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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Gerichtshofes für Handelssachen, diese Materien nicht unter den zur Zu¬
ständigkeit der Handelsgerichte gehörigen Sachen auf, ohne sie jedoch aus¬
drücklich auszuschließen. Vor welches Gericht gehören nun Klagen aus solchen
Verbindlichkeiten des Bürgen oder des Erben? -- Nehmen wir an, ein Nicht-
Kaufmann hat sich für eine Waarenschuld eines Kaufmanns verbürgt; dieser
wird zahlungsunfähig; der vom Gläubiger angeforderte Bürge verweigert die
Zahlung, zugleich aber auch die Angabe eines Grunds dieser Weigerung;
außergerichtlich kann der Gläubiger ihn zur Angabe dieses Grundes nicht
zwingen, er muß Klage erheben, wenn er denselben erfahren will; aber wo?
Er vermuthet, der Bürge werde Einwendungen erheben, welche dem Haupt¬
schuldner, zustehen könnten und darum, wenn begründet, auch dem Bürgen
zustehen würden, z. B. Einwendungen gegen den rechtlichen Bestand der
Schuld: die Waare sei schlecht gewesen und dem Gläubiger zur Verfügung
gestellt worden u. tgi., -- und klagt demgemäß seine Forderung aus dem
Handelsgeschäft beim Handelsgericht ein; der Bürge aber bestreitet wider Er¬
warten nicht die Forderung, sondern die Existenz oder Gültigkeit seiner Bürg¬
schaft: er habe sich nur unter einer -- nicht eingetretenen -- Bedingung
verbürgt u. tgi.; oder umgekehrt: der vor dem ordentlichen Gericht belangte
Bürge anerkennt zwar gegen Erwarten des Gläubigers, daß er Bürgschaft
geleistet habe, behauptet aber die Ungültigkeit der Hauptschuld. Wenn die
Zuständigkeit des einen und des andern Gerichts nicht durch die Eigenschaften
der streitenden Personen, sondern durch die Beschaffenheit der streitigen
Sache bedingt sein soll, so ist es gleicherweise verkehrt, im ersten Fall das
Handelsgericht, wie im zweiten Fall das ordentliche Gericht entscheiden zu
lassen; und wie, wenn der Bürge beiderlei Einwendungen vor dem einen
oder vor dem andern Gericht vorbringt? In diesem Falle müßte wohl der
Rechtsstreit zerrissen, eine Hälfte vor das Handelsgericht, die andere vor das
ordentliche Gericht verwiesen werden? Denn so gewiß die Frage: ob die
Waare Kaufmannsgut gewesen, oder ob sie rechtzeitig zur Verfügung gestellt
worden sei, nach den Grundsätzen des H andelsrechts, nach den Bestimmungen
des Handelsgesetzbuchs zu entscheiden ist, so gewiß hat das Handelsrecht nichts
mit der Frage zu thun, ob die Bürgschaft bedingt oder unbedingt geleistet
worden, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht. Ganz Aehnliches kann
bei der gegen den Erben eines Kaufmanns anzustellenden Klage vorkommen.
Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des Proceßrechts, daß die
Zuständigkeit des Gerichts sich nach dem Inhalt der Klage, nicht nach dem
Inhalt der Klagbeantwortung bestimmt: entweder diesen Grundsatz oder
den Satz , daß die Handelsgerichte nicht über Streitigkeiten von oder mit
Kaufleuten, sondern über Streitigkeiten des Handelsrechts zu entscheiden haben,
Wir anderen Worten: den Satz, daß die Handelsgerichte keine Standesgerichte


Gerichtshofes für Handelssachen, diese Materien nicht unter den zur Zu¬
ständigkeit der Handelsgerichte gehörigen Sachen auf, ohne sie jedoch aus¬
drücklich auszuschließen. Vor welches Gericht gehören nun Klagen aus solchen
Verbindlichkeiten des Bürgen oder des Erben? — Nehmen wir an, ein Nicht-
Kaufmann hat sich für eine Waarenschuld eines Kaufmanns verbürgt; dieser
wird zahlungsunfähig; der vom Gläubiger angeforderte Bürge verweigert die
Zahlung, zugleich aber auch die Angabe eines Grunds dieser Weigerung;
außergerichtlich kann der Gläubiger ihn zur Angabe dieses Grundes nicht
zwingen, er muß Klage erheben, wenn er denselben erfahren will; aber wo?
