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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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^raeeeptoridus obermelter Schulen daselbst nachdrücklichen deuten, daß sie
selbsten hinfüro mit denen Lomoeüien in Schulen gebührende ordnung halten,
keines Weges aber denen Knaben ihrer eigenen belustigung nach dergleichen ärger¬
liche (üoinveZien zu erwehlen und zu aZiren verstatten". Hierbei mußte der
Rath nothgedrungen Beruhigung fassen, und die Sache hatte ein Ende.

So viel Lärm und Staub um eine deutsche Schulkomödie! Aber wie
gut, daß dieser Lärm geschlagen und dieser Staub aufgewirbelt wurde. Daß
die Entscheidungen der kurfürstlichen Regierung Ausflüsse bequemster und ge¬
dankenlosester Willkür waren, liegt auf der Hand. Freilich waren der Rath
und die Lehrer, welche fortwährend vorgaben, daß der Rath die Aufführung
der Stücke angeordnet haben, während er sie doch bloß gestattet hatte, im
Unrecht; der Rath war eben nur Patron und Erhalter der Schule, und
nicht er, sondern nur das Consistorium hatte anzuordnen und zu gestatten.
Aber auf der andern Seite gehörten regelmäßige samische Exercitien that¬
sächlich schon seit über hundert Jahren, so gut wie Disputationen, Wett¬
arbeiten und Examina, zu den stehenden Einrichtungen der deutschen und
besonders der sächsischen Gymnasien, zu deren Ausübung es einer beson¬
deren Erlaubniß des Consistoriums schwerlich bedurft haben wird, und man
fragt sich erstaunt, was wohl den Zorn der gestrengen Herren in solchem
Maaße erregt haben mag, daß sie in diesem einen Falle ihr Veto dagegen
einlegen zu müssen glaubten. War es nicht bloße Rancune gegen den Rath,
hervorgerufen vielleicht durch rein persönliche Antipathieen, so bleibt nichts
weiter übrig, als anzunehmen, daß wirklich nur die vermeintliche Neuerung,
ein deutsches Schauspiel aufzuführen, den engherzigen Perrückenträgern
nicht in den Kopf gewollt habe. Und doch, wie bedeutsam, wie nothwendig
war diese Neuerung! Man sehe nur oben die wörtlichen Auszüge aus den
Acten an: ist es nicht rührend komisch, den Leipziger Rath für die Pflege
der deutschen Sprache an seinen Schulen sich selber in so jammervollen Deutsch
ereifern zu fehen?

Die Zeit schritt denn auch rasch über die ängstlichen rechtsgelahrten und geist¬
lichen Herren und ihre Vorurtheile hinweg. Schon am Ende der sechziger Jahre
brach sich die deutsche Schulkomödie mehr und mehr Bahn, und in den siebziger
Jahren war sie vollständig zur Herrschaft gelangt. Von 1678 bis 1708 regierte
am Zittauer Gymnasium Christian Weise, der König aller Schulkomödiendichter,
der in den dreißig Jahren seines Rektorats allein an die hundert deutsche
Schulkomödien schrieb und zur Ausführung brachte. Viel flaches und inhalts¬
loses Zeug mag wohl darunter gewesen sein; dennoch ist es die deutsche
Schulkomödie gewesen, die in einer Zeit, wo die dramatische Dichtung im
deutschen Volke nur in der Form der rohesten Hanswurstiade oder Schauder-


^raeeeptoridus obermelter Schulen daselbst nachdrücklichen deuten, daß sie
selbsten hinfüro mit denen Lomoeüien in Schulen gebührende ordnung halten,
keines Weges aber denen Knaben ihrer eigenen belustigung nach dergleichen ärger¬
liche (üoinveZien zu erwehlen und zu aZiren verstatten". Hierbei mußte der
Rath nothgedrungen Beruhigung fassen, und die Sache hatte ein Ende.

So viel Lärm und Staub um eine deutsche Schulkomödie! Aber wie
gut, daß dieser Lärm geschlagen und dieser Staub aufgewirbelt wurde. Daß
die Entscheidungen der kurfürstlichen Regierung Ausflüsse bequemster und ge¬
dankenlosester Willkür waren, liegt auf der Hand. Freilich waren der Rath
und die Lehrer, welche fortwährend vorgaben, daß der Rath die Aufführung
der Stücke angeordnet haben, während er sie doch bloß gestattet hatte, im
Unrecht; der Rath war eben nur Patron und Erhalter der Schule, und
nicht er, sondern nur das Consistorium hatte anzuordnen und zu gestatten.
Aber auf der andern Seite gehörten regelmäßige samische Exercitien that¬
sächlich schon seit über hundert Jahren, so gut wie Disputationen, Wett¬
arbeiten und Examina, zu den stehenden Einrichtungen der deutschen und
besonders der sächsischen Gymnasien, zu deren Ausübung es einer beson¬
deren Erlaubniß des Consistoriums schwerlich bedurft haben wird, und man
fragt sich erstaunt, was wohl den Zorn der gestrengen Herren in solchem
Maaße erregt haben mag, daß sie in diesem einen Falle ihr Veto dagegen
einlegen zu müssen glaubten. War es nicht bloße Rancune gegen den Rath,
hervorgerufen vielleicht durch rein persönliche Antipathieen, so bleibt nichts
weiter übrig, als anzunehmen, daß wirklich nur die vermeintliche Neuerung,
ein deutsches Schauspiel aufzuführen, den engherzigen Perrückenträgern
nicht in den Kopf gewollt habe. Und doch, wie bedeutsam, wie nothwendig
war diese Neuerung! Man sehe nur oben die wörtlichen Auszüge aus den
Acten an: ist es nicht rührend komisch, den Leipziger Rath für die Pflege
der deutschen Sprache an seinen Schulen sich selber in so jammervollen Deutsch
ereifern zu fehen?

