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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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im Süden der Flachen Bai näher kennen zu lernen. Am 4. Novbr. Abends
9'/z Uhr erfolgte die Rückkehr der sehr ermüdeten aber wohlbehaltenen Mann¬
schaft. Sie hatten in den 9 Tagen über vierzig deutsche Meilen zurückgelegt.
Und wenn es auch nicht gelungen war, in das Thal bei der Flachen Bai
hinaufzubringen, so war doch in den wenigen Tagen entdeckt worden die
Durchfahrt nördlich der von Clavering vermutheten gleichnamigen Insel, ein
herrlicher großer Fjord, "der Tiroler Fjord", und das hochinteressante Stu¬
dium der Gletscher Grönlands hatte die wichtigsten Aufschlüsse erhalten.
Der Laie ist nur zu geneigt, derartige Reisen sich weit bequemer, gefahr- und
Müheloser darzustellen, als sie wirklich sind. Es sollen daher nachstehend
einige der charakteristischsten Stellen der Schilderung Payer's von dieser
Schlittenreise und den Schlittenreisen im Norden überhaupt gegeben werden.

"Die arktischen Pionniere Englands und Amerikas" schreibt er, "blieben
auf ihren Entdeckungsreisen fast immer in Verbindung mit menschlicher Be¬
völkerung, wenn auch nur mit einer solchen, deren Kulturstufe zu den nied¬
rigsten zählt. Uns selbst ist jedwede Befriedigung geselligen Bedürfnisses vor¬
enthalten geblieben, denn die Eskimos haben sich von der Ostküste Grönlands
entweder ganz zurückgezogen oder sind daselbst ausgestorben. Doch die Ab¬
wesenheit irgendwelcher Art von menschlicher Thätigkeit erweckt eine nur um
so feierlichere Stimmung. In ruhiger Klarheit spannt sich der azurne Himmel
über das Land, haftet der Blick der Sonne an der kalten Felswand, deren Stirn
feierlicher Ernst krönt, leuchten die Schrunde der aus dem hohen Bergland
herabsteigenden Gletscher und der Frost überbrückt die tiefblaue unbewegte
Wasserfläche des Fjords mit einer glänzenden Eisbahn. Die Umschiffung jedes
Vorgebirges eröffnet dem Blick neue unbekannte Gebiete. Der Wunsch, ihren
Zusammenhang zu ergründen, hält den Forschungstrieb unausgesetzt wach
Und steigert das Verlangen des Entdeckers unbegrenzt. Es giebt keine mäch¬
tigere Verlockung, als die unwiderstehlich sich aufdrängende Frage: "Was
dann" zu lösen, sobald auf solchen Reisen der Gesichtskreis durch ein vor¬
tretendes Kap geschlossen wird und das geographische Räthsel sich materiell
und greifbar darbietet." Aber in der That bedarf es auch des vollen Bewußt¬
seins dieser idealen Ziele, um Reisebeschwerlichkeiten wie die folgenden frei¬
willig auf sich zu nehmen und gelassen zu ertragen. "Nach beendigtem Tage-
Marsch, in der Regel bei eingetretener Finsterniß, wählt man eine geeignet
scheinende Stelle des Strandes oder irgend eine Eisfläche zur Lagerstätte.
Kleinere Schneelager werden mit dem Fuße weggestreift, scharfkantige festge¬
frorene Blöcke mühsam beseitigt, größere manchmal mehr als 100 Schritte
Weit hergeschleppt, um die Zeltstücke daran zu befestigen u. s. f., eine Ar¬
beit, die bei einer Temperatur von --12 bis -- 20° unter Null, beson¬
ders wenn Wind hinzukommt, immerhin einige Ueberwindung erfordert.


im Süden der Flachen Bai näher kennen zu lernen. Am 4. Novbr. Abends
9'/z Uhr erfolgte die Rückkehr der sehr ermüdeten aber wohlbehaltenen Mann¬
schaft. Sie hatten in den 9 Tagen über vierzig deutsche Meilen zurückgelegt.
Und wenn es auch nicht gelungen war, in das Thal bei der Flachen Bai
hinaufzubringen, so war doch in den wenigen Tagen entdeckt worden die
Durchfahrt nördlich der von Clavering vermutheten gleichnamigen Insel, ein
herrlicher großer Fjord, „der Tiroler Fjord", und das hochinteressante Stu¬
dium der Gletscher Grönlands hatte die wichtigsten Aufschlüsse erhalten.
Der Laie ist nur zu geneigt, derartige Reisen sich weit bequemer, gefahr- und
Müheloser darzustellen, als sie wirklich sind. Es sollen daher nachstehend
einige der charakteristischsten Stellen der Schilderung Payer's von dieser
Schlittenreise und den Schlittenreisen im Norden überhaupt gegeben werden.

