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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Am 11. Januar Abends 8^ Uhr wurde von dorther ein leichter Brandgeruch
bemerkt, der indessen unbeachtet blieb. Als Dr. Copeland um 9 Uhr zur
meteorologischen Ablesung ging, bemerkte er indessen schon an der Treppe
stärkeren Rauch und Geruch und auf Deck schlug ihm dicker Qualm entgegen.
Nun eilte man schleunigst nach hinten, die Einen schöpften Wasser aus dem
Flulhloch, die Anderen rissen die Kappe über der Schneiderwerkstatt weg; da
zuckten durch den dicken erstickenden Qualm die hellen Flammen. Wahr¬
scheinlich waren die Kohlen nach dem Abblasen von neuem in Brand gerathen
und hatten das benachbarte Holzwerk erst angesengt, dann in Flammen
gesetzt. Mit wenig Eimern war das Feuer gelöscht. Aber ohne das Fluthloch
wäre die Gefahr außerordentlich groß gewesen, namentlich da der Kohlenraum
dicht neben der Feuerstätte lag.

Allmählich ging nun auch die bitterlange arktische Nacht zu Ende; auf
den 3. Februar hatten die Astronomen das Wiedererscheinen der Sonne
berechnet. Mit welcher stets wachsenden Freude die ganze Mannschaft der
Germania diesem Tage entgegensah, läßt sich begreifen, wenn man die gemüth¬
verdüsternde Schwere der arktischen Nacht sich vorzustellen vermag. "Die
Stille des arktischen Winters" -- so schreibt Oberleutnant Payer -- "hat
etwas Unheimliches; die düsteren Schatten, mit welchen das Leben reizlos ent¬
flieht, belasten das Gemüth. Alle Töne der Schöpfung sind erloschen, das
Flüstern und Rauschen von Quellen und Bächen ist ve.rklungen, die Brandung
der Wogen verstummt, der Wasserfall an der kalten Felswand erstarrt, das
Pflanzenleben wie auf ewig vernichtet, unter der Schnechülle verschüttet. Die
Thiere haben die starre Küste entweder mit dem äußern Saum des Packeises
oder mit milderen Breiten vertauscht, sind nach dem Innern des Landes ge¬
zogen oder haben den Winterschlaf begonnen. Kein milder Sonnenblick färbt
die Höhen, leuchtet auf den schimmernden Eiskolossen, auf der vergoldeten
Spiegelfläche des Meeres. Gestalten und Farben sind umdüstert, ein all¬
gemeines Leichentuch umhüllt die einzelnen Glieder der Natur. Darüber
lastet die eisige Nacht, die Sterne senden lebhaft zitternd ihr kaltes Licht
herab, gespensterbleich heben sich die beschatteten Schneewände der Berge vom
schwarzen Felssaum ab; dämonisch düster ragt die Felsenstirn des Kammes
in die Nacht empor; Schneeflocken gleiten in geräuschloser Monotonie herab
auf die stille kalte Erde, auf die Eisdecke, welche das Schiff seit Monaten ge¬
fesselt hält. Das Verdeck ist schneebelastet, Maste und Kahn strecken ihre
kohlschwarzen Glieder gegen den Himmel, an den Tauen haftet der Frost in
zarten krystallenen Geweben, das Steuer ist unter Eisblöcken vergraben."
Leicht verliert man sich da in ein Gefühl gänzlichen Verlassenseins in der
von allem Leben entblößten Umgebung. Man müßte ja kein Mensch sein,
wenn man nicht hin und wieder von solchen Empfindungen beschlichen würde.


Am 11. Januar Abends 8^ Uhr wurde von dorther ein leichter Brandgeruch
bemerkt, der indessen unbeachtet blieb. Als Dr. Copeland um 9 Uhr zur
meteorologischen Ablesung ging, bemerkte er indessen schon an der Treppe
stärkeren Rauch und Geruch und auf Deck schlug ihm dicker Qualm entgegen.
Nun eilte man schleunigst nach hinten, die Einen schöpften Wasser aus dem
Flulhloch, die Anderen rissen die Kappe über der Schneiderwerkstatt weg; da
zuckten durch den dicken erstickenden Qualm die hellen Flammen. Wahr¬
scheinlich waren die Kohlen nach dem Abblasen von neuem in Brand gerathen
und hatten das benachbarte Holzwerk erst angesengt, dann in Flammen
gesetzt. Mit wenig Eimern war das Feuer gelöscht. Aber ohne das Fluthloch
wäre die Gefahr außerordentlich groß gewesen, namentlich da der Kohlenraum
dicht neben der Feuerstätte lag.

