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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Richter sagen, dieß oder jenes sei Handelsgebrauch, und die rechtsgelehrten
Richter müssen entweder den so constatirten Handelsgebrauch auf Treue und
Glauben hinnehmen oder ihren kaufmännischen Collegen erklären, sie, die
Kaufleute, verstehen nicht, was ein Handelsgebrauch sei. An diesem Ver¬
ständniß wird es, wie wir schon oben bemerkten, um so mehr fehlen, je
weniger Handel, insbesondere Großhandel in dem Gerichtssprengel getrieben
wird, und so kann es geschehen, daß der Anspruch eines Kaufmanns gegen
einen "Kaufmann" titulirten Krämer abgewiesen wird, weil einige andere
Krämer des Orts als Handelsrichter aus voller Ueberzeugung die Existenz
eines Gewohnheitsrechtes, eines Handelsgebrauchs bestätigen, wonach z. B.
der gesetzlichen Pflicht zu sofortiger Reklamation wegen eines Mangels an
der von auswärts übersandten Waare genügt sein soll, wenn solche innerhalb
acht Tagen erfolgt. -- Neben einer Codifikation von der Art des deutschen
Handels-Gesetz-Buchs ist überhaupt für Handelsgebräuche nicht viel Raum;
die Berufung auf solche wird häufig den Zweck haben, eine Bestimmung des
geschriebenen Rechts als unanwendbar auf den gegebenen Fall darzustellen,
und die Information der Gerichte über solche Handelsgebräuche, insbesondere
wenn dieselbe von mehr oder minder an der Existenz des Gebrauchs interessirten
Kaufleuten ausgeht, wird schwerlich Jemand für besonders wünschenswert!)
halten. Kommt aber einmal ein unverdächtiger Handelsgebrauch in Frage,
so ist es allerdings die kürzeste Procedur, wenn auf die Erklärung zweier
Gerichtsmitglieder hin, daß ihnen ein solcher Brauch bekannt sei, dessen
Existenz für festgestellt erklärt wird; allein Kürze ist doch nicht der einzige
-- und ist nicht immer ein Vorzug des gerichtlichen Verfahrens; die echte
Gründlichkeit soll nicht darunter leiden.

Die andere Aufgabe der Handelsgerichte soll sein "die Fortbildung des
Rechts überhaupt durch einen dauernden Zusammenhang der zur Anwendung
des Handelsrechts berufenen Richter mit dem handeltreibenden Publikum, mit
dem allgemeinen Rechtsbewußtsein des Handelsstandes". Der Ausdruck: "Zu¬
sammenhang des Richters mit dem Publikum" ist etwas vieldeutig; es soll
damit wohl die Forderung ausgesprochen sein, daß der Richter eine lebendige
Anschauung von den Verhältnissen haben solle, über welche zu urtheilen er
berufen ist. Wir stehen nicht an, diese Forderung in dem Sinn als berech¬
tigt anzuerkennen, daß der Richter nicht ein reiner Akten- und Büchermensch
sein soll; während wir es weder für möglich noch für wünschenswerth halten,
daß er in jedem einzelnen Fall Sachverständiger sei. Allein aus der Berech¬
tigung jener Forderung folgt für die Berechtigung einer besondern Verfassung
der Handelsgerichte nichts oder doch nur sehr wenig; denn wenn es jenes
Zusammenhangs wegen nothwendig sein soll, die Handelsgerichte theilweise
mit Kaufleuten zu besetzen, so erfordert ebenderselbe Zusammenhang auch die


Richter sagen, dieß oder jenes sei Handelsgebrauch, und die rechtsgelehrten
Richter müssen entweder den so constatirten Handelsgebrauch auf Treue und
Glauben hinnehmen oder ihren kaufmännischen Collegen erklären, sie, die
Kaufleute, verstehen nicht, was ein Handelsgebrauch sei. An diesem Ver¬
ständniß wird es, wie wir schon oben bemerkten, um so mehr fehlen, je
weniger Handel, insbesondere Großhandel in dem Gerichtssprengel getrieben
wird, und so kann es geschehen, daß der Anspruch eines Kaufmanns gegen
einen „Kaufmann" titulirten Krämer abgewiesen wird, weil einige andere
Krämer des Orts als Handelsrichter aus voller Ueberzeugung die Existenz
eines Gewohnheitsrechtes, eines Handelsgebrauchs bestätigen, wonach z. B.
der gesetzlichen Pflicht zu sofortiger Reklamation wegen eines Mangels an
der von auswärts übersandten Waare genügt sein soll, wenn solche innerhalb
acht Tagen erfolgt. — Neben einer Codifikation von der Art des deutschen
Handels-Gesetz-Buchs ist überhaupt für Handelsgebräuche nicht viel Raum;
die Berufung auf solche wird häufig den Zweck haben, eine Bestimmung des
geschriebenen Rechts als unanwendbar auf den gegebenen Fall darzustellen,
und die Information der Gerichte über solche Handelsgebräuche, insbesondere
wenn dieselbe von mehr oder minder an der Existenz des Gebrauchs interessirten
Kaufleuten ausgeht, wird schwerlich Jemand für besonders wünschenswert!)
halten. Kommt aber einmal ein unverdächtiger Handelsgebrauch in Frage,
so ist es allerdings die kürzeste Procedur, wenn auf die Erklärung zweier
Gerichtsmitglieder hin, daß ihnen ein solcher Brauch bekannt sei, dessen
Existenz für festgestellt erklärt wird; allein Kürze ist doch nicht der einzige
— und ist nicht immer ein Vorzug des gerichtlichen Verfahrens; die echte
Gründlichkeit soll nicht darunter leiden.

