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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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schauende P aulin erkirche, von ihr rechtshin bis zur Bürgerschule, die nebst dem
Teubner'schen Hause der einzige ansehnliche Bau war, der damals den Platz
schmückte, an Stelle des heutigen, wenn nicht besonders architektonisch schönen,
doch imposanten Augusteums nur die xartie twnteusö des damaligen quartier
Ig.den, eine lange, öde Mauer mit darüber hervorragenden Carcern, von wo
aus eine muthwillige akademische Jugend den Verlust ihrer Freiheit sich da¬
mit zu versüßen suchte, daß sie mit allerhand losen Reden, Rufen, auch Ge¬
sängen und mit sonstiger Kurzweil den Platz darunter unsicher machte; weiter¬
hin Gartenmauern von gleich unscheinbarer Außenseite.

Dasselbe wenig ästhetische Schauspiel wiederholte sich links gegenüber,
wo der ganze Raum zwischen Poststraße und Grimmaischem Steinweg, den jetzt
das prächtige Reichspostgebäude einnimmt, durch eine lange Mauer ausgefüllt
wurde, an deren Ende ein kleines ärmliches Gasthaus, der weiße Schwan,
sich befand, eine Unzierde des selbst damals immerhin ansehnlichen Platzes,
deren Beseitigung lange an der Hartnäckigkeit der bejahrten Eigenthümer!"
des Hauses scheiterte.

Nur in Einem hatte der damalige "Grimmaische Platz" einen Vorzug
vor dem heutigen Augustusplatz -- in den Augen des Freundes der Natur
wenigstens und des Menschenfreundes, -- darin nämlich, daß statt der weiten,
wüsten Sandfläche, die heut den Schönheitssinn und bei grellem Sonnenschein
auch den äußern Sinn des Auges verletzt, bei Windeswehen Staubwolken
aufwirbelt und damit die Lungen gesundheitsgefährlich anfüllt, damals wohl¬
thuendes Grün von Bäumen und von Nasen theils ganz nahe an den Platz
heran, theils stellenweise über diesen selbst hin sich erstreckte.

Noch ein Jahrzehnt weiter zurück, in den 20er Jahren, zog sich jenseits
des Stadtgrabens in weitem Gürtel um die Stadt, auch nach Westen hin,
noch der enge "Zwinger", den untern Theil der Häuser von der Außenwelt
absperrend und den freien Zutritt der Luft hemmend.

Ganz anders freilich noch ist der Abstand, wenn wir uns mit einem
starken Sprunge etwa um anderthalb Jahrhunderte oder etwas darüber rück¬
wärts versetzen -- in die Zeit, wo Leipzig nach den furchtbaren Verheerungen
und Drangsalen des 30-jährigen Krieges wieder gleichsam Athem zu schöpfen
und neue Kraft zu neuem Aufstreben zu sammeln begann. Leipzig war da¬
mals noch, was in früherer Zeit alle Städte, zumal alle größeren, waren --
entsprechend ihrer ursprünglichen Bestimmung und Entstehungsweise -- ein
nach allen Seiten befestigter, für die damaligen Verhältnisse der Kriegsführung
vertheidigungsfähiger Ort. So erscheint es uns auf den alten Bildern der
Stadt aus dem 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, starrend von
Ringmauern und Bastionen oder Basteien, rings umgeben von wassergefüllten
Gräben, über welche nur einzelne hölzerne, leicht abtragbare Brücken den Zu-


schauende P aulin erkirche, von ihr rechtshin bis zur Bürgerschule, die nebst dem
Teubner'schen Hause der einzige ansehnliche Bau war, der damals den Platz
schmückte, an Stelle des heutigen, wenn nicht besonders architektonisch schönen,
doch imposanten Augusteums nur die xartie twnteusö des damaligen quartier
Ig.den, eine lange, öde Mauer mit darüber hervorragenden Carcern, von wo
aus eine muthwillige akademische Jugend den Verlust ihrer Freiheit sich da¬
mit zu versüßen suchte, daß sie mit allerhand losen Reden, Rufen, auch Ge¬
sängen und mit sonstiger Kurzweil den Platz darunter unsicher machte; weiter¬
hin Gartenmauern von gleich unscheinbarer Außenseite.

Dasselbe wenig ästhetische Schauspiel wiederholte sich links gegenüber,
wo der ganze Raum zwischen Poststraße und Grimmaischem Steinweg, den jetzt
das prächtige Reichspostgebäude einnimmt, durch eine lange Mauer ausgefüllt
wurde, an deren Ende ein kleines ärmliches Gasthaus, der weiße Schwan,
sich befand, eine Unzierde des selbst damals immerhin ansehnlichen Platzes,
deren Beseitigung lange an der Hartnäckigkeit der bejahrten Eigenthümer!»
des Hauses scheiterte.

Nur in Einem hatte der damalige „Grimmaische Platz" einen Vorzug
vor dem heutigen Augustusplatz — in den Augen des Freundes der Natur
wenigstens und des Menschenfreundes, — darin nämlich, daß statt der weiten,
wüsten Sandfläche, die heut den Schönheitssinn und bei grellem Sonnenschein
auch den äußern Sinn des Auges verletzt, bei Windeswehen Staubwolken
aufwirbelt und damit die Lungen gesundheitsgefährlich anfüllt, damals wohl¬
thuendes Grün von Bäumen und von Nasen theils ganz nahe an den Platz
heran, theils stellenweise über diesen selbst hin sich erstreckte.

Noch ein Jahrzehnt weiter zurück, in den 20er Jahren, zog sich jenseits
des Stadtgrabens in weitem Gürtel um die Stadt, auch nach Westen hin,
noch der enge „Zwinger", den untern Theil der Häuser von der Außenwelt
absperrend und den freien Zutritt der Luft hemmend.

Ganz anders freilich noch ist der Abstand, wenn wir uns mit einem
starken Sprunge etwa um anderthalb Jahrhunderte oder etwas darüber rück¬
wärts versetzen — in die Zeit, wo Leipzig nach den furchtbaren Verheerungen
und Drangsalen des 30-jährigen Krieges wieder gleichsam Athem zu schöpfen
und neue Kraft zu neuem Aufstreben zu sammeln begann. Leipzig war da¬
mals noch, was in früherer Zeit alle Städte, zumal alle größeren, waren —
entsprechend ihrer ursprünglichen Bestimmung und Entstehungsweise — ein
nach allen Seiten befestigter, für die damaligen Verhältnisse der Kriegsführung
vertheidigungsfähiger Ort. So erscheint es uns auf den alten Bildern der
Stadt aus dem 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, starrend von
Ringmauern und Bastionen oder Basteien, rings umgeben von wassergefüllten
Gräben, über welche nur einzelne hölzerne, leicht abtragbare Brücken den Zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/37>, abgerufen am 24.08.2024.