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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Wassers und große Stücke Seekraut. Hieraus ersieht man, daß der Bär
durch Hunger zum Krautfressen gezwungen werden kann. Es ist gewiß keine
Kleinigkeit in dieser Welt der Erstarrung, Kälte und Finsterniß, mit ihren
grauenhaften Schneestürmen, welchen nur Berge zu widerstehen vermögen,
rastlos nach Nahrung suchend, umherirren zu müssen, inmitten chaotisch
zusammengedrängter, sich wechselseitig zermalmender und aufthürmender Eis¬
felder, umringt von Spalten oder auf einem abgetrennten Eisfloß in die
offene See hinauszutreiben. Wahrlich, sein brauner Vetter in Europa lebt
gegen ihn behaglich und beneidenswert!). -- Der Geruch angebrannten Specks
lockt das Thier meilenweit herbei. Auf der Wanderung pflegt dasselbe erhöhte
Eisgruppen zu besteigen. Man sieht den Bären dann den Umkreis aus-
Ipähend, mit hocherhobener Schnauze nach Nahrung schnüffeln. -- Eine
Situation, die ebenso gefährlich als komisch war. erlebte einer unserer Ma¬
trosen im Winterhafen. Derselbe schritt unbewaffnet an den Abhängen des
Germaniaberges hin, als er an 2000 Schritte vom Schiffe entfernt nahe
hinter sich einen Bären gewahrte. Die unglaubliche, jeden Fluchtversuch ver¬
eitelnde Schnelligkeit dieser Thiere war ihm bekannt, ebenso die schon oft
erfolgreich angewandte List, ihre Aufmerksamkeit durch fortgesetztes Fallenlassen
von Gegenständen abzulenken, während man durch beschleunigtes Fortschreiten
Und Hülferufen dem schützenden Bereich des Schiffes näher zu kommen trachtet.
Also warf er nach und nach Kapuze, Handschuhe, Rock u. s. w. von sich,
Kelche Gegenstände der Bär einzeln zerzauste. Doch stand derselbe endlich
Neben ihm und beroch, gleich einem Hunde, seine Hand. Da faßte der Mann,
welcher unausgesetzt um Hülfe rief, den ebenso verzweifelten als ohnmächtigen
Entschluß, seinen Feind mittels des abgenommenen Leibriemens zu erwürgen,
falls er ihn angriff. Sein durchdringender Hülferuf wurde beim Schiffe ge¬
hört. Wir machten uns eilig bewaffnet, doch war der schlimmste Ausgang
SU befürchten. Die große Entfernung gewährte dem Bären Muße, sein
Opfer zehnmal zu vernichten, aber er überlegte so lange, bis ihn unsere An¬
näherung, Rufe und Schüsse zur Flucht trieben. Diese führte über scharf
^fallende Felsgruppen -- er war wie weggeblasen. -- Der Maschinist
Krauschner, ein Wiener, war der Lieferant des Schneebedarfs für die Küche,
Und hatte deshalb täglich zweimal mit seinem Schlitten den Verkehr mit dem
Nächsten Gletscher zu unterhalten. Einmal geschah es, daß sich ihm ein Bär
ungesehen zugesellte. Der Bär schritt würdevoll als Escorte hinter dem
Schlitten des zum Schiff zurückkehrenden Maschinisten einher, und erst hier
^gelangt, verstimmte ihn der Lärm, welchen wir erhoben, um Krauschner
seinen zweifelhaften Freund aufmerksam zu machen."

Der ernsteste aller Angriffe durch Bären widerfuhr Dr. Bürgen. Er
^ar am 6. März vor 9 Uhr hinausgegangen, um eine Sternbedeckung zu


Wassers und große Stücke Seekraut. Hieraus ersieht man, daß der Bär
durch Hunger zum Krautfressen gezwungen werden kann. Es ist gewiß keine
Kleinigkeit in dieser Welt der Erstarrung, Kälte und Finsterniß, mit ihren
grauenhaften Schneestürmen, welchen nur Berge zu widerstehen vermögen,
rastlos nach Nahrung suchend, umherirren zu müssen, inmitten chaotisch
zusammengedrängter, sich wechselseitig zermalmender und aufthürmender Eis¬
felder, umringt von Spalten oder auf einem abgetrennten Eisfloß in die
offene See hinauszutreiben. Wahrlich, sein brauner Vetter in Europa lebt
gegen ihn behaglich und beneidenswert!). — Der Geruch angebrannten Specks
lockt das Thier meilenweit herbei. Auf der Wanderung pflegt dasselbe erhöhte
Eisgruppen zu besteigen. Man sieht den Bären dann den Umkreis aus-
Ipähend, mit hocherhobener Schnauze nach Nahrung schnüffeln. — Eine
Situation, die ebenso gefährlich als komisch war. erlebte einer unserer Ma¬
trosen im Winterhafen. Derselbe schritt unbewaffnet an den Abhängen des
Germaniaberges hin, als er an 2000 Schritte vom Schiffe entfernt nahe
hinter sich einen Bären gewahrte. Die unglaubliche, jeden Fluchtversuch ver¬
eitelnde Schnelligkeit dieser Thiere war ihm bekannt, ebenso die schon oft
erfolgreich angewandte List, ihre Aufmerksamkeit durch fortgesetztes Fallenlassen
von Gegenständen abzulenken, während man durch beschleunigtes Fortschreiten
Und Hülferufen dem schützenden Bereich des Schiffes näher zu kommen trachtet.
Also warf er nach und nach Kapuze, Handschuhe, Rock u. s. w. von sich,
Kelche Gegenstände der Bär einzeln zerzauste. Doch stand derselbe endlich
Neben ihm und beroch, gleich einem Hunde, seine Hand. Da faßte der Mann,
welcher unausgesetzt um Hülfe rief, den ebenso verzweifelten als ohnmächtigen
Entschluß, seinen Feind mittels des abgenommenen Leibriemens zu erwürgen,
falls er ihn angriff. Sein durchdringender Hülferuf wurde beim Schiffe ge¬
hört. Wir machten uns eilig bewaffnet, doch war der schlimmste Ausgang
SU befürchten. Die große Entfernung gewährte dem Bären Muße, sein
Opfer zehnmal zu vernichten, aber er überlegte so lange, bis ihn unsere An¬
näherung, Rufe und Schüsse zur Flucht trieben. Diese führte über scharf
^fallende Felsgruppen — er war wie weggeblasen. — Der Maschinist
Krauschner, ein Wiener, war der Lieferant des Schneebedarfs für die Küche,
Und hatte deshalb täglich zweimal mit seinem Schlitten den Verkehr mit dem
Nächsten Gletscher zu unterhalten. Einmal geschah es, daß sich ihm ein Bär
ungesehen zugesellte. Der Bär schritt würdevoll als Escorte hinter dem
Schlitten des zum Schiff zurückkehrenden Maschinisten einher, und erst hier
^gelangt, verstimmte ihn der Lärm, welchen wir erhoben, um Krauschner
seinen zweifelhaften Freund aufmerksam zu machen."

