Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Handelssachen". Aber was sind Handelssachen? Sie sind ein Theil der
bürgerlichen Rechtssachen; mehr kann der Jurist nicht sagen, denn der "Handel"
ist kein Rechtsbegriff. In Reichs- und Landesgesetzen fehlt es freilich nicht
an Bestimmungen darüber, welche Sachen als "Handelssachen" vor die
Handelsgerichte gehören; allein alle diese Bestimmungen sind willkürlich und
geben zu allen möglichen Zweifeln Anlaß, Zwei Beispiele werden dieß zur
Genüge bestätigen. -- In allen (Reichs- und Landes-) Gesetzen werden als
Handelssachen in erster Linie bezeichnet "Ansprüche gegen einen Kaufmann
aus dessen Handelsgeschäften". Wir wollen von den Schwierigkeiten ganz ab¬
sehen, welche im einzelnen Fall die Frage bereitet, ob Jemand Kaufmann
sei, und fragen nur: was sind Handelsgeschäfte? Hier werden wir denn auf
das Handels-Gesetz-Buch Artikel 271--276 verwiesen, von denen wir nur den
Artikel 274 hervorheben:


"Die von einem Kaufmann geschlossenen Verträge gelten im Zweifel als zu
dem Betrieb des Handclsgewerbes gehörig.

"Die von einem Kaufmann gezeichneten Schuldscheine gelten als im Betrieb
des Handelögewerbes gezeichnet, sofern sich nicht aus denselben das Gegentheil
ergibt."


Demnach kann ein Kaufmann, wenn er aus irgend einem (bewegliche
Sachen betreffenden) Geschäft vor dem ordentlichen Gericht belangt wird, die
Einlassung ablehnen unter Berufung darauf, daß es ein Handelsgeschäft sei,
solange der Kläger nicht das Gegentheil beweist; nach gewöhnlichen Rechts¬
begriffen hat der B eklagte die thatsächliche Grundlage seiner proceßhindernden
Einreden zu beweisen, -- und wenn es sich um eine Klage aus einem Schuld¬
schein handelt, so steht dem Kläger nicht einmal dieser Gegenbeweis offen,
wenn nicht aus dem Schein selbst sich ergibt, daß die Schuld nicht zum
Betrieb des Handelsgewerbes eingegangen ist. Wenn also ein Kaufmann
ein Darlehn aufnimmt, um eine Tochter auszusteuern, und in dem aus¬
gestellten Schuldschein dieses Zwecks keine Erwähnung geschieht, so gehört
die Klage aus dem Darlehn vor das Handelsgericht, denn der Kaufmann
sagt: "ich habe über dieses Darlehn einen Schuldschein ausgestellt, also ist
dasselbe nach Artikel 274 des Handels-Gesetz-Buchs ein Handelsgeschäft".
Freilich eine merkwürdige Logik! und wir fragen: liegt hier ein Sondergericht
für die Sache oder nicht vielmehr ein Sondergericht für die Person vor?
Zweites Beispiel: Die württembergische Handelsgerichtsordnung von 1863
und ebenso die württembergische Civilproceßordnung von 1868 verwies vor
die Handelsgerichte unter Anderem: "Mitverbindlichkeiten für Forderungen,
welche vor die Handelsgerichte gehören", sowie "Ansprüche gegen Erben aus
derartigen Verbindlichkeiten des Erblassers"; ein späteres Gesetz führt in
Uebereinstimmung mit dem Reichsgesetz betreffend die Errichtung eines obersten


Handelssachen". Aber was sind Handelssachen? Sie sind ein Theil der
bürgerlichen Rechtssachen; mehr kann der Jurist nicht sagen, denn der „Handel"
ist kein Rechtsbegriff. In Reichs- und Landesgesetzen fehlt es freilich nicht
an Bestimmungen darüber, welche Sachen als „Handelssachen" vor die
Handelsgerichte gehören; allein alle diese Bestimmungen sind willkürlich und
geben zu allen möglichen Zweifeln Anlaß, Zwei Beispiele werden dieß zur
Genüge bestätigen. — In allen (Reichs- und Landes-) Gesetzen werden als
Handelssachen in erster Linie bezeichnet „Ansprüche gegen einen Kaufmann
aus dessen Handelsgeschäften". Wir wollen von den Schwierigkeiten ganz ab¬
sehen, welche im einzelnen Fall die Frage bereitet, ob Jemand Kaufmann
sei, und fragen nur: was sind Handelsgeschäfte? Hier werden wir denn auf
das Handels-Gesetz-Buch Artikel 271—276 verwiesen, von denen wir nur den
Artikel 274 hervorheben:


„Die von einem Kaufmann geschlossenen Verträge gelten im Zweifel als zu
dem Betrieb des Handclsgewerbes gehörig.

„Die von einem Kaufmann gezeichneten Schuldscheine gelten als im Betrieb
des Handelögewerbes gezeichnet, sofern sich nicht aus denselben das Gegentheil
ergibt."


