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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Schatten gestellt worden; darüber herrschte unter Künstlern und Kunstwissen¬
schaftern nur eine Stimme. Aber freilich, in Frankreich ist eben seit Jahr"
Hunderten schon eine wahrhaft großartige Pflege der bildenden Kunst von
Seiten des Staates und der Gemeinde traditionell, und der segensreichen
Macht dieser Tradition hat selbst der Krieg von 1870 und 1871 nichts an¬
haben können. In Deutschland haben die Gemeinden schon seit dem dreißig¬
jährigen Kriege nichts mehr für die bildende Kunst gethan, und die Ueber¬
zeugung, daß es Pflicht und Ehrensache jeder größeren Stadt sei, alljährlich
in ihrem Budget einen erklecklichen Posten auch für die bildende Kunst aus¬
zusetzen, ist den Bierphilistern unserer Stadtverordnetencollegien dermaßen ab¬
handen gekommen, daß jeder von ihnen uns ins Gesicht lachen würde, wenn
wir versuchen wollten, ihnen diese Wahrheit aufs neue begreiflich zu machen.
Oeffentliche Bauten, welche von Gemeinden aufgeführt werden, haben schon
längst nichts mehr mit der Kunst zu thun. Und im Staate hat es die jeder
Kunstbildung baare Bureaukratie nicht besser gemacht. Unter solchen Um¬
ständen muß die Kunst verkümmern. Die Hilflosigkeit unserer Künstler in
technischen, die Geschmacklosigkeit unserer Handwerker in formalen Dingen,
der Mangel jedes tieferen Kunstinteresses und Kunstverständnisses bei sonst
recht wohlgebildeten Leuten, alle diese Erscheinungen sind denn auch auf die¬
selbe Quelle zurückzuführen, auf die ungenügende Förderung, die bei uns
seit langer Zeit der bildenden Kunst durch den Staat und die Gemeinde zu
Theil geworden ist.

Seit uns der Krieg die nationale Einheit errungen hat. scheint es Gott
Lob, als ob wir auch in der Kunstpflege erfreulicheren Zuständen entgegen¬
gingen. Aller Orten wenigstens rührt und regt man sich, um die in Wien
erlittene Niederlage mit der Zeit wieder gut zu machen. Wenn heute noch
einmal die berühmte Weigel'sche Sammlung ältester Druckerzeugnisse der
preußischen Regierung zum Kaufe angeboten werden könnte, gewiß, sie würde
sie als Ganzes erwerben, sie würde nicht dulden, was vor zwei Jahren noch
möglich war. daß solch eine einzig dastehende Sammlung unter den Hammer
kam, in alle Winde zerstreut wurde und die besten und werthvollsten Stücke
davon das Ausland entführte. Der kürzlich vollzogene Ankauf der Suer-
mondt'schen Gemäldesammlung und eines vollständigen Werkes von Altare
von Everdingen für das Berliner Museum, die Berufung von wissen¬
schaftlich gebildeten Sachverständigen in Aemter, welche früher nur als
Sinecuren adliger Herren betrachtet wurden, die Ausrüstung einer deutschen
Erpedition zur Leitung von Ausgrabungen auf dem Boden des alten
Olympia, diese und manche andere erfreuliche Vorgänge der jüngsten Zeit
beweisen, daß in den leitenden Regionen die Erkenntniß von den Pflichten,
die ein großer und mächtiger Staat der Kunst gegenüber zu erfüllen hat,


Schatten gestellt worden; darüber herrschte unter Künstlern und Kunstwissen¬
schaftern nur eine Stimme. Aber freilich, in Frankreich ist eben seit Jahr»
Hunderten schon eine wahrhaft großartige Pflege der bildenden Kunst von
Seiten des Staates und der Gemeinde traditionell, und der segensreichen
Macht dieser Tradition hat selbst der Krieg von 1870 und 1871 nichts an¬
haben können. In Deutschland haben die Gemeinden schon seit dem dreißig¬
jährigen Kriege nichts mehr für die bildende Kunst gethan, und die Ueber¬
zeugung, daß es Pflicht und Ehrensache jeder größeren Stadt sei, alljährlich
in ihrem Budget einen erklecklichen Posten auch für die bildende Kunst aus¬
zusetzen, ist den Bierphilistern unserer Stadtverordnetencollegien dermaßen ab¬
handen gekommen, daß jeder von ihnen uns ins Gesicht lachen würde, wenn
wir versuchen wollten, ihnen diese Wahrheit aufs neue begreiflich zu machen.
Oeffentliche Bauten, welche von Gemeinden aufgeführt werden, haben schon
längst nichts mehr mit der Kunst zu thun. Und im Staate hat es die jeder
Kunstbildung baare Bureaukratie nicht besser gemacht. Unter solchen Um¬
ständen muß die Kunst verkümmern. Die Hilflosigkeit unserer Künstler in
technischen, die Geschmacklosigkeit unserer Handwerker in formalen Dingen,
der Mangel jedes tieferen Kunstinteresses und Kunstverständnisses bei sonst
recht wohlgebildeten Leuten, alle diese Erscheinungen sind denn auch auf die¬
selbe Quelle zurückzuführen, auf die ungenügende Förderung, die bei uns
seit langer Zeit der bildenden Kunst durch den Staat und die Gemeinde zu
Theil geworden ist.