„Die arktischen Pionniere Englands und Amerikas" schreibt er, „blieben
auf ihren Entdeckungsreisen fast immer in Verbindung mit menschlicher Be¬
völkerung, wenn auch nur mit einer solchen, deren Kulturstufe zu den nied¬
rigsten zählt. Uns selbst ist jedwede Befriedigung geselligen Bedürfnisses vor¬
enthalten geblieben, denn die Eskimos haben sich von der Ostküste Grönlands
entweder ganz zurückgezogen oder sind daselbst ausgestorben. Doch die Ab¬
wesenheit irgendwelcher Art von menschlicher Thätigkeit erweckt eine nur um
so feierlichere Stimmung. In ruhiger Klarheit spannt sich der azurne Himmel
über das Land, haftet der Blick der Sonne an der kalten Felswand, deren Stirn
feierlicher Ernst krönt, leuchten die Schrunde der aus dem hohen Bergland
herabsteigenden Gletscher und der Frost überbrückt die tiefblaue unbewegte
Wasserfläche des Fjords mit einer glänzenden Eisbahn. Die Umschiffung jedes
Vorgebirges eröffnet dem Blick neue unbekannte Gebiete. Der Wunsch, ihren
Zusammenhang zu ergründen, hält den Forschungstrieb unausgesetzt wach
Und steigert das Verlangen des Entdeckers unbegrenzt. Es giebt keine mäch¬
tigere Verlockung, als die unwiderstehlich sich aufdrängende Frage: „Was
dann" zu lösen, sobald auf solchen Reisen der Gesichtskreis durch ein vor¬
tretendes Kap geschlossen wird und das geographische Räthsel sich materiell
und greifbar darbietet." Aber in der That bedarf es auch des vollen Bewußt¬
seins dieser idealen Ziele, um Reisebeschwerlichkeiten wie die folgenden frei¬
willig auf sich zu nehmen und gelassen zu ertragen. „Nach beendigtem Tage-
Marsch, in der Regel bei eingetretener Finsterniß, wählt man eine geeignet
scheinende Stelle des Strandes oder irgend eine Eisfläche zur Lagerstätte.
Kleinere Schneelager werden mit dem Fuße weggestreift, scharfkantige festge¬
frorene Blöcke mühsam beseitigt, größere manchmal mehr als 100 Schritte
Weit hergeschleppt, um die Zeltstücke daran zu befestigen u. s. f., eine Ar¬
beit, die bei einer Temperatur von —12 bis — 20° unter Null, beson¬
ders wenn Wind hinzukommt, immerhin einige Ueberwindung erfordert.


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[0311] im Süden der Flachen Bai näher kennen zu lernen. Am 4. Novbr. Abends 9'/z Uhr erfolgte die Rückkehr der sehr ermüdeten aber wohlbehaltenen Mann¬ schaft. Sie hatten in den 9 Tagen über vierzig deutsche Meilen zurückgelegt. Und wenn es auch nicht gelungen war, in das Thal bei der Flachen Bai hinaufzubringen, so war doch in den wenigen Tagen entdeckt worden die Durchfahrt nördlich der von Clavering vermutheten gleichnamigen Insel, ein herrlicher großer Fjord, „der Tiroler Fjord", und das hochinteressante Stu¬ dium der Gletscher Grönlands hatte die wichtigsten Aufschlüsse erhalten. Der Laie ist nur zu geneigt, derartige Reisen sich weit bequemer, gefahr- und Müheloser darzustellen, als sie wirklich sind. Es sollen daher nachstehend einige der charakteristischsten Stellen der Schilderung Payer's von dieser Schlittenreise und den Schlittenreisen im Norden überhaupt gegeben werden. „Die arktischen Pionniere Englands und Amerikas" schreibt er, „blieben auf ihren Entdeckungsreisen fast immer in Verbindung mit menschlicher Be¬ völkerung, wenn auch nur mit einer solchen, deren Kulturstufe zu den nied¬ rigsten zählt. Uns selbst ist jedwede Befriedigung geselligen Bedürfnisses vor¬ enthalten geblieben, denn die Eskimos haben sich von der Ostküste Grönlands entweder ganz zurückgezogen oder sind daselbst ausgestorben. Doch die Ab¬ wesenheit irgendwelcher Art von menschlicher Thätigkeit erweckt eine nur um so feierlichere Stimmung. In ruhiger Klarheit spannt sich der azurne Himmel über das Land, haftet der Blick der Sonne an der kalten Felswand, deren Stirn feierlicher Ernst krönt, leuchten die Schrunde der aus dem hohen Bergland herabsteigenden Gletscher und der Frost überbrückt die tiefblaue unbewegte Wasserfläche des Fjords mit einer glänzenden Eisbahn. Die Umschiffung jedes Vorgebirges eröffnet dem Blick neue unbekannte Gebiete. Der Wunsch, ihren Zusammenhang zu ergründen, hält den Forschungstrieb unausgesetzt wach Und steigert das Verlangen des Entdeckers unbegrenzt. Es giebt keine mäch¬ tigere Verlockung, als die unwiderstehlich sich aufdrängende Frage: „Was dann" zu lösen, sobald auf solchen Reisen der Gesichtskreis durch ein vor¬ tretendes Kap geschlossen wird und das geographische Räthsel sich materiell und greifbar darbietet." Aber in der That bedarf es auch des vollen Bewußt¬ seins dieser idealen Ziele, um Reisebeschwerlichkeiten wie die folgenden frei¬ willig auf sich zu nehmen und gelassen zu ertragen. „Nach beendigtem Tage- Marsch, in der Regel bei eingetretener Finsterniß, wählt man eine geeignet scheinende Stelle des Strandes oder irgend eine Eisfläche zur Lagerstätte. Kleinere Schneelager werden mit dem Fuße weggestreift, scharfkantige festge¬ frorene Blöcke mühsam beseitigt, größere manchmal mehr als 100 Schritte Weit hergeschleppt, um die Zeltstücke daran zu befestigen u. s. f., eine Ar¬ beit, die bei einer Temperatur von —12 bis — 20° unter Null, beson¬ ders wenn Wind hinzukommt, immerhin einige Ueberwindung erfordert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/311>, abgerufen am 22.07.2024.