Die andere Aufgabe der Handelsgerichte soll sein „die Fortbildung des
Rechts überhaupt durch einen dauernden Zusammenhang der zur Anwendung
des Handelsrechts berufenen Richter mit dem handeltreibenden Publikum, mit
dem allgemeinen Rechtsbewußtsein des Handelsstandes". Der Ausdruck: „Zu¬
sammenhang des Richters mit dem Publikum" ist etwas vieldeutig; es soll
damit wohl die Forderung ausgesprochen sein, daß der Richter eine lebendige
Anschauung von den Verhältnissen haben solle, über welche zu urtheilen er
berufen ist. Wir stehen nicht an, diese Forderung in dem Sinn als berech¬
tigt anzuerkennen, daß der Richter nicht ein reiner Akten- und Büchermensch
sein soll; während wir es weder für möglich noch für wünschenswerth halten,
daß er in jedem einzelnen Fall Sachverständiger sei. Allein aus der Berech¬
tigung jener Forderung folgt für die Berechtigung einer besondern Verfassung
der Handelsgerichte nichts oder doch nur sehr wenig; denn wenn es jenes
Zusammenhangs wegen nothwendig sein soll, die Handelsgerichte theilweise
mit Kaufleuten zu besetzen, so erfordert ebenderselbe Zusammenhang auch die


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[0419] Richter sagen, dieß oder jenes sei Handelsgebrauch, und die rechtsgelehrten Richter müssen entweder den so constatirten Handelsgebrauch auf Treue und Glauben hinnehmen oder ihren kaufmännischen Collegen erklären, sie, die Kaufleute, verstehen nicht, was ein Handelsgebrauch sei. An diesem Ver¬ ständniß wird es, wie wir schon oben bemerkten, um so mehr fehlen, je weniger Handel, insbesondere Großhandel in dem Gerichtssprengel getrieben wird, und so kann es geschehen, daß der Anspruch eines Kaufmanns gegen einen „Kaufmann" titulirten Krämer abgewiesen wird, weil einige andere Krämer des Orts als Handelsrichter aus voller Ueberzeugung die Existenz eines Gewohnheitsrechtes, eines Handelsgebrauchs bestätigen, wonach z. B. der gesetzlichen Pflicht zu sofortiger Reklamation wegen eines Mangels an der von auswärts übersandten Waare genügt sein soll, wenn solche innerhalb acht Tagen erfolgt. — Neben einer Codifikation von der Art des deutschen Handels-Gesetz-Buchs ist überhaupt für Handelsgebräuche nicht viel Raum; die Berufung auf solche wird häufig den Zweck haben, eine Bestimmung des geschriebenen Rechts als unanwendbar auf den gegebenen Fall darzustellen, und die Information der Gerichte über solche Handelsgebräuche, insbesondere wenn dieselbe von mehr oder minder an der Existenz des Gebrauchs interessirten Kaufleuten ausgeht, wird schwerlich Jemand für besonders wünschenswert!) halten. Kommt aber einmal ein unverdächtiger Handelsgebrauch in Frage, so ist es allerdings die kürzeste Procedur, wenn auf die Erklärung zweier Gerichtsmitglieder hin, daß ihnen ein solcher Brauch bekannt sei, dessen Existenz für festgestellt erklärt wird; allein Kürze ist doch nicht der einzige — und ist nicht immer ein Vorzug des gerichtlichen Verfahrens; die echte Gründlichkeit soll nicht darunter leiden. Die andere Aufgabe der Handelsgerichte soll sein „die Fortbildung des Rechts überhaupt durch einen dauernden Zusammenhang der zur Anwendung des Handelsrechts berufenen Richter mit dem handeltreibenden Publikum, mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein des Handelsstandes". Der Ausdruck: „Zu¬ sammenhang des Richters mit dem Publikum" ist etwas vieldeutig; es soll damit wohl die Forderung ausgesprochen sein, daß der Richter eine lebendige Anschauung von den Verhältnissen haben solle, über welche zu urtheilen er berufen ist. Wir stehen nicht an, diese Forderung in dem Sinn als berech¬ tigt anzuerkennen, daß der Richter nicht ein reiner Akten- und Büchermensch sein soll; während wir es weder für möglich noch für wünschenswerth halten, daß er in jedem einzelnen Fall Sachverständiger sei. Allein aus der Berech¬ tigung jener Forderung folgt für die Berechtigung einer besondern Verfassung der Handelsgerichte nichts oder doch nur sehr wenig; denn wenn es jenes Zusammenhangs wegen nothwendig sein soll, die Handelsgerichte theilweise mit Kaufleuten zu besetzen, so erfordert ebenderselbe Zusammenhang auch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/419>, abgerufen am 22.07.2024.