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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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für die angeblichen Dürerzeichnungen in Berlin, Bamberg und Weimar zu
brechen. Die Angelegenheit ist ihrer Zeit (1872) auch in diesen Blättern
zur Sprache gebracht worden und kann in der Hauptsache als bekannt voraus¬
gesetzt werden. Es handelt sich um die in den öffentlichen Sammlungen der
drei genannten Städte befindlichen, früher zusammengehörigen Prosilzeichnungen
von zusammen über hundert Köpfen, welche, im Condur ausgeschnitten, auf¬
geklebt und von verschiedenen Händen mit Namensunterschriften versehen,
früher jederzeit für echte Dürer'sche Zeichnungen galten, bis Moritz Thausing
in Wien, gegenwärtig wohl unser größter Dürerkenner und seit langem mit
einer ausführlichen Dürerbiographie beschäftigt, sie im Jahre 1871 aufs ent¬
schiedenste für eine Fälschung erklärte. Die Behauptung Thausing's rief eine
förmliche kleine Litteratur hervor; Thausing selbst hat alles, was für und
gegen ihn in dieser Frage geschrieben worden ist, vorm Jahre zusammen¬
gestellt in seinem Nachrufe an Albert von Zahn, im Schlußhefte von Zahn's
"Jahrbüchern für Kunstwissenschaft". Seitdem hat die Angelegenheit geruht;
alle competenten Stimmen waren schließlich darüber einig, daß zwar "der
Anonymus der linkshingewandten Profilköpfe" jedenfalls in Dürer's eigner
oder wenigstens nicht viel späterer Zeit gelebt habe, aber daß er eben ein
Anonymus sei und wahrscheinlich bleiben werde.

Sattel kommt nun nochmals auf die Angelegenheit zurück und bringt
neue, überzeugende Beweise dafür bei, daß die Zeichnungen unmöglich viel
später als in Dürer's Zeit entstanden sein können. Wenn er aber auch die
Annahme einer gleichzeitigen Fälschung für "absurd" erklärt, weil der
Fälscher dann, um Anlaß und Gelegenheit zur Darstellung gewisser Köpfe
gehabt zu haben, Dürern nach Aachen, Antwerpen und auf den Augsburger
Reichstag hätte nachreisen oder sich nach Dürer's Rückkehr Einsicht in dessen
Reisemanuscript verschaffen müssen, so würden wir diesem Einwürfe nur dann
einiges Gewicht beimessen können, wenn es sich wirklich von Hause aus um
eine Fälschung handelte. Aber von dieser Borstellung wird man sich jedenfalls
ganz loszumachen haben; nicht der die Köpfe zeichnete, sondern erst der, der
sie ausschnitt und mit Dürer's Monogramm versah, das war der "Fälscher".
Zahn .hat unseres Wissens zuerst die Vermuthung ausgesprochen, die Zeich¬
nungen seien Visirungen zu Medaillen gewesen, und Sattel erhebt diese Ver¬
muthung "fast zur Gewißheit". Läge denn nicht die umgekehrte Vermuthung
eben so nahe, daß die Köpfe, wenigstens zum Theil, erst nach Medaillen ge¬
zeichnet sind? Es wird abzuwarten sein, was Thausing auf die Argumente
Sattel's erwiedern wird. Hoffentlich wird er es weniger leidenschaftlich thun
als sein Gegner; denn wenn es lediglich "das Streben nach Wahrheit in der
Erforschung der Werke unseres herrlichsten deutschen Meisters" gewesen ist.
Welches Sattel bei Abfassung seiner Schrift geleitet hat, dann war es wohl


für die angeblichen Dürerzeichnungen in Berlin, Bamberg und Weimar zu
brechen. Die Angelegenheit ist ihrer Zeit (1872) auch in diesen Blättern
zur Sprache gebracht worden und kann in der Hauptsache als bekannt voraus¬
gesetzt werden. Es handelt sich um die in den öffentlichen Sammlungen der
drei genannten Städte befindlichen, früher zusammengehörigen Prosilzeichnungen
von zusammen über hundert Köpfen, welche, im Condur ausgeschnitten, auf¬
geklebt und von verschiedenen Händen mit Namensunterschriften versehen,
früher jederzeit für echte Dürer'sche Zeichnungen galten, bis Moritz Thausing
in Wien, gegenwärtig wohl unser größter Dürerkenner und seit langem mit
einer ausführlichen Dürerbiographie beschäftigt, sie im Jahre 1871 aufs ent¬
schiedenste für eine Fälschung erklärte. Die Behauptung Thausing's rief eine
förmliche kleine Litteratur hervor; Thausing selbst hat alles, was für und
gegen ihn in dieser Frage geschrieben worden ist, vorm Jahre zusammen¬
gestellt in seinem Nachrufe an Albert von Zahn, im Schlußhefte von Zahn's
»Jahrbüchern für Kunstwissenschaft". Seitdem hat die Angelegenheit geruht;
alle competenten Stimmen waren schließlich darüber einig, daß zwar „der
Anonymus der linkshingewandten Profilköpfe" jedenfalls in Dürer's eigner
oder wenigstens nicht viel späterer Zeit gelebt habe, aber daß er eben ein
Anonymus sei und wahrscheinlich bleiben werde.