Er vermuthet, der Bürge werde Einwendungen erheben, welche dem Haupt¬
schuldner, zustehen könnten und darum, wenn begründet, auch dem Bürgen
zustehen würden, z. B. Einwendungen gegen den rechtlichen Bestand der
Schuld: die Waare sei schlecht gewesen und dem Gläubiger zur Verfügung
gestellt worden u. tgi., — und klagt demgemäß seine Forderung aus dem
Handelsgeschäft beim Handelsgericht ein; der Bürge aber bestreitet wider Er¬
warten nicht die Forderung, sondern die Existenz oder Gültigkeit seiner Bürg¬
schaft: er habe sich nur unter einer — nicht eingetretenen — Bedingung
verbürgt u. tgi.; oder umgekehrt: der vor dem ordentlichen Gericht belangte
Bürge anerkennt zwar gegen Erwarten des Gläubigers, daß er Bürgschaft
geleistet habe, behauptet aber die Ungültigkeit der Hauptschuld. Wenn die
Zuständigkeit des einen und des andern Gerichts nicht durch die Eigenschaften
der streitenden Personen, sondern durch die Beschaffenheit der streitigen
Sache bedingt sein soll, so ist es gleicherweise verkehrt, im ersten Fall das
Handelsgericht, wie im zweiten Fall das ordentliche Gericht entscheiden zu
lassen; und wie, wenn der Bürge beiderlei Einwendungen vor dem einen
oder vor dem andern Gericht vorbringt? In diesem Falle müßte wohl der
Rechtsstreit zerrissen, eine Hälfte vor das Handelsgericht, die andere vor das
ordentliche Gericht verwiesen werden? Denn so gewiß die Frage: ob die
Waare Kaufmannsgut gewesen, oder ob sie rechtzeitig zur Verfügung gestellt
worden sei, nach den Grundsätzen des H andelsrechts, nach den Bestimmungen
des Handelsgesetzbuchs zu entscheiden ist, so gewiß hat das Handelsrecht nichts
mit der Frage zu thun, ob die Bürgschaft bedingt oder unbedingt geleistet
worden, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht. Ganz Aehnliches kann
bei der gegen den Erben eines Kaufmanns anzustellenden Klage vorkommen.
Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des Proceßrechts, daß die
Zuständigkeit des Gerichts sich nach dem Inhalt der Klage, nicht nach dem
Inhalt der Klagbeantwortung bestimmt: entweder diesen Grundsatz oder
den Satz , daß die Handelsgerichte nicht über Streitigkeiten von oder mit
Kaufleuten, sondern über Streitigkeiten des Handelsrechts zu entscheiden haben,
Wir anderen Worten: den Satz, daß die Handelsgerichte keine Standesgerichte


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[0415] Gerichtshofes für Handelssachen, diese Materien nicht unter den zur Zu¬ ständigkeit der Handelsgerichte gehörigen Sachen auf, ohne sie jedoch aus¬ drücklich auszuschließen. Vor welches Gericht gehören nun Klagen aus solchen Verbindlichkeiten des Bürgen oder des Erben? — Nehmen wir an, ein Nicht- Kaufmann hat sich für eine Waarenschuld eines Kaufmanns verbürgt; dieser wird zahlungsunfähig; der vom Gläubiger angeforderte Bürge verweigert die Zahlung, zugleich aber auch die Angabe eines Grunds dieser Weigerung; außergerichtlich kann der Gläubiger ihn zur Angabe dieses Grundes nicht zwingen, er muß Klage erheben, wenn er denselben erfahren will; aber wo? Er vermuthet, der Bürge werde Einwendungen erheben, welche dem Haupt¬ schuldner, zustehen könnten und darum, wenn begründet, auch dem Bürgen zustehen würden, z. B. Einwendungen gegen den rechtlichen Bestand der Schuld: die Waare sei schlecht gewesen und dem Gläubiger zur Verfügung gestellt worden u. tgi., — und klagt demgemäß seine Forderung aus dem Handelsgeschäft beim Handelsgericht ein; der Bürge aber bestreitet wider Er¬ warten nicht die Forderung, sondern die Existenz oder Gültigkeit seiner Bürg¬ schaft: er habe sich nur unter einer — nicht eingetretenen — Bedingung verbürgt u. tgi.; oder umgekehrt: der vor dem ordentlichen Gericht belangte Bürge anerkennt zwar gegen Erwarten des Gläubigers, daß er Bürgschaft geleistet habe, behauptet aber die Ungültigkeit der Hauptschuld. Wenn die Zuständigkeit des einen und des andern Gerichts nicht durch die Eigenschaften der streitenden Personen, sondern durch die Beschaffenheit der streitigen Sache bedingt sein soll, so ist es gleicherweise verkehrt, im ersten Fall das Handelsgericht, wie im zweiten Fall das ordentliche Gericht entscheiden zu lassen; und wie, wenn der Bürge beiderlei Einwendungen vor dem einen oder vor dem andern Gericht vorbringt? In diesem Falle müßte wohl der Rechtsstreit zerrissen, eine Hälfte vor das Handelsgericht, die andere vor das ordentliche Gericht verwiesen werden? Denn so gewiß die Frage: ob die Waare Kaufmannsgut gewesen, oder ob sie rechtzeitig zur Verfügung gestellt worden sei, nach den Grundsätzen des H andelsrechts, nach den Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs zu entscheiden ist, so gewiß hat das Handelsrecht nichts mit der Frage zu thun, ob die Bürgschaft bedingt oder unbedingt geleistet worden, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht. Ganz Aehnliches kann bei der gegen den Erben eines Kaufmanns anzustellenden Klage vorkommen. Es ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des Proceßrechts, daß die Zuständigkeit des Gerichts sich nach dem Inhalt der Klage, nicht nach dem Inhalt der Klagbeantwortung bestimmt: entweder diesen Grundsatz oder den Satz , daß die Handelsgerichte nicht über Streitigkeiten von oder mit Kaufleuten, sondern über Streitigkeiten des Handelsrechts zu entscheiden haben, Wir anderen Worten: den Satz, daß die Handelsgerichte keine Standesgerichte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/415>, abgerufen am 22.07.2024.