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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Gelegentlich hat man dem Winde eine leichte Gummidecke, den Boden des
Zeltes bildend, mit welcher er sich bereits entfernt hatte, wieder abzujagen.
Das eine Gewehr liegt schußbereit auf dem Boden, während einer aus der
Reisegesellschaft mit dem andern zur nächsten zuweilen ziemlich entlegenen Eis¬
klippe geht, um das zur Bereitung von Nachtmahl und Frühstück erforder¬
liche salzfreie Eis zu holen. Die Waffe ist absolut nothwendig, denn Meister
Petz stattet seine Besuche immer dann ab, wenn man am wenigsten auf diese
Ehre gefaßt ist. -- Die Nacht hat ihre Fittiche über die trostlose Einöde aus¬
gebreitet. Die Berge rings um den Fjord erscheinen als schwarze gespenster¬
hafte Massen. --

Der Schlitten ist seiner Last entledigt, eine viel complicirtere Sache, als
es scheint, denn obgleich nur ganz Unentbehrliebes mitgenommen wurde, so
hat man doch der Sorgen genug, die Instrumente zu sichern, Kochapparat,
Steigeisen, Hammer, Säge, Bergstock, Stricke, Decken, Fernrohr, Spiritus¬
kanne, Lampe, Bärenfettschlüssel, Schaufel, die geologische und die karge bo¬
tanische Ausbeute zu ordnen, darauf -- ebenso des Morgens -- Barometer
und Thermometer abzulesen. -- Das Zelt 4 Fuß hoch, 8 Fuß lang, 5 Fuß
breit, ist aufgestellt; die Decken sind hereingeschafft, das Gewehr liegt nächst
dem Eingange; nach einer bestimmten Ordnung wird nun das Zelt mit den
Instrumenten, dem Kochapparat und dem Schuhgeräthe bezogen, endlich der
Schlitten schützend an dasselbe angelehnt. In Europa zieht man sich zum
Schlafengehen aus; in den Polargegenden zieht man sich dagegen dazu an.
-- Jedermann befreit den langen Bart von den dichten Eisklumpen, die sich
daran angesetzt hatten, und sucht seine Reservestrümpfe oder aus Bärenfell
genähten Schuhe. -- Die Stiefeln werden in den Schlafsaal gesteckt, diesen
folgt der Leib. Der Raum ist so beengt, und dessen Bevölkerung so dicht,
daß, wenn man seine Stiefeln ausziehen will, dies nur auf des Nachbars
Bauch sitzend bewerkstelligt werden kann; daß jedes, ein gewisses Normalmaß
überschreitende Körperglied oder dessen geringste nicht unumgänglich nothwen¬
dige Bewegung schreiende Entrüstung Aller hervorruft, und daß man, seine
Pelzhandschuhe suchend, auf der Nase oder dem Schienbein eines Andern kniet.
Dort, wo das Knie ruht, hört man schreien, fährt arglos zurück -- stößt an
die Lampe (eine deckellose Blechschüssel, welche mit Bärenfett gefüllt an einem
Draht vom Zeltgiebel herabhängt), eine Thranflut ergießt sich, doch wer
achtet solcher Dinge. -- Bedrohlich aber ist es, wenn das Zelt in Brand ge-
räth, ein Fall, der zweimal auf unserer Reise eintrat. Im Nu lagen mehrere
Quadratfuß Decken, auf welchen brennender Spiritus verschüttet worden war,
in Flammen. Wir verbrannten Pelzhauben und Handschuhe, indem wir sie
zu ersticken suchten. Die Leidtragenden zogen dann Strümpfe über die Hände.
-- Die eis- oder schneegesüllte Kochmaschine ist in Thätigkeit; rasch erhöht


Gelegentlich hat man dem Winde eine leichte Gummidecke, den Boden des
Zeltes bildend, mit welcher er sich bereits entfernt hatte, wieder abzujagen.
Das eine Gewehr liegt schußbereit auf dem Boden, während einer aus der
Reisegesellschaft mit dem andern zur nächsten zuweilen ziemlich entlegenen Eis¬
klippe geht, um das zur Bereitung von Nachtmahl und Frühstück erforder¬
liche salzfreie Eis zu holen. Die Waffe ist absolut nothwendig, denn Meister
Petz stattet seine Besuche immer dann ab, wenn man am wenigsten auf diese
Ehre gefaßt ist. — Die Nacht hat ihre Fittiche über die trostlose Einöde aus¬
gebreitet. Die Berge rings um den Fjord erscheinen als schwarze gespenster¬
hafte Massen. —

Der Schlitten ist seiner Last entledigt, eine viel complicirtere Sache, als
es scheint, denn obgleich nur ganz Unentbehrliebes mitgenommen wurde, so
hat man doch der Sorgen genug, die Instrumente zu sichern, Kochapparat,
Steigeisen, Hammer, Säge, Bergstock, Stricke, Decken, Fernrohr, Spiritus¬
kanne, Lampe, Bärenfettschlüssel, Schaufel, die geologische und die karge bo¬
tanische Ausbeute zu ordnen, darauf — ebenso des Morgens — Barometer
und Thermometer abzulesen. — Das Zelt 4 Fuß hoch, 8 Fuß lang, 5 Fuß
breit, ist aufgestellt; die Decken sind hereingeschafft, das Gewehr liegt nächst
dem Eingange; nach einer bestimmten Ordnung wird nun das Zelt mit den
Instrumenten, dem Kochapparat und dem Schuhgeräthe bezogen, endlich der
Schlitten schützend an dasselbe angelehnt. In Europa zieht man sich zum
Schlafengehen aus; in den Polargegenden zieht man sich dagegen dazu an.
— Jedermann befreit den langen Bart von den dichten Eisklumpen, die sich
daran angesetzt hatten, und sucht seine Reservestrümpfe oder aus Bärenfell
genähten Schuhe. — Die Stiefeln werden in den Schlafsaal gesteckt, diesen
folgt der Leib. Der Raum ist so beengt, und dessen Bevölkerung so dicht,
daß, wenn man seine Stiefeln ausziehen will, dies nur auf des Nachbars
Bauch sitzend bewerkstelligt werden kann; daß jedes, ein gewisses Normalmaß
überschreitende Körperglied oder dessen geringste nicht unumgänglich nothwen¬
dige Bewegung schreiende Entrüstung Aller hervorruft, und daß man, seine
Pelzhandschuhe suchend, auf der Nase oder dem Schienbein eines Andern kniet.
Dort, wo das Knie ruht, hört man schreien, fährt arglos zurück — stößt an
die Lampe (eine deckellose Blechschüssel, welche mit Bärenfett gefüllt an einem
Draht vom Zeltgiebel herabhängt), eine Thranflut ergießt sich, doch wer
achtet solcher Dinge. — Bedrohlich aber ist es, wenn das Zelt in Brand ge-
räth, ein Fall, der zweimal auf unserer Reise eintrat. Im Nu lagen mehrere
Quadratfuß Decken, auf welchen brennender Spiritus verschüttet worden war,
in Flammen. Wir verbrannten Pelzhauben und Handschuhe, indem wir sie
zu ersticken suchten. Die Leidtragenden zogen dann Strümpfe über die Hände.
— Die eis- oder schneegesüllte Kochmaschine ist in Thätigkeit; rasch erhöht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/312>, abgerufen am 22.07.2024.