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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Handelsgerichte oder Kandelsschiedsgerichte?

Daß in dem neuen Entwurf der deutschen Strafproceßordnung das
Schöffeninstitut in der Hauptsache beseitigt ist, dazu hat zu einem nicht ge¬
ringen Theil der lebhafte Widerstand Süddeutschlands gegen dasselbe beige¬
tragen. Ueber die Verdienstlichkeit der Agitation zu Gunsten der Schwurge¬
richte kann man verschiedener Ansicht sein; mag man aber über die Schöffen¬
frage denken, wie man will: in einer Beziehung werden wohl alle Parteien
das Ergebniß des Kampfes um Geschworene oder Schöffen als ein bedauer¬
liches anerkennen: der erste Entwurf hatte unstreitig wenigstens das Gute,
das Strafverfahren in allen Fällen nach einem Princip zu regeln, es war
ein Werk aus einem Guß, beruhend auf dem Gedanken, daß überall im
Strafverfahren Richter aus dem Volk mitzuwirken haben. Diese Harmonie
ist zerstört, und man braucht keineswegs ein Verehrer büreaukratischer Uni-
formität zu sein, um zu bedauern, daß an deren Stelle eine so principlose
Organisation treten soll und treten wird, wie die jetzt vorgesehene: in gro¬
ßen, schweren Straffällen sollen Laien als Geschworene --, inkleinen,
leichten als Schöffen, in mittleren gar nicht mitwirken -- was ist
groß und klein und mittelgroß, schwer und leicht und mittelschwer?

Für diese unerfreuliche Gestaltung der Strafgerichtsverfassung ist wie
gesagt Süddeutschland*) hauptsächlich verantwortlich; es möge darum zur
Sühne einem süddeutschen Juristen gestattet sein, zu Gunsten einer einheit¬
lichen, organischen Gerichtsverfassung in einer andern Richtung, von wo ihr
nach dem von der preußischen Regierung vorgelegten Entwurf des Gerichtsver-
fasfungsgesetzes Gefahr droht, das Wort zu ergreisen. Die Besprechung der
Frage der Handelsgerichte wird an die Geschworenen- und Schöffen-Frage
um so mehr anknüpfen dürfen, als sowohl die übliche Vertheidigung so der
Geschworenen- wie der Handelsgerichte, als auch unsere Einwendungen gegen
beide von demselben Grundgedanken ausgehen.

Daß materielles Recht, Gerichtsverfahren und Gerichtsverfassung drei
wesentlich verschiedene Dinge sind, bedarf für Niemand eines Beweises; ebenso
gewiß aber ist es, daß zwischen denselben ein vielfacher, mehr oder weniger



Die Red. ") Und Sachsen?
Grenzboten til. 1874,61
Handelsgerichte oder Kandelsschiedsgerichte?

Daß in dem neuen Entwurf der deutschen Strafproceßordnung das
Schöffeninstitut in der Hauptsache beseitigt ist, dazu hat zu einem nicht ge¬
ringen Theil der lebhafte Widerstand Süddeutschlands gegen dasselbe beige¬
tragen. Ueber die Verdienstlichkeit der Agitation zu Gunsten der Schwurge¬
richte kann man verschiedener Ansicht sein; mag man aber über die Schöffen¬
frage denken, wie man will: in einer Beziehung werden wohl alle Parteien
das Ergebniß des Kampfes um Geschworene oder Schöffen als ein bedauer¬
liches anerkennen: der erste Entwurf hatte unstreitig wenigstens das Gute,
das Strafverfahren in allen Fällen nach einem Princip zu regeln, es war
ein Werk aus einem Guß, beruhend auf dem Gedanken, daß überall im
Strafverfahren Richter aus dem Volk mitzuwirken haben. Diese Harmonie
ist zerstört, und man braucht keineswegs ein Verehrer büreaukratischer Uni-
formität zu sein, um zu bedauern, daß an deren Stelle eine so principlose
Organisation treten soll und treten wird, wie die jetzt vorgesehene: in gro¬
ßen, schweren Straffällen sollen Laien als Geschworene —, inkleinen,
leichten als Schöffen, in mittleren gar nicht mitwirken — was ist
groß und klein und mittelgroß, schwer und leicht und mittelschwer?

