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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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theilweise Besetzung der gewöhnlichen bürgerlichen Gerichte mit Richtern aus
dem Volk, aus dem nicht-handeltreibenden Publikum; wenn "das Recht
überhaupt" durch den Zusammenhang zwischen Richter und Publikum fort¬
gebildet werden soll, so kann diese vermittelnde Thätigkeit nicht Sache eines
einzelnen Standes, der Kaufleute sein; und warum etwa nur das H a n dets -
recht in dieser Weise soll fortgebildet werden, ist nicht einzusehen. Ueber die
Ersprießlichkeit der Mitwirkung von Volksrichtern bei der Civilrechtspflege
kann man verschiedener Ansicht sein; unstatthaft aber scheint es uns, diese
Mitwirkung bei Handelssachen zuzulassen, bei andern bürgerlichen Streitsachen
auszuschließen; man käme damit thatsächlich wiederum auf ein Privile¬
gium nicht sowohl der Handelssachen als des Handelsstandes. -- Nur
einen Grund für dieses Privilegium kann man mit einigem Schein geltend
machen, nämlich den, daß wir für das Handelsrecht eine auch dem Laien ver¬
ständliche Kodifikation haben, während es zur Zeit an einer solchen für das
bürgerliche Recht fehlt: allein viel ist mit diesem Grund nicht bewiesen ; denn
einmal wird diese Ungleichheit in verhältnißmäßig kurzer Zeit abgestellt sein;
sodann wird man auch nach Herstellung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs
schwerlich sobald sich entschließen, allgemein Laienrichter zur Civilrechtspflege
beizuziehen; endlich steht die dermalige Beschaffenheit des materiellen bürger¬
lichen Rechts der Mitwirkung von nicht rechtsgelehrten Richtern bei Handels¬
gerichten kaum weniger im Weg, als bei den ordentlichen bürgerlichen Ge¬
richten. Damit kommen wir auf die besondern Bedenken gegen die Zusam¬
mensetzung der Handelsgerichte aus drei rechtsgelehrten und zwei kaufmännischen
Mitgliedern.

Von dem bayrischen Juristen wird mit vollem Recht hervorgehoben, daß
das von den Handelsgerichten zur Anwendung zu bringende Recht zu einem
sehr großen Theil nicht specielles Handelsrecht, sondern gemeines bürgerliches
Recht ist; es trifft dies nicht blos bei den olüen hervorgehobenen Fällen zu,
wenn gegen den nichtkaufmännischen Bürgen für eine Handelsschuld oder gegen
den Erben eines Kaufmanns geklagt wird, sondern in der großen Mehrzahl
aller Handelsprocesfe. Eine besondere Befähigung der Kaufleute zur Ent¬
scheidung von Fragen des gemeinen bürgerlichen Rechts wird Niemand behaup¬
ten wollen, und der bayrische Jurist macht diesen Umstand gegen die vom
Reichsgesetzentwurf vorgeschlagene Besetzung mit einem Rechtsgelehrten als
Vorsitzenden und vier Kaufleuten geltend; allein die von ihm befürwortete
Besetzung schafft an der Stelle eines unleugbaren Uebels ein anderes, wo
möglich noch größeres; es ist diesem Vorschlag derselbe Vorwurf zu machen,
welcher wesentlich die vorgeschlagenen Schöffengerichte in Strafsachen so unpo¬
pulär gemacht hat; der Vorwurf der Halbheit; man will Richter aus dem
Volk zuziehen und traut ihnen doch -- ob mit Recht oder Unrecht, ist hier


theilweise Besetzung der gewöhnlichen bürgerlichen Gerichte mit Richtern aus
dem Volk, aus dem nicht-handeltreibenden Publikum; wenn „das Recht
überhaupt" durch den Zusammenhang zwischen Richter und Publikum fort¬
gebildet werden soll, so kann diese vermittelnde Thätigkeit nicht Sache eines
einzelnen Standes, der Kaufleute sein; und warum etwa nur das H a n dets -
recht in dieser Weise soll fortgebildet werden, ist nicht einzusehen. Ueber die
Ersprießlichkeit der Mitwirkung von Volksrichtern bei der Civilrechtspflege
kann man verschiedener Ansicht sein; unstatthaft aber scheint es uns, diese
Mitwirkung bei Handelssachen zuzulassen, bei andern bürgerlichen Streitsachen
auszuschließen; man käme damit thatsächlich wiederum auf ein Privile¬
gium nicht sowohl der Handelssachen als des Handelsstandes. — Nur
einen Grund für dieses Privilegium kann man mit einigem Schein geltend
machen, nämlich den, daß wir für das Handelsrecht eine auch dem Laien ver¬
ständliche Kodifikation haben, während es zur Zeit an einer solchen für das
bürgerliche Recht fehlt: allein viel ist mit diesem Grund nicht bewiesen ; denn
einmal wird diese Ungleichheit in verhältnißmäßig kurzer Zeit abgestellt sein;
sodann wird man auch nach Herstellung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs
schwerlich sobald sich entschließen, allgemein Laienrichter zur Civilrechtspflege
beizuziehen; endlich steht die dermalige Beschaffenheit des materiellen bürger¬
lichen Rechts der Mitwirkung von nicht rechtsgelehrten Richtern bei Handels¬
gerichten kaum weniger im Weg, als bei den ordentlichen bürgerlichen Ge¬
richten. Damit kommen wir auf die besondern Bedenken gegen die Zusam¬
mensetzung der Handelsgerichte aus drei rechtsgelehrten und zwei kaufmännischen
Mitgliedern.