Seit uns der Krieg die nationale Einheit errungen hat. scheint es Gott
Lob, als ob wir auch in der Kunstpflege erfreulicheren Zuständen entgegen¬
gingen. Aller Orten wenigstens rührt und regt man sich, um die in Wien
erlittene Niederlage mit der Zeit wieder gut zu machen. Wenn heute noch
einmal die berühmte Weigel'sche Sammlung ältester Druckerzeugnisse der
preußischen Regierung zum Kaufe angeboten werden könnte, gewiß, sie würde
sie als Ganzes erwerben, sie würde nicht dulden, was vor zwei Jahren noch
möglich war. daß solch eine einzig dastehende Sammlung unter den Hammer
kam, in alle Winde zerstreut wurde und die besten und werthvollsten Stücke
davon das Ausland entführte. Der kürzlich vollzogene Ankauf der Suer-
mondt'schen Gemäldesammlung und eines vollständigen Werkes von Altare
von Everdingen für das Berliner Museum, die Berufung von wissen¬
schaftlich gebildeten Sachverständigen in Aemter, welche früher nur als
Sinecuren adliger Herren betrachtet wurden, die Ausrüstung einer deutschen
Erpedition zur Leitung von Ausgrabungen auf dem Boden des alten
Olympia, diese und manche andere erfreuliche Vorgänge der jüngsten Zeit
beweisen, daß in den leitenden Regionen die Erkenntniß von den Pflichten,
die ein großer und mächtiger Staat der Kunst gegenüber zu erfüllen hat,


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[0400] Schatten gestellt worden; darüber herrschte unter Künstlern und Kunstwissen¬ schaftern nur eine Stimme. Aber freilich, in Frankreich ist eben seit Jahr» Hunderten schon eine wahrhaft großartige Pflege der bildenden Kunst von Seiten des Staates und der Gemeinde traditionell, und der segensreichen Macht dieser Tradition hat selbst der Krieg von 1870 und 1871 nichts an¬ haben können. In Deutschland haben die Gemeinden schon seit dem dreißig¬ jährigen Kriege nichts mehr für die bildende Kunst gethan, und die Ueber¬ zeugung, daß es Pflicht und Ehrensache jeder größeren Stadt sei, alljährlich in ihrem Budget einen erklecklichen Posten auch für die bildende Kunst aus¬ zusetzen, ist den Bierphilistern unserer Stadtverordnetencollegien dermaßen ab¬ handen gekommen, daß jeder von ihnen uns ins Gesicht lachen würde, wenn wir versuchen wollten, ihnen diese Wahrheit aufs neue begreiflich zu machen. Oeffentliche Bauten, welche von Gemeinden aufgeführt werden, haben schon längst nichts mehr mit der Kunst zu thun. Und im Staate hat es die jeder Kunstbildung baare Bureaukratie nicht besser gemacht. Unter solchen Um¬ ständen muß die Kunst verkümmern. Die Hilflosigkeit unserer Künstler in technischen, die Geschmacklosigkeit unserer Handwerker in formalen Dingen, der Mangel jedes tieferen Kunstinteresses und Kunstverständnisses bei sonst recht wohlgebildeten Leuten, alle diese Erscheinungen sind denn auch auf die¬ selbe Quelle zurückzuführen, auf die ungenügende Förderung, die bei uns seit langer Zeit der bildenden Kunst durch den Staat und die Gemeinde zu Theil geworden ist. Seit uns der Krieg die nationale Einheit errungen hat. scheint es Gott Lob, als ob wir auch in der Kunstpflege erfreulicheren Zuständen entgegen¬ gingen. Aller Orten wenigstens rührt und regt man sich, um die in Wien erlittene Niederlage mit der Zeit wieder gut zu machen. Wenn heute noch einmal die berühmte Weigel'sche Sammlung ältester Druckerzeugnisse der preußischen Regierung zum Kaufe angeboten werden könnte, gewiß, sie würde sie als Ganzes erwerben, sie würde nicht dulden, was vor zwei Jahren noch möglich war. daß solch eine einzig dastehende Sammlung unter den Hammer kam, in alle Winde zerstreut wurde und die besten und werthvollsten Stücke davon das Ausland entführte. Der kürzlich vollzogene Ankauf der Suer- mondt'schen Gemäldesammlung und eines vollständigen Werkes von Altare von Everdingen für das Berliner Museum, die Berufung von wissen¬ schaftlich gebildeten Sachverständigen in Aemter, welche früher nur als Sinecuren adliger Herren betrachtet wurden, die Ausrüstung einer deutschen Erpedition zur Leitung von Ausgrabungen auf dem Boden des alten Olympia, diese und manche andere erfreuliche Vorgänge der jüngsten Zeit beweisen, daß in den leitenden Regionen die Erkenntniß von den Pflichten, die ein großer und mächtiger Staat der Kunst gegenüber zu erfüllen hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/400>, abgerufen am 22.07.2024.