Der ernsteste aller Angriffe durch Bären widerfuhr Dr. Bürgen. Er
^ar am 6. März vor 9 Uhr hinausgegangen, um eine Sternbedeckung zu


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[0349] Wassers und große Stücke Seekraut. Hieraus ersieht man, daß der Bär durch Hunger zum Krautfressen gezwungen werden kann. Es ist gewiß keine Kleinigkeit in dieser Welt der Erstarrung, Kälte und Finsterniß, mit ihren grauenhaften Schneestürmen, welchen nur Berge zu widerstehen vermögen, rastlos nach Nahrung suchend, umherirren zu müssen, inmitten chaotisch zusammengedrängter, sich wechselseitig zermalmender und aufthürmender Eis¬ felder, umringt von Spalten oder auf einem abgetrennten Eisfloß in die offene See hinauszutreiben. Wahrlich, sein brauner Vetter in Europa lebt gegen ihn behaglich und beneidenswert!). — Der Geruch angebrannten Specks lockt das Thier meilenweit herbei. Auf der Wanderung pflegt dasselbe erhöhte Eisgruppen zu besteigen. Man sieht den Bären dann den Umkreis aus- Ipähend, mit hocherhobener Schnauze nach Nahrung schnüffeln. — Eine Situation, die ebenso gefährlich als komisch war. erlebte einer unserer Ma¬ trosen im Winterhafen. Derselbe schritt unbewaffnet an den Abhängen des Germaniaberges hin, als er an 2000 Schritte vom Schiffe entfernt nahe hinter sich einen Bären gewahrte. Die unglaubliche, jeden Fluchtversuch ver¬ eitelnde Schnelligkeit dieser Thiere war ihm bekannt, ebenso die schon oft erfolgreich angewandte List, ihre Aufmerksamkeit durch fortgesetztes Fallenlassen von Gegenständen abzulenken, während man durch beschleunigtes Fortschreiten Und Hülferufen dem schützenden Bereich des Schiffes näher zu kommen trachtet. Also warf er nach und nach Kapuze, Handschuhe, Rock u. s. w. von sich, Kelche Gegenstände der Bär einzeln zerzauste. Doch stand derselbe endlich Neben ihm und beroch, gleich einem Hunde, seine Hand. Da faßte der Mann, welcher unausgesetzt um Hülfe rief, den ebenso verzweifelten als ohnmächtigen Entschluß, seinen Feind mittels des abgenommenen Leibriemens zu erwürgen, falls er ihn angriff. Sein durchdringender Hülferuf wurde beim Schiffe ge¬ hört. Wir machten uns eilig bewaffnet, doch war der schlimmste Ausgang SU befürchten. Die große Entfernung gewährte dem Bären Muße, sein Opfer zehnmal zu vernichten, aber er überlegte so lange, bis ihn unsere An¬ näherung, Rufe und Schüsse zur Flucht trieben. Diese führte über scharf ^fallende Felsgruppen — er war wie weggeblasen. — Der Maschinist Krauschner, ein Wiener, war der Lieferant des Schneebedarfs für die Küche, Und hatte deshalb täglich zweimal mit seinem Schlitten den Verkehr mit dem Nächsten Gletscher zu unterhalten. Einmal geschah es, daß sich ihm ein Bär ungesehen zugesellte. Der Bär schritt würdevoll als Escorte hinter dem Schlitten des zum Schiff zurückkehrenden Maschinisten einher, und erst hier ^gelangt, verstimmte ihn der Lärm, welchen wir erhoben, um Krauschner seinen zweifelhaften Freund aufmerksam zu machen." Der ernsteste aller Angriffe durch Bären widerfuhr Dr. Bürgen. Er ^ar am 6. März vor 9 Uhr hinausgegangen, um eine Sternbedeckung zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/349>, abgerufen am 22.07.2024.