Von dem bayrischen Juristen wird mit vollem Recht hervorgehoben, daß
das von den Handelsgerichten zur Anwendung zu bringende Recht zu einem
sehr großen Theil nicht specielles Handelsrecht, sondern gemeines bürgerliches
Recht ist; es trifft dies nicht blos bei den olüen hervorgehobenen Fällen zu,
wenn gegen den nichtkaufmännischen Bürgen für eine Handelsschuld oder gegen
den Erben eines Kaufmanns geklagt wird, sondern in der großen Mehrzahl
aller Handelsprocesfe. Eine besondere Befähigung der Kaufleute zur Ent¬
scheidung von Fragen des gemeinen bürgerlichen Rechts wird Niemand behaup¬
ten wollen, und der bayrische Jurist macht diesen Umstand gegen die vom
Reichsgesetzentwurf vorgeschlagene Besetzung mit einem Rechtsgelehrten als
Vorsitzenden und vier Kaufleuten geltend; allein die von ihm befürwortete
Besetzung schafft an der Stelle eines unleugbaren Uebels ein anderes, wo
möglich noch größeres; es ist diesem Vorschlag derselbe Vorwurf zu machen,
welcher wesentlich die vorgeschlagenen Schöffengerichte in Strafsachen so unpo¬
pulär gemacht hat; der Vorwurf der Halbheit; man will Richter aus dem
Volk zuziehen und traut ihnen doch — ob mit Recht oder Unrecht, ist hier


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[0420] theilweise Besetzung der gewöhnlichen bürgerlichen Gerichte mit Richtern aus dem Volk, aus dem nicht-handeltreibenden Publikum; wenn „das Recht überhaupt" durch den Zusammenhang zwischen Richter und Publikum fort¬ gebildet werden soll, so kann diese vermittelnde Thätigkeit nicht Sache eines einzelnen Standes, der Kaufleute sein; und warum etwa nur das H a n dets - recht in dieser Weise soll fortgebildet werden, ist nicht einzusehen. Ueber die Ersprießlichkeit der Mitwirkung von Volksrichtern bei der Civilrechtspflege kann man verschiedener Ansicht sein; unstatthaft aber scheint es uns, diese Mitwirkung bei Handelssachen zuzulassen, bei andern bürgerlichen Streitsachen auszuschließen; man käme damit thatsächlich wiederum auf ein Privile¬ gium nicht sowohl der Handelssachen als des Handelsstandes. — Nur einen Grund für dieses Privilegium kann man mit einigem Schein geltend machen, nämlich den, daß wir für das Handelsrecht eine auch dem Laien ver¬ ständliche Kodifikation haben, während es zur Zeit an einer solchen für das bürgerliche Recht fehlt: allein viel ist mit diesem Grund nicht bewiesen ; denn einmal wird diese Ungleichheit in verhältnißmäßig kurzer Zeit abgestellt sein; sodann wird man auch nach Herstellung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs schwerlich sobald sich entschließen, allgemein Laienrichter zur Civilrechtspflege beizuziehen; endlich steht die dermalige Beschaffenheit des materiellen bürger¬ lichen Rechts der Mitwirkung von nicht rechtsgelehrten Richtern bei Handels¬ gerichten kaum weniger im Weg, als bei den ordentlichen bürgerlichen Ge¬ richten. Damit kommen wir auf die besondern Bedenken gegen die Zusam¬ mensetzung der Handelsgerichte aus drei rechtsgelehrten und zwei kaufmännischen Mitgliedern. Von dem bayrischen Juristen wird mit vollem Recht hervorgehoben, daß das von den Handelsgerichten zur Anwendung zu bringende Recht zu einem sehr großen Theil nicht specielles Handelsrecht, sondern gemeines bürgerliches Recht ist; es trifft dies nicht blos bei den olüen hervorgehobenen Fällen zu, wenn gegen den nichtkaufmännischen Bürgen für eine Handelsschuld oder gegen den Erben eines Kaufmanns geklagt wird, sondern in der großen Mehrzahl aller Handelsprocesfe. Eine besondere Befähigung der Kaufleute zur Ent¬ scheidung von Fragen des gemeinen bürgerlichen Rechts wird Niemand behaup¬ ten wollen, und der bayrische Jurist macht diesen Umstand gegen die vom Reichsgesetzentwurf vorgeschlagene Besetzung mit einem Rechtsgelehrten als Vorsitzenden und vier Kaufleuten geltend; allein die von ihm befürwortete Besetzung schafft an der Stelle eines unleugbaren Uebels ein anderes, wo möglich noch größeres; es ist diesem Vorschlag derselbe Vorwurf zu machen, welcher wesentlich die vorgeschlagenen Schöffengerichte in Strafsachen so unpo¬ pulär gemacht hat; der Vorwurf der Halbheit; man will Richter aus dem Volk zuziehen und traut ihnen doch — ob mit Recht oder Unrecht, ist hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/420>, abgerufen am 22.07.2024.