres Erachtens die
Haltung Preußens. Wenn dieses für die hier vertretene Auffassung gewonnen
werden könnte, so bliebe immer der Ausweg einer Uebertragung der Justiz¬
verwaltung der kleineren Bundesländer an jenen Staat und auch dieser Even¬
tualität würden wir uns gern fügen, wenn sie zur Schaffung eines gemein¬
schaftlichen Mittelpunktes für die Rechtspflege in jenen Ländern führt.

Schon einmal ist man in Preußen beim Abschluß des Aecessionsvertrages
mit Waldeck-Pyrmont in der Lage gewesen, sich über eine analoge Frage
schlüssig zu machen. Wenn anders spätere Erfahrungen nicht eine Wandelung
seiner Ansichten zuwege gebracht haben, würde aus der Rede des Fürsten
Bismarck in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 11. December 1867
wohl eine günstige Beurtheilung ähnlicher Vorschläge Seitens der Regierung
gefolgert werden dürfen. Denn auch damals handelte es sich darum, daß ein
kleineres Staatswesen mit seinen Mitteln nicht ausreichte, diejenigen Bedürf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/506>, abgerufen am 22.07.2024.