Demnach kann ein Kaufmann, wenn er aus irgend einem (bewegliche
Sachen betreffenden) Geschäft vor dem ordentlichen Gericht belangt wird, die
Einlassung ablehnen unter Berufung darauf, daß es ein Handelsgeschäft sei,
solange der Kläger nicht das Gegentheil beweist; nach gewöhnlichen Rechts¬
begriffen hat der B eklagte die thatsächliche Grundlage seiner proceßhindernden
Einreden zu beweisen, — und wenn es sich um eine Klage aus einem Schuld¬
schein handelt, so steht dem Kläger nicht einmal dieser Gegenbeweis offen,
wenn nicht aus dem Schein selbst sich ergibt, daß die Schuld nicht zum
Betrieb des Handelsgewerbes eingegangen ist. Wenn also ein Kaufmann
ein Darlehn aufnimmt, um eine Tochter auszusteuern, und in dem aus¬
gestellten Schuldschein dieses Zwecks keine Erwähnung geschieht, so gehört
die Klage aus dem Darlehn vor das Handelsgericht, denn der Kaufmann
sagt: „ich habe über dieses Darlehn einen Schuldschein ausgestellt, also ist
dasselbe nach Artikel 274 des Handels-Gesetz-Buchs ein Handelsgeschäft".
Freilich eine merkwürdige Logik! und wir fragen: liegt hier ein Sondergericht
für die Sache oder nicht vielmehr ein Sondergericht für die Person vor?
Zweites Beispiel: Die württembergische Handelsgerichtsordnung von 1863
und ebenso die württembergische Civilproceßordnung von 1868 verwies vor
die Handelsgerichte unter Anderem: „Mitverbindlichkeiten für Forderungen,
welche vor die Handelsgerichte gehören", sowie „Ansprüche gegen Erben aus
derartigen Verbindlichkeiten des Erblassers"; ein späteres Gesetz führt in
Uebereinstimmung mit dem Reichsgesetz betreffend die Errichtung eines obersten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132108"/>
          <p xml:id="ID_1448" prev="#ID_1447"> Handelssachen". Aber was sind Handelssachen? Sie sind ein Theil der<lb/>
bürgerlichen Rechtssachen; mehr kann der Jurist nicht sagen, denn der &#x201E;Handel"<lb/>
ist kein Rechtsbegriff. In Reichs- und Landesgesetzen fehlt es freilich nicht<lb/>
an Bestimmungen darüber, welche Sachen als &#x201E;Handelssachen" vor die<lb/>
Handelsgerichte gehören; allein alle diese Bestimmungen sind willkürlich und<lb/>
geben zu allen möglichen Zweifeln Anlaß, Zwei Beispiele werden dieß zur<lb/>
Genüge bestätigen. &#x2014; In allen (Reichs- und Landes-) Gesetzen werden als<lb/>
Handelssachen in erster Linie bezeichnet &#x201E;Ansprüche gegen einen Kaufmann<lb/>
aus dessen Handelsgeschäften". Wir wollen von den Schwierigkeiten ganz ab¬<lb/>
sehen, welche im einzelnen Fall die Frage bereitet, ob Jemand Kaufmann<lb/>
sei, und fragen nur: was sind Handelsgeschäfte? Hier werden wir denn auf<lb/>
das Handels-Gesetz-Buch Artikel 271&#x2014;276 verwiesen, von denen wir nur den<lb/>
Artikel 274 hervorheben:</p><lb/>
          <quote>
            <p xml:id="ID_1449"> &#x201E;Die von einem Kaufmann geschlossenen Verträge gelten im Zweifel als zu<lb/>
dem Betrieb des Handclsgewerbes gehörig.</p>
            <p xml:id="ID_1450"> &#x201E;Die von einem Kaufmann gezeichneten Schuldscheine gelten als im Betrieb<lb/>
des Handelögewerbes gezeichnet, sofern sich nicht aus denselben das Gegentheil<lb/>
ergibt."</p>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1451" next="#ID_1452"> Demnach kann ein Kaufmann, wenn er aus irgend einem (bewegliche<lb/>
Sachen betreffenden) Geschäft vor dem ordentlichen Gericht belangt wird, die<lb/>
Einlassung ablehnen unter Berufung darauf, daß es ein Handelsgeschäft sei,<lb/>
solange der Kläger nicht das Gegentheil beweist; nach gewöhnlichen Rechts¬<lb/>
begriffen hat der B eklagte die thatsächliche Grundlage seiner proceßhindernden<lb/>
Einreden zu beweisen, &#x2014; und wenn es sich um eine Klage aus einem Schuld¬<lb/>
schein handelt, so steht dem Kläger nicht einmal dieser Gegenbeweis offen,<lb/>
wenn nicht aus dem Schein selbst sich ergibt, daß die Schuld nicht zum<lb/>
Betrieb des Handelsgewerbes eingegangen ist. Wenn also ein Kaufmann<lb/>