Für diese unerfreuliche Gestaltung der Strafgerichtsverfassung ist wie
gesagt Süddeutschland*) hauptsächlich verantwortlich; es möge darum zur
Sühne einem süddeutschen Juristen gestattet sein, zu Gunsten einer einheit¬
lichen, organischen Gerichtsverfassung in einer andern Richtung, von wo ihr
nach dem von der preußischen Regierung vorgelegten Entwurf des Gerichtsver-
fasfungsgesetzes Gefahr droht, das Wort zu ergreisen. Die Besprechung der
Frage der Handelsgerichte wird an die Geschworenen- und Schöffen-Frage
um so mehr anknüpfen dürfen, als sowohl die übliche Vertheidigung so der
Geschworenen- wie der Handelsgerichte, als auch unsere Einwendungen gegen
beide von demselben Grundgedanken ausgehen.

Daß materielles Recht, Gerichtsverfahren und Gerichtsverfassung drei
wesentlich verschiedene Dinge sind, bedarf für Niemand eines Beweises; ebenso
gewiß aber ist es, daß zwischen denselben ein vielfacher, mehr oder weniger



Die Red. ") Und Sachsen?
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[0409] Handelsgerichte oder Kandelsschiedsgerichte? Daß in dem neuen Entwurf der deutschen Strafproceßordnung das Schöffeninstitut in der Hauptsache beseitigt ist, dazu hat zu einem nicht ge¬ ringen Theil der lebhafte Widerstand Süddeutschlands gegen dasselbe beige¬ tragen. Ueber die Verdienstlichkeit der Agitation zu Gunsten der Schwurge¬ richte kann man verschiedener Ansicht sein; mag man aber über die Schöffen¬ frage denken, wie man will: in einer Beziehung werden wohl alle Parteien das Ergebniß des Kampfes um Geschworene oder Schöffen als ein bedauer¬ liches anerkennen: der erste Entwurf hatte unstreitig wenigstens das Gute, das Strafverfahren in allen Fällen nach einem Princip zu regeln, es war ein Werk aus einem Guß, beruhend auf dem Gedanken, daß überall im Strafverfahren Richter aus dem Volk mitzuwirken haben. Diese Harmonie ist zerstört, und man braucht keineswegs ein Verehrer büreaukratischer Uni- formität zu sein, um zu bedauern, daß an deren Stelle eine so principlose Organisation treten soll und treten wird, wie die jetzt vorgesehene: in gro¬ ßen, schweren Straffällen sollen Laien als Geschworene —, inkleinen, leichten als Schöffen, in mittleren gar nicht mitwirken — was ist groß und klein und mittelgroß, schwer und leicht und mittelschwer? Für diese unerfreuliche Gestaltung der Strafgerichtsverfassung ist wie gesagt Süddeutschland*) hauptsächlich verantwortlich; es möge darum zur Sühne einem süddeutschen Juristen gestattet sein, zu Gunsten einer einheit¬ lichen, organischen Gerichtsverfassung in einer andern Richtung, von wo ihr nach dem von der preußischen Regierung vorgelegten Entwurf des Gerichtsver- fasfungsgesetzes Gefahr droht, das Wort zu ergreisen. Die Besprechung der Frage der Handelsgerichte wird an die Geschworenen- und Schöffen-Frage um so mehr anknüpfen dürfen, als sowohl die übliche Vertheidigung so der Geschworenen- wie der Handelsgerichte, als auch unsere Einwendungen gegen beide von demselben Grundgedanken ausgehen. Daß materielles Recht, Gerichtsverfahren und Gerichtsverfassung drei wesentlich verschiedene Dinge sind, bedarf für Niemand eines Beweises; ebenso gewiß aber ist es, daß zwischen denselben ein vielfacher, mehr oder weniger Die Red. ") Und Sachsen? Grenzboten til. 1874,61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/409>, abgerufen am 22.07.2024.