Allmählich ging nun auch die bitterlange arktische Nacht zu Ende; auf
den 3. Februar hatten die Astronomen das Wiedererscheinen der Sonne
berechnet. Mit welcher stets wachsenden Freude die ganze Mannschaft der
Germania diesem Tage entgegensah, läßt sich begreifen, wenn man die gemüth¬
verdüsternde Schwere der arktischen Nacht sich vorzustellen vermag. „Die
Stille des arktischen Winters" — so schreibt Oberleutnant Payer — „hat
etwas Unheimliches; die düsteren Schatten, mit welchen das Leben reizlos ent¬
flieht, belasten das Gemüth. Alle Töne der Schöpfung sind erloschen, das
Flüstern und Rauschen von Quellen und Bächen ist ve.rklungen, die Brandung
der Wogen verstummt, der Wasserfall an der kalten Felswand erstarrt, das
Pflanzenleben wie auf ewig vernichtet, unter der Schnechülle verschüttet. Die
Thiere haben die starre Küste entweder mit dem äußern Saum des Packeises
oder mit milderen Breiten vertauscht, sind nach dem Innern des Landes ge¬
zogen oder haben den Winterschlaf begonnen. Kein milder Sonnenblick färbt
die Höhen, leuchtet auf den schimmernden Eiskolossen, auf der vergoldeten
Spiegelfläche des Meeres. Gestalten und Farben sind umdüstert, ein all¬
gemeines Leichentuch umhüllt die einzelnen Glieder der Natur. Darüber
lastet die eisige Nacht, die Sterne senden lebhaft zitternd ihr kaltes Licht
herab, gespensterbleich heben sich die beschatteten Schneewände der Berge vom
schwarzen Felssaum ab; dämonisch düster ragt die Felsenstirn des Kammes
in die Nacht empor; Schneeflocken gleiten in geräuschloser Monotonie herab
auf die stille kalte Erde, auf die Eisdecke, welche das Schiff seit Monaten ge¬
fesselt hält. Das Verdeck ist schneebelastet, Maste und Kahn strecken ihre
kohlschwarzen Glieder gegen den Himmel, an den Tauen haftet der Frost in
zarten krystallenen Geweben, das Steuer ist unter Eisblöcken vergraben."
Leicht verliert man sich da in ein Gefühl gänzlichen Verlassenseins in der
von allem Leben entblößten Umgebung. Man müßte ja kein Mensch sein,
wenn man nicht hin und wieder von solchen Empfindungen beschlichen würde.


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[0318] Am 11. Januar Abends 8^ Uhr wurde von dorther ein leichter Brandgeruch bemerkt, der indessen unbeachtet blieb. Als Dr. Copeland um 9 Uhr zur meteorologischen Ablesung ging, bemerkte er indessen schon an der Treppe stärkeren Rauch und Geruch und auf Deck schlug ihm dicker Qualm entgegen. Nun eilte man schleunigst nach hinten, die Einen schöpften Wasser aus dem Flulhloch, die Anderen rissen die Kappe über der Schneiderwerkstatt weg; da zuckten durch den dicken erstickenden Qualm die hellen Flammen. Wahr¬ scheinlich waren die Kohlen nach dem Abblasen von neuem in Brand gerathen und hatten das benachbarte Holzwerk erst angesengt, dann in Flammen gesetzt. Mit wenig Eimern war das Feuer gelöscht. Aber ohne das Fluthloch wäre die Gefahr außerordentlich groß gewesen, namentlich da der Kohlenraum dicht neben der Feuerstätte lag. Allmählich ging nun auch die bitterlange arktische Nacht zu Ende; auf den 3. Februar hatten die Astronomen das Wiedererscheinen der Sonne berechnet. Mit welcher stets wachsenden Freude die ganze Mannschaft der Germania diesem Tage entgegensah, läßt sich begreifen, wenn man die gemüth¬ verdüsternde Schwere der arktischen Nacht sich vorzustellen vermag. „Die Stille des arktischen Winters" — so schreibt Oberleutnant Payer — „hat etwas Unheimliches; die düsteren Schatten, mit welchen das Leben reizlos ent¬ flieht, belasten das Gemüth. Alle Töne der Schöpfung sind erloschen, das Flüstern und Rauschen von Quellen und Bächen ist ve.rklungen, die Brandung der Wogen verstummt, der Wasserfall an der kalten Felswand erstarrt, das Pflanzenleben wie auf ewig vernichtet, unter der Schnechülle verschüttet. Die Thiere haben die starre Küste entweder mit dem äußern Saum des Packeises oder mit milderen Breiten vertauscht, sind nach dem Innern des Landes ge¬ zogen oder haben den Winterschlaf begonnen. Kein milder Sonnenblick färbt die Höhen, leuchtet auf den schimmernden Eiskolossen, auf der vergoldeten Spiegelfläche des Meeres. Gestalten und Farben sind umdüstert, ein all¬ gemeines Leichentuch umhüllt die einzelnen Glieder der Natur. Darüber lastet die eisige Nacht, die Sterne senden lebhaft zitternd ihr kaltes Licht herab, gespensterbleich heben sich die beschatteten Schneewände der Berge vom schwarzen Felssaum ab; dämonisch düster ragt die Felsenstirn des Kammes in die Nacht empor; Schneeflocken gleiten in geräuschloser Monotonie herab auf die stille kalte Erde, auf die Eisdecke, welche das Schiff seit Monaten ge¬ fesselt hält. Das Verdeck ist schneebelastet, Maste und Kahn strecken ihre kohlschwarzen Glieder gegen den Himmel, an den Tauen haftet der Frost in zarten krystallenen Geweben, das Steuer ist unter Eisblöcken vergraben." Leicht verliert man sich da in ein Gefühl gänzlichen Verlassenseins in der von allem Leben entblößten Umgebung. Man müßte ja kein Mensch sein, wenn man nicht hin und wieder von solchen Empfindungen beschlichen würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/318>, abgerufen am 22.07.2024.