Sattel kommt nun nochmals auf die Angelegenheit zurück und bringt
neue, überzeugende Beweise dafür bei, daß die Zeichnungen unmöglich viel
später als in Dürer's Zeit entstanden sein können. Wenn er aber auch die
Annahme einer gleichzeitigen Fälschung für „absurd" erklärt, weil der
Fälscher dann, um Anlaß und Gelegenheit zur Darstellung gewisser Köpfe
gehabt zu haben, Dürern nach Aachen, Antwerpen und auf den Augsburger
Reichstag hätte nachreisen oder sich nach Dürer's Rückkehr Einsicht in dessen
Reisemanuscript verschaffen müssen, so würden wir diesem Einwürfe nur dann
einiges Gewicht beimessen können, wenn es sich wirklich von Hause aus um
eine Fälschung handelte. Aber von dieser Borstellung wird man sich jedenfalls
ganz loszumachen haben; nicht der die Köpfe zeichnete, sondern erst der, der
sie ausschnitt und mit Dürer's Monogramm versah, das war der „Fälscher".
Zahn .hat unseres Wissens zuerst die Vermuthung ausgesprochen, die Zeich¬
nungen seien Visirungen zu Medaillen gewesen, und Sattel erhebt diese Ver¬
muthung „fast zur Gewißheit". Läge denn nicht die umgekehrte Vermuthung
eben so nahe, daß die Köpfe, wenigstens zum Theil, erst nach Medaillen ge¬
zeichnet sind? Es wird abzuwarten sein, was Thausing auf die Argumente
Sattel's erwiedern wird. Hoffentlich wird er es weniger leidenschaftlich thun
als sein Gegner; denn wenn es lediglich „das Streben nach Wahrheit in der
Erforschung der Werke unseres herrlichsten deutschen Meisters" gewesen ist.
Welches Sattel bei Abfassung seiner Schrift geleitet hat, dann war es wohl


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[0237] für die angeblichen Dürerzeichnungen in Berlin, Bamberg und Weimar zu brechen. Die Angelegenheit ist ihrer Zeit (1872) auch in diesen Blättern zur Sprache gebracht worden und kann in der Hauptsache als bekannt voraus¬ gesetzt werden. Es handelt sich um die in den öffentlichen Sammlungen der drei genannten Städte befindlichen, früher zusammengehörigen Prosilzeichnungen von zusammen über hundert Köpfen, welche, im Condur ausgeschnitten, auf¬ geklebt und von verschiedenen Händen mit Namensunterschriften versehen, früher jederzeit für echte Dürer'sche Zeichnungen galten, bis Moritz Thausing in Wien, gegenwärtig wohl unser größter Dürerkenner und seit langem mit einer ausführlichen Dürerbiographie beschäftigt, sie im Jahre 1871 aufs ent¬ schiedenste für eine Fälschung erklärte. Die Behauptung Thausing's rief eine förmliche kleine Litteratur hervor; Thausing selbst hat alles, was für und gegen ihn in dieser Frage geschrieben worden ist, vorm Jahre zusammen¬ gestellt in seinem Nachrufe an Albert von Zahn, im Schlußhefte von Zahn's »Jahrbüchern für Kunstwissenschaft". Seitdem hat die Angelegenheit geruht; alle competenten Stimmen waren schließlich darüber einig, daß zwar „der Anonymus der linkshingewandten Profilköpfe" jedenfalls in Dürer's eigner oder wenigstens nicht viel späterer Zeit gelebt habe, aber daß er eben ein Anonymus sei und wahrscheinlich bleiben werde. Sattel kommt nun nochmals auf die Angelegenheit zurück und bringt neue, überzeugende Beweise dafür bei, daß die Zeichnungen unmöglich viel später als in Dürer's Zeit entstanden sein können. Wenn er aber auch die Annahme einer gleichzeitigen Fälschung für „absurd" erklärt, weil der Fälscher dann, um Anlaß und Gelegenheit zur Darstellung gewisser Köpfe gehabt zu haben, Dürern nach Aachen, Antwerpen und auf den Augsburger Reichstag hätte nachreisen oder sich nach Dürer's Rückkehr Einsicht in dessen Reisemanuscript verschaffen müssen, so würden wir diesem Einwürfe nur dann einiges Gewicht beimessen können, wenn es sich wirklich von Hause aus um eine Fälschung handelte. Aber von dieser Borstellung wird man sich jedenfalls ganz loszumachen haben; nicht der die Köpfe zeichnete, sondern erst der, der sie ausschnitt und mit Dürer's Monogramm versah, das war der „Fälscher". Zahn .hat unseres Wissens zuerst die Vermuthung ausgesprochen, die Zeich¬ nungen seien Visirungen zu Medaillen gewesen, und Sattel erhebt diese Ver¬ muthung „fast zur Gewißheit". Läge denn nicht die umgekehrte Vermuthung eben so nahe, daß die Köpfe, wenigstens zum Theil, erst nach Medaillen ge¬ zeichnet sind? Es wird abzuwarten sein, was Thausing auf die Argumente Sattel's erwiedern wird. Hoffentlich wird er es weniger leidenschaftlich thun als sein Gegner; denn wenn es lediglich „das Streben nach Wahrheit in der Erforschung der Werke unseres herrlichsten deutschen Meisters" gewesen ist. Welches Sattel bei Abfassung seiner Schrift geleitet hat, dann war es wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/237>, abgerufen am 25.08.2024.