Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.licher Kunstbildung und wirklichem Kunstinteresse, und der dritte der oben Wenn bisher ein deutscher Verleger von einem ähnlichen Werke wie dem Reden wir doch nicht länger davon, daß die deutsche Kleinstaaterei licher Kunstbildung und wirklichem Kunstinteresse, und der dritte der oben Wenn bisher ein deutscher Verleger von einem ähnlichen Werke wie dem Reden wir doch nicht länger davon, daß die deutsche Kleinstaaterei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132093"/> <p xml:id="ID_1414" prev="#ID_1413"> licher Kunstbildung und wirklichem Kunstinteresse, und der dritte der oben<lb/> angeführten Gründe ist somit jedenfalls der entscheidendste.</p><lb/> <p xml:id="ID_1415"> Wenn bisher ein deutscher Verleger von einem ähnlichen Werke wie dem<lb/> »Heidelberger Schloß" von Pfnor 200 Exemplare herstellte, so rechnete er<lb/> darauf, daß etwa 120 davon ins Ausland gingen, an reiche und kunstliebende<lb/> französische und englische Privaten; was im Lande blieb, das kauften öffent¬<lb/> liche Bibliotheken, Kunstvereine und wohldotirte Lehranstalten: ganz ver¬<lb/> einzelte Exemplare kamen in deutschen Privatbesitz. Dagegen bringt die<lb/> Weihnachtszeit bei uns alljährlich unter dem Titel „Prachtwerke" litterarische<lb/> Erzeugnisse auf den Markt, die verhältnißmäßig eben so theuer oder noch theurer<lb/> sind, als jene französische Publication des Heidelberger Schlosses, und die in<lb/> unseren wohlhabenden Kreisen massenhaft gekauft werden. Und welcher Art sind<lb/> diese „Prachtwerke"? Man hat sie treffend mit dem Namen „Gründerlttteratur"<lb/> bezeichnet, diese thörichten Albums und Anthologien in Großfolio mit ihren<lb/> knallfarbigen Buntdrucken, ihren goldstrotzendem Einbanddecken und der<lb/> glänzenden Maculatur ihres Textes, aber mit Vergnügen werden für einen<lb/> Band dieser „Gründerlitteratur" 20 und 25 Thaler bezahlt! Und wenn<lb/> man weiter bedenkt, daß ein Auswuchs französischer Kunst wie die Dore"sche<lb/> ..Prachtbibel", in welcher uns die ganze biblische Geschichte im Geschmack der<lb/> großen Oper von Paris mit obligater Magnesiumbeleuchtung vorgeführt wird,<lb/> in Deutschland in Hunderten von Exemplaren verbreitet ist — sie kostet<lb/> 35 Thaler! — so schwindet wohl jeder Zweifel darüber, wo die wahren<lb/> Gründe für die oben erwähnte deprimirende Thatsache zu suchen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1416" next="#ID_1417"> Reden wir doch nicht länger davon, daß die deutsche Kleinstaaterei<lb/> wenigstens den einen Segen gehabt habe, Kunst und Kunstinteresse in unserem<lb/> Vaterlande zu fördern. In dem und jenem Ländchen höchst ehrenwerthe Bestre¬<lb/> bungen, wo privatmännische Liebhaberei des Fürsten hinzukam, auch vereinzelte<lb/> stattliche Ausgaben, oft genug aber bloß ein bischen Kunstsimpelei, die dazu<lb/> diente, ein Surrogat für das gänzlich mangelnde politische Leben abzugeben.<lb/> Es ist nicht wahr, daß die Kunst bei der Kleinstaaterei gedeihen kann. Die<lb/> Kunst braucht reiche Mittel und große Aufgaben, wenn ihre Kräfte nicht ein¬<lb/> rosten sollen, und nur der wirkliche Staat, der Großstaat, kann diese Mittel<lb/> spenden und reiche Aufgaben stellen. Frankreich mit seiner von den Anbetern<lb/> der deutschen Kleinstaaterei vielverschrieenen Centralisation hat uns auf der<lb/> Wiener Weltausstellung in diesem Puncte eine empfindliche Lehre gegeben.<lb/> Was für Schläge und Niederlagen hat Frankreich 1870 und 1871 erlitten,<lb/> welche Summen hat es als Kriegsentschädigung aufgebracht — und doch<lb/> welche Triumphe hat dieses selbe Land zwei Jahre später wieder in dem<lb/> friedlichen Wettkampfe der Völker in Wien gefeiert! Durch die Kunstausstellung<lb/> der einen Stadt Paris allein war die ganze deutsche Kunstausstellung in den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0399]
licher Kunstbildung und wirklichem Kunstinteresse, und der dritte der oben
angeführten Gründe ist somit jedenfalls der entscheidendste.
