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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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gang in die innere Stadt durch die entsprechenden Thore oder "Pförtchen" ver¬
mittelten. Zwei solcher "Basteien" ragten besonders hervor, die "Moritz¬
bastei" , auf deren Grund heut die Erste Bürgerschule ruht, und die am
Ranstädter Thore, welche 1766 dem damals neuen, jetzt alten Theater weichen
mußte; zwischen beiden die eigentliche alte Festung, die Pleißenburg, damals
-- mit ihren Gräben ringsum und ihren von allen Seiten unnahbaren
Bastionen -- ein wirkliches Bedürfniß für die zur Abwehr nach außen ge¬
rüstete Stadt, jetzt -- man weiß nicht recht, ob ein "Zwing-Leipzig" oder
nur ein Product und Denkmal von allerlei "Mißverständnissen", jedenfalls
ein sehr unbequemer Anachronismus.

Leipzig blieb Festung bis nach dem 7-jährigen Kriege. Da erst über¬
zeugte man sich, daß bei der fortgeschrittenen Entwickelung des Kriegswesens
und namentlich der Angriffswaffen, der Nutzen solcher Befestigungen, so weit
sie nicht als wirklich feste Plätze einer größern Truppenmacht zum Stützpunkt
dienten, nur sehr zweifelhaft, deren Nachtheil für die darin eingeengte und
dadurch selbst zu einem Kampfesobjecte gemachte Stadt ein unverhältnißmäßig
großer sei. So begann man allmälig mit Abtragung der Festungswerke,
Ausfüllung der Gräben, kurz, Verwandlung der Stadt in einen offenen, an
seiner freien Entfaltung nach außen und seiner Verschönerung nicht mehr
gehinderten Ort. Schon 1766 ward die Ranstädter Bastei abgebrochen, um,
wie erwähnt, das Theater dorthin zu bauen; das gleiche Schicksal hatte um
wenig Jahre später, 1772, die Moritzbastei. Planmäßiger ging die Abtragung
der Wälle und die Ehrung des Bodens, der sich dann bald mit Anlagen,
"Promenaden", bedeckte, seit dem Jahre 1771 vor sich. Es scheint, als habe
die Zeit furchtbarer Theuerung, die damals durch Mißerndte über Sachsen
hereinbrach, den Rath der Stadt Leipzig veranlaßt, mit der Verschönerung
der Stadt zugleich ein humanitäres Werk zu vollziehen und den hungernden
Arbeitern Brod zu schaffen. Bis zum Jahre 1777 war ein großer Theil der
Wälle in die Gräben geworfen und so der Zugang zwischen Stadt und Vor¬
stadt geebnet.

An seiner innern Verschönerung hatte Leipzig indeß schon viel früher,
trotz des noch vorhandenen hemmenden Festungsgürtels, rührig zu arbeiten
begonnen.

Wenig mehr als ein Menschenalter hatte genügt, um in dem durch den
30-jährigen Krieg direct und indirect so schwer heimgesuchten Leipzig den
lange darnieder liegenden Handelsgeist und Gewerbfleiß aufs neue zu
beleben und damit auch den gesunkenen Wohlstand wieder zu heben. Was
von Sachsen im Allgemeinen oftmals gerühmt worden ist: "wenn man es
auch ruiniren wollte, würde man es doch nicht können," das gilt von Leipzig
insbesondere in vollem Maße. Nur etwa dreißig Jahre seit dem Ende des


gang in die innere Stadt durch die entsprechenden Thore oder „Pförtchen" ver¬
mittelten. Zwei solcher „Basteien" ragten besonders hervor, die „Moritz¬
bastei" , auf deren Grund heut die Erste Bürgerschule ruht, und die am
Ranstädter Thore, welche 1766 dem damals neuen, jetzt alten Theater weichen
mußte; zwischen beiden die eigentliche alte Festung, die Pleißenburg, damals
— mit ihren Gräben ringsum und ihren von allen Seiten unnahbaren
Bastionen — ein wirkliches Bedürfniß für die zur Abwehr nach außen ge¬
rüstete Stadt, jetzt — man weiß nicht recht, ob ein „Zwing-Leipzig" oder
nur ein Product und Denkmal von allerlei „Mißverständnissen", jedenfalls
ein sehr unbequemer Anachronismus.