ein Darlehn aufnimmt, um eine Tochter auszusteuern, und in dem aus¬<lb/>
gestellten Schuldschein dieses Zwecks keine Erwähnung geschieht, so gehört<lb/>
die Klage aus dem Darlehn vor das Handelsgericht, denn der Kaufmann<lb/>
sagt: &#x201E;ich habe über dieses Darlehn einen Schuldschein ausgestellt, also ist<lb/>
dasselbe nach Artikel 274 des Handels-Gesetz-Buchs ein Handelsgeschäft".<lb/>
Freilich eine merkwürdige Logik! und wir fragen: liegt hier ein Sondergericht<lb/>
für die Sache oder nicht vielmehr ein Sondergericht für die Person vor?<lb/>
Zweites Beispiel: Die württembergische Handelsgerichtsordnung von 1863<lb/>
und ebenso die württembergische Civilproceßordnung von 1868 verwies vor<lb/>
die Handelsgerichte unter Anderem: &#x201E;Mitverbindlichkeiten für Forderungen,<lb/>
welche vor die Handelsgerichte gehören", sowie &#x201E;Ansprüche gegen Erben aus<lb/>
derartigen Verbindlichkeiten des Erblassers"; ein späteres Gesetz führt in<lb/>
Uebereinstimmung mit dem Reichsgesetz betreffend die Errichtung eines obersten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] Handelssachen". Aber was sind Handelssachen? Sie sind ein Theil der bürgerlichen Rechtssachen; mehr kann der Jurist nicht sagen, denn der „Handel" ist kein Rechtsbegriff. In Reichs- und Landesgesetzen fehlt es freilich nicht an Bestimmungen darüber, welche Sachen als „Handelssachen" vor die Handelsgerichte gehören; allein alle diese Bestimmungen sind willkürlich und geben zu allen möglichen Zweifeln Anlaß, Zwei Beispiele werden dieß zur Genüge bestätigen. — In allen (Reichs- und Landes-) Gesetzen werden als Handelssachen in erster Linie bezeichnet „Ansprüche gegen einen Kaufmann aus dessen Handelsgeschäften". Wir wollen von den Schwierigkeiten ganz ab¬ sehen, welche im einzelnen Fall die Frage bereitet, ob Jemand Kaufmann sei, und fragen nur: was sind Handelsgeschäfte? Hier werden wir denn auf das Handels-Gesetz-Buch Artikel 271—276 verwiesen, von denen wir nur den Artikel 274 hervorheben: „Die von einem Kaufmann geschlossenen Verträge gelten im Zweifel als zu dem Betrieb des Handclsgewerbes gehörig. „Die von einem Kaufmann gezeichneten Schuldscheine gelten als im Betrieb des Handelögewerbes gezeichnet, sofern sich nicht aus denselben das Gegentheil ergibt." Demnach kann ein Kaufmann, wenn er aus irgend einem (bewegliche Sachen betreffenden) Geschäft vor dem ordentlichen Gericht belangt wird, die Einlassung ablehnen unter Berufung darauf, daß es ein Handelsgeschäft sei, solange der Kläger nicht das Gegentheil beweist; nach gewöhnlichen Rechts¬ begriffen hat der B eklagte die thatsächliche Grundlage seiner proceßhindernden Einreden zu beweisen, — und wenn es sich um eine Klage aus einem Schuld¬ schein handelt, so steht dem Kläger nicht einmal dieser Gegenbeweis offen, wenn nicht aus dem Schein selbst sich ergibt, daß die Schuld nicht zum Betrieb des Handelsgewerbes eingegangen ist. Wenn also ein Kaufmann ein Darlehn aufnimmt, um eine Tochter auszusteuern, und in dem aus¬ gestellten Schuldschein dieses Zwecks keine Erwähnung geschieht, so gehört die Klage aus dem Darlehn vor das Handelsgericht, denn der Kaufmann sagt: „ich habe über dieses Darlehn einen Schuldschein ausgestellt, also ist dasselbe nach Artikel 274 des Handels-Gesetz-Buchs ein Handelsgeschäft". Freilich eine merkwürdige Logik! und wir fragen: liegt hier ein Sondergericht für die Sache oder nicht vielmehr ein Sondergericht für die Person vor? Zweites Beispiel: Die württembergische Handelsgerichtsordnung von 1863 und ebenso die württembergische Civilproceßordnung von 1868 verwies vor die Handelsgerichte unter Anderem: „Mitverbindlichkeiten für Forderungen, welche vor die Handelsgerichte gehören", sowie „Ansprüche gegen Erben aus derartigen Verbindlichkeiten des Erblassers"; ein späteres Gesetz führt in Uebereinstimmung mit dem Reichsgesetz betreffend die Errichtung eines obersten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/414>, abgerufen am 22.07.2024.