Wenn bisher ein deutscher Verleger von einem ähnlichen Werke wie dem
»Heidelberger Schloß" von Pfnor 200 Exemplare herstellte, so rechnete er
darauf, daß etwa 120 davon ins Ausland gingen, an reiche und kunstliebende
französische und englische Privaten; was im Lande blieb, das kauften öffent¬
liche Bibliotheken, Kunstvereine und wohldotirte Lehranstalten: ganz ver¬
einzelte Exemplare kamen in deutschen Privatbesitz. Dagegen bringt die
Weihnachtszeit bei uns alljährlich unter dem Titel „Prachtwerke" litterarische
Erzeugnisse auf den Markt, die verhältnißmäßig eben so theuer oder noch theurer
sind, als jene französische Publication des Heidelberger Schlosses, und die in
unseren wohlhabenden Kreisen massenhaft gekauft werden. Und welcher Art sind
diese „Prachtwerke"? Man hat sie treffend mit dem Namen „Gründerlttteratur"
bezeichnet, diese thörichten Albums und Anthologien in Großfolio mit ihren
knallfarbigen Buntdrucken, ihren goldstrotzendem Einbanddecken und der
glänzenden Maculatur ihres Textes, aber mit Vergnügen werden für einen
Band dieser „Gründerlitteratur" 20 und 25 Thaler bezahlt! Und wenn
man weiter bedenkt, daß ein Auswuchs französischer Kunst wie die Dore"sche
..Prachtbibel", in welcher uns die ganze biblische Geschichte im Geschmack der
großen Oper von Paris mit obligater Magnesiumbeleuchtung vorgeführt wird,
in Deutschland in Hunderten von Exemplaren verbreitet ist — sie kostet
35 Thaler! — so schwindet wohl jeder Zweifel darüber, wo die wahren
Gründe für die oben erwähnte deprimirende Thatsache zu suchen sind.
Reden wir doch nicht länger davon, daß die deutsche Kleinstaaterei
wenigstens den einen Segen gehabt habe, Kunst und Kunstinteresse in unserem
Vaterlande zu fördern. In dem und jenem Ländchen höchst ehrenwerthe Bestre¬
bungen, wo privatmännische Liebhaberei des Fürsten hinzukam, auch vereinzelte
stattliche Ausgaben, oft genug aber bloß ein bischen Kunstsimpelei, die dazu
diente, ein Surrogat für das gänzlich mangelnde politische Leben abzugeben.
Es ist nicht wahr, daß die Kunst bei der Kleinstaaterei gedeihen kann. Die
Kunst braucht reiche Mittel und große Aufgaben, wenn ihre Kräfte nicht ein¬
rosten sollen, und nur der wirkliche Staat, der Großstaat, kann diese Mittel
spenden und reiche Aufgaben stellen. Frankreich mit seiner von den Anbetern
der deutschen Kleinstaaterei vielverschrieenen Centralisation hat uns auf der
Wiener Weltausstellung in diesem Puncte eine empfindliche Lehre gegeben.
Was für Schläge und Niederlagen hat Frankreich 1870 und 1871 erlitten,
welche Summen hat es als Kriegsentschädigung aufgebracht — und doch
welche Triumphe hat dieses selbe Land zwei Jahre später wieder in dem
friedlichen Wettkampfe der Völker in Wien gefeiert! Durch die Kunstausstellung
der einen Stadt Paris allein war die ganze deutsche Kunstausstellung in den
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