Leipzig blieb Festung bis nach dem 7-jährigen Kriege. Da erst über¬
zeugte man sich, daß bei der fortgeschrittenen Entwickelung des Kriegswesens
und namentlich der Angriffswaffen, der Nutzen solcher Befestigungen, so weit
sie nicht als wirklich feste Plätze einer größern Truppenmacht zum Stützpunkt
dienten, nur sehr zweifelhaft, deren Nachtheil für die darin eingeengte und
dadurch selbst zu einem Kampfesobjecte gemachte Stadt ein unverhältnißmäßig
großer sei. So begann man allmälig mit Abtragung der Festungswerke,
Ausfüllung der Gräben, kurz, Verwandlung der Stadt in einen offenen, an
seiner freien Entfaltung nach außen und seiner Verschönerung nicht mehr
gehinderten Ort. Schon 1766 ward die Ranstädter Bastei abgebrochen, um,
wie erwähnt, das Theater dorthin zu bauen; das gleiche Schicksal hatte um
wenig Jahre später, 1772, die Moritzbastei. Planmäßiger ging die Abtragung
der Wälle und die Ehrung des Bodens, der sich dann bald mit Anlagen,
„Promenaden", bedeckte, seit dem Jahre 1771 vor sich. Es scheint, als habe
die Zeit furchtbarer Theuerung, die damals durch Mißerndte über Sachsen
hereinbrach, den Rath der Stadt Leipzig veranlaßt, mit der Verschönerung
der Stadt zugleich ein humanitäres Werk zu vollziehen und den hungernden
Arbeitern Brod zu schaffen. Bis zum Jahre 1777 war ein großer Theil der
Wälle in die Gräben geworfen und so der Zugang zwischen Stadt und Vor¬
stadt geebnet.

An seiner innern Verschönerung hatte Leipzig indeß schon viel früher,
trotz des noch vorhandenen hemmenden Festungsgürtels, rührig zu arbeiten
begonnen.

Wenig mehr als ein Menschenalter hatte genügt, um in dem durch den
30-jährigen Krieg direct und indirect so schwer heimgesuchten Leipzig den
lange darnieder liegenden Handelsgeist und Gewerbfleiß aufs neue zu
beleben und damit auch den gesunkenen Wohlstand wieder zu heben. Was
von Sachsen im Allgemeinen oftmals gerühmt worden ist: „wenn man es
auch ruiniren wollte, würde man es doch nicht können," das gilt von Leipzig
insbesondere in vollem Maße. Nur etwa dreißig Jahre seit dem Ende des


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[0038] gang in die innere Stadt durch die entsprechenden Thore oder „Pförtchen" ver¬ mittelten. Zwei solcher „Basteien" ragten besonders hervor, die „Moritz¬ bastei" , auf deren Grund heut die Erste Bürgerschule ruht, und die am Ranstädter Thore, welche 1766 dem damals neuen, jetzt alten Theater weichen mußte; zwischen beiden die eigentliche alte Festung, die Pleißenburg, damals — mit ihren Gräben ringsum und ihren von allen Seiten unnahbaren Bastionen — ein wirkliches Bedürfniß für die zur Abwehr nach außen ge¬ rüstete Stadt, jetzt — man weiß nicht recht, ob ein „Zwing-Leipzig" oder nur ein Product und Denkmal von allerlei „Mißverständnissen", jedenfalls ein sehr unbequemer Anachronismus. Leipzig blieb Festung bis nach dem 7-jährigen Kriege. Da erst über¬ zeugte man sich, daß bei der fortgeschrittenen Entwickelung des Kriegswesens und namentlich der Angriffswaffen, der Nutzen solcher Befestigungen, so weit sie nicht als wirklich feste Plätze einer größern Truppenmacht zum Stützpunkt dienten, nur sehr zweifelhaft, deren Nachtheil für die darin eingeengte und dadurch selbst zu einem Kampfesobjecte gemachte Stadt ein unverhältnißmäßig großer sei. So begann man allmälig mit Abtragung der Festungswerke, Ausfüllung der Gräben, kurz, Verwandlung der Stadt in einen offenen, an seiner freien Entfaltung nach außen und seiner Verschönerung nicht mehr gehinderten Ort. Schon 1766 ward die Ranstädter Bastei abgebrochen, um, wie erwähnt, das Theater dorthin zu bauen; das gleiche Schicksal hatte um wenig Jahre später, 1772, die Moritzbastei. Planmäßiger ging die Abtragung der Wälle und die Ehrung des Bodens, der sich dann bald mit Anlagen, „Promenaden", bedeckte, seit dem Jahre 1771 vor sich. Es scheint, als habe die Zeit furchtbarer Theuerung, die damals durch Mißerndte über Sachsen hereinbrach, den Rath der Stadt Leipzig veranlaßt, mit der Verschönerung der Stadt zugleich ein humanitäres Werk zu vollziehen und den hungernden Arbeitern Brod zu schaffen. Bis zum Jahre 1777 war ein großer Theil der Wälle in die Gräben geworfen und so der Zugang zwischen Stadt und Vor¬ stadt geebnet. An seiner innern Verschönerung hatte Leipzig indeß schon viel früher, trotz des noch vorhandenen hemmenden Festungsgürtels, rührig zu arbeiten begonnen. Wenig mehr als ein Menschenalter hatte genügt, um in dem durch den 30-jährigen Krieg direct und indirect so schwer heimgesuchten Leipzig den lange darnieder liegenden Handelsgeist und Gewerbfleiß aufs neue zu beleben und damit auch den gesunkenen Wohlstand wieder zu heben. Was von Sachsen im Allgemeinen oftmals gerühmt worden ist: „wenn man es auch ruiniren wollte, würde man es doch nicht können," das gilt von Leipzig insbesondere in vollem Maße. Nur etwa dreißig Jahre seit dem Ende des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/38>, abgerufen am 24.08.2024.