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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Böhms, Rudolfs, Reichels, Lehmanns. Reichenbachs, dann Gerhards bis zu
Löhrs Garten, sind einer nach dem andern dem unaufhaltsamen Expansions¬
triebe der Stadt und der mit diesem wuchernden Speculation zum Opfer ge¬
fallen; von allen diesen "Lungen" besitzt Leipzig nicht eine mehr, und als ein
immerhin zweifelhafter Ersatz mag lediglich das begrüßt werden, daß an ihrer
Stelle zumeist luftige und schöne Straßen entstanden sind.

Aber noch viel weiter hinaus ging der Eroberungszug. den gleichsam der
immerfort wachsende Wohlstand Leipzigs und das damit zugleich sich steigernde
Selbstgefühl der Leipziger begann. Und hier treffen wir auf eine Erscheinung
von mehr als blos ästhetischer oder socialer, von zugleich tiefgreifend politischer
Bedeutung. In früherer Zeit hatten rings um Leipzig her, wie im Umkreis
der meisten Städte, Familien des landsässigen Adels Jahrhunderte lang auf
angestammten Erbe gesessen. Namentlich die Herren von Dieskau, von Pflug,
von Lüttichau waren bis ins 18. Jahrhundert herein hier reich begütert.
Theils die Noth der Zeit, theils eignes Verschulden zwang aber viele dieser
Adligen, ihrem Erbe den Rücken zu kehren, weil sie den übernommenen Besitz
nicht zu behaupten vermochten. Manche davon zogen es vor, an den glän¬
zenden Hof August's des Starken sich zu drängen und im rasenden Wettlauf
mit heimischen und fremden Standesgenossen um den Preis des Luxus und
der Verschwendung den Erlös aus dem väterlichen Gute zu vergeuden; oder,
durch glänzende und kostspielige Hofämter an den Hof gebannt, setzten sie
ihr Vermögen zu, und mußten dann wohl oder übel ihren Besitz in andere
Hände übergehen sehen. Als auf dem alten sächsischen Landtag zum ersten
Mal der schüchterne Antrag auftauchte, daß doch gestattet werden möchte
(was damals noch verboten war), adlige Güter auch an Bürgerliche zu ver¬
kaufen, da bäumte sich der adlige Stolz auf gegen diese Gedanken. Aber
nicht lange, so bat man selbst die Regierung um Beseitigung des Verbots,
weil nur die Concurrenz der reichgewordenen Städter dem verarmten Adel
eine leidliche Verwerthung selner Güter verhieß.

So sehen wir denn auch in der nächsten Umgegend Leipzigs einen merk¬
würdigen Wechsel in dem Besitze der daselbst gelegenen Rittergüter sich voll¬
ziehen. Wir besitzen aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine
interessante Statistik der Rittergüter in einem ziemlich weiten Umkreis um
Leipzig mit Bezug auf ihren Uebergang aus adligen in bürgerliche Hände.
Da ist zuerst eine Liste von 46 solchen ehemals adligen Gütern, die bereits
1726 in die Hände theils von Privaten -- Rathsherren, Kaufleuten, Gelehrten --
theils der Stadt Leipzig oder der Universität gekommen waren. Der Geh.
Hofrath Grüner, der 1774 starb, besaß nicht weniger als fünf Rittergüter in
der Nähe der Stadt. Homann, früher ein simpler Landfuhrmann, später
Kaufmann in Leipzig, kaufte ein Dutzend Rittergüter in der Nachbarschaft


Böhms, Rudolfs, Reichels, Lehmanns. Reichenbachs, dann Gerhards bis zu
Löhrs Garten, sind einer nach dem andern dem unaufhaltsamen Expansions¬
triebe der Stadt und der mit diesem wuchernden Speculation zum Opfer ge¬
fallen; von allen diesen „Lungen" besitzt Leipzig nicht eine mehr, und als ein
immerhin zweifelhafter Ersatz mag lediglich das begrüßt werden, daß an ihrer
Stelle zumeist luftige und schöne Straßen entstanden sind.

Aber noch viel weiter hinaus ging der Eroberungszug. den gleichsam der
immerfort wachsende Wohlstand Leipzigs und das damit zugleich sich steigernde
Selbstgefühl der Leipziger begann. Und hier treffen wir auf eine Erscheinung
von mehr als blos ästhetischer oder socialer, von zugleich tiefgreifend politischer
Bedeutung. In früherer Zeit hatten rings um Leipzig her, wie im Umkreis
der meisten Städte, Familien des landsässigen Adels Jahrhunderte lang auf
angestammten Erbe gesessen. Namentlich die Herren von Dieskau, von Pflug,
von Lüttichau waren bis ins 18. Jahrhundert herein hier reich begütert.
Theils die Noth der Zeit, theils eignes Verschulden zwang aber viele dieser
Adligen, ihrem Erbe den Rücken zu kehren, weil sie den übernommenen Besitz
nicht zu behaupten vermochten. Manche davon zogen es vor, an den glän¬
zenden Hof August's des Starken sich zu drängen und im rasenden Wettlauf
mit heimischen und fremden Standesgenossen um den Preis des Luxus und
der Verschwendung den Erlös aus dem väterlichen Gute zu vergeuden; oder,
durch glänzende und kostspielige Hofämter an den Hof gebannt, setzten sie
ihr Vermögen zu, und mußten dann wohl oder übel ihren Besitz in andere
Hände übergehen sehen. Als auf dem alten sächsischen Landtag zum ersten
Mal der schüchterne Antrag auftauchte, daß doch gestattet werden möchte
(was damals noch verboten war), adlige Güter auch an Bürgerliche zu ver¬
kaufen, da bäumte sich der adlige Stolz auf gegen diese Gedanken. Aber
nicht lange, so bat man selbst die Regierung um Beseitigung des Verbots,
weil nur die Concurrenz der reichgewordenen Städter dem verarmten Adel
eine leidliche Verwerthung selner Güter verhieß.

So sehen wir denn auch in der nächsten Umgegend Leipzigs einen merk¬
würdigen Wechsel in dem Besitze der daselbst gelegenen Rittergüter sich voll¬
ziehen. Wir besitzen aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine
interessante Statistik der Rittergüter in einem ziemlich weiten Umkreis um
Leipzig mit Bezug auf ihren Uebergang aus adligen in bürgerliche Hände.
Da ist zuerst eine Liste von 46 solchen ehemals adligen Gütern, die bereits
1726 in die Hände theils von Privaten — Rathsherren, Kaufleuten, Gelehrten —
theils der Stadt Leipzig oder der Universität gekommen waren. Der Geh.
Hofrath Grüner, der 1774 starb, besaß nicht weniger als fünf Rittergüter in
der Nähe der Stadt. Homann, früher ein simpler Landfuhrmann, später
Kaufmann in Leipzig, kaufte ein Dutzend Rittergüter in der Nachbarschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/42>, abgerufen am 22.07.2024.