Die Zeit schritt denn auch rasch über die ängstlichen rechtsgelahrten und geist¬
lichen Herren und ihre Vorurtheile hinweg. Schon am Ende der sechziger Jahre
brach sich die deutsche Schulkomödie mehr und mehr Bahn, und in den siebziger
Jahren war sie vollständig zur Herrschaft gelangt. Von 1678 bis 1708 regierte
am Zittauer Gymnasium Christian Weise, der König aller Schulkomödiendichter,
der in den dreißig Jahren seines Rektorats allein an die hundert deutsche
Schulkomödien schrieb und zur Ausführung brachte. Viel flaches und inhalts¬
loses Zeug mag wohl darunter gewesen sein; dennoch ist es die deutsche
Schulkomödie gewesen, die in einer Zeit, wo die dramatische Dichtung im
deutschen Volke nur in der Form der rohesten Hanswurstiade oder Schauder-


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[0376] ^raeeeptoridus obermelter Schulen daselbst nachdrücklichen deuten, daß sie selbsten hinfüro mit denen Lomoeüien in Schulen gebührende ordnung halten, keines Weges aber denen Knaben ihrer eigenen belustigung nach dergleichen ärger¬ liche (üoinveZien zu erwehlen und zu aZiren verstatten". Hierbei mußte der Rath nothgedrungen Beruhigung fassen, und die Sache hatte ein Ende. So viel Lärm und Staub um eine deutsche Schulkomödie! Aber wie gut, daß dieser Lärm geschlagen und dieser Staub aufgewirbelt wurde. Daß die Entscheidungen der kurfürstlichen Regierung Ausflüsse bequemster und ge¬ dankenlosester Willkür waren, liegt auf der Hand. Freilich waren der Rath und die Lehrer, welche fortwährend vorgaben, daß der Rath die Aufführung der Stücke angeordnet haben, während er sie doch bloß gestattet hatte, im Unrecht; der Rath war eben nur Patron und Erhalter der Schule, und nicht er, sondern nur das Consistorium hatte anzuordnen und zu gestatten. Aber auf der andern Seite gehörten regelmäßige samische Exercitien that¬ sächlich schon seit über hundert Jahren, so gut wie Disputationen, Wett¬ arbeiten und Examina, zu den stehenden Einrichtungen der deutschen und besonders der sächsischen Gymnasien, zu deren Ausübung es einer beson¬ deren Erlaubniß des Consistoriums schwerlich bedurft haben wird, und man fragt sich erstaunt, was wohl den Zorn der gestrengen Herren in solchem Maaße erregt haben mag, daß sie in diesem einen Falle ihr Veto dagegen einlegen zu müssen glaubten. War es nicht bloße Rancune gegen den Rath, hervorgerufen vielleicht durch rein persönliche Antipathieen, so bleibt nichts weiter übrig, als anzunehmen, daß wirklich nur die vermeintliche Neuerung, ein deutsches Schauspiel aufzuführen, den engherzigen Perrückenträgern nicht in den Kopf gewollt habe. Und doch, wie bedeutsam, wie nothwendig war diese Neuerung! Man sehe nur oben die wörtlichen Auszüge aus den Acten an: ist es nicht rührend komisch, den Leipziger Rath für die Pflege der deutschen Sprache an seinen Schulen sich selber in so jammervollen Deutsch ereifern zu fehen? Die Zeit schritt denn auch rasch über die ängstlichen rechtsgelahrten und geist¬ lichen Herren und ihre Vorurtheile hinweg. Schon am Ende der sechziger Jahre brach sich die deutsche Schulkomödie mehr und mehr Bahn, und in den siebziger Jahren war sie vollständig zur Herrschaft gelangt. Von 1678 bis 1708 regierte am Zittauer Gymnasium Christian Weise, der König aller Schulkomödiendichter, der in den dreißig Jahren seines Rektorats allein an die hundert deutsche Schulkomödien schrieb und zur Ausführung brachte. Viel flaches und inhalts¬ loses Zeug mag wohl darunter gewesen sein; dennoch ist es die deutsche Schulkomödie gewesen, die in einer Zeit, wo die dramatische Dichtung im deutschen Volke nur in der Form der rohesten Hanswurstiade oder Schauder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/376>, abgerufen am 24.08.2024.