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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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lauter im Jahre 1840 sehr wohl erkannt, daß sie für sich allein nicht be¬
stehen konnten und daß sie der Verbindung mit einem mächtigen, selbständigen
Staate bedurften, um erneuerten Angriffen Frankreichs entgegen zu treten.
Mit dem Anschlusse an Preußen waren sie daher in den Jahren 1814 und
181S sehr zufrieden. Keine Geschichte band die Gesammtprovinz an ein
Fürstenhaus. Auch konnten sich ja nur die geistlichen Kurfürstenthümer
Trier, Mainz und Köln einer Geschichte rühmen. Die Rückkehr zum Krumm-
stabe aber wurde damals von keiner Seite, selbst nicht einmal vom Klerus
gewünscht. Die kleinen Ländchen mit ihren kleinen Fürsten, Reichsgrafen,
Reichsrittern, Stiftern und Klöstern hatten keine Geschichte, sondern nur Ge¬
schichtchen und Chroniken. Kein Rheinländer sehnte sich nach diesen Zu¬
ständen des vergangenen Jahrhunderts zurück. Ihr Hauptwunsch war, zu¬
sammen zu bleiben. Wohl mochten noch in Düsseldorf einige Erinnerungen
an das Wittelsbacher Fürstenhaus vorherrschen, aber auch Preußen hatte ja
durch den Jülich-Cleveschen Erbstreit Besitzungen am Rheine erlangt und es
ist bekannt, daß der Name Friedrich's des Großen nirgends so gefeiert wurde,
als in den Rheingegenden. Hierzu kam, daß in den Jahren 1814 und 1813
Preußen durch seine freisinnige Gesetzgebung von 1807 bis 1813, durch die
großen Männer, welche diese Erhebung bewirkt hatten, durch die energische
Tapferkeit der Armee und durch seine Opferwilligkeit, die Sympathien des
deutschen Vaterlandes errungen hatte. Einem solchen Volke anzugehören,
einen Hauptbestandtheil desselben auszumachen, schien erwünscht. Selbst der
rheinische Merkur, der sich in den Rheinprovinzen eine Macht errungen hatte,
wie keine andere deutsche Zeitung vor oder nach ihm, suchte diese Vereinigung
mit Preußen zu befördern. Er rühmte die wiedergeborene jugendliche Kraft,
in der Preußen aufgetreten und das neue verjüngte Leben, welches sich in
ihm entzündet hatte. "Es ist nicht mehr", -- so sagt er an einer andern
Stelle -- "das alte Preußen durch fressende Eifersucht und transcendentale
Pfiffigkeit der Schrecken aller Nachbarstaaten; es ist, wie das alte Sachsen¬
land, der Sitz der Vaterlandsliebe, deutschen Muths und rechter Kraft und
Tüchtigkeit geworden und mit freudigem Stolze blicken alle deutschen Länder
zu ihm aus." In Wahrheit gaben sich auch die Rheinländer den freudigen
Hoffnungen hin, als in Aachen am 15. Mai 1815 die Huldigung erfolgte.
Ihre Hoffnungen stützten sich nicht sowohl auf den Zuruf des Königs vom
S. April 1816, sondern darauf, daß ihnen der freisinnige v. Sack zum Gou¬
verneur gegeben und daß dieser Männer wie Görres, Arndt und Koppe an
sich zog und die freie Bewegung und Entwickelung im Sinne der Stein'schen
Gesetzgebung unterstützte. Leider wurden die Hoffnungen der Rheinländer sehr
bald durch die Reactionspartei, welche in Berlin unter Leitung von Wittgen"
stein, Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz, Tauenzien, v. Kamptz, Schmalz,


lauter im Jahre 1840 sehr wohl erkannt, daß sie für sich allein nicht be¬
stehen konnten und daß sie der Verbindung mit einem mächtigen, selbständigen
Staate bedurften, um erneuerten Angriffen Frankreichs entgegen zu treten.
Mit dem Anschlusse an Preußen waren sie daher in den Jahren 1814 und
181S sehr zufrieden. Keine Geschichte band die Gesammtprovinz an ein
Fürstenhaus. Auch konnten sich ja nur die geistlichen Kurfürstenthümer
Trier, Mainz und Köln einer Geschichte rühmen. Die Rückkehr zum Krumm-
stabe aber wurde damals von keiner Seite, selbst nicht einmal vom Klerus
gewünscht. Die kleinen Ländchen mit ihren kleinen Fürsten, Reichsgrafen,
Reichsrittern, Stiftern und Klöstern hatten keine Geschichte, sondern nur Ge¬
schichtchen und Chroniken. Kein Rheinländer sehnte sich nach diesen Zu¬
ständen des vergangenen Jahrhunderts zurück. Ihr Hauptwunsch war, zu¬
sammen zu bleiben. Wohl mochten noch in Düsseldorf einige Erinnerungen
an das Wittelsbacher Fürstenhaus vorherrschen, aber auch Preußen hatte ja
durch den Jülich-Cleveschen Erbstreit Besitzungen am Rheine erlangt und es
ist bekannt, daß der Name Friedrich's des Großen nirgends so gefeiert wurde,
als in den Rheingegenden. Hierzu kam, daß in den Jahren 1814 und 1813
Preußen durch seine freisinnige Gesetzgebung von 1807 bis 1813, durch die
großen Männer, welche diese Erhebung bewirkt hatten, durch die energische
Tapferkeit der Armee und durch seine Opferwilligkeit, die Sympathien des
deutschen Vaterlandes errungen hatte. Einem solchen Volke anzugehören,
einen Hauptbestandtheil desselben auszumachen, schien erwünscht. Selbst der
rheinische Merkur, der sich in den Rheinprovinzen eine Macht errungen hatte,
wie keine andere deutsche Zeitung vor oder nach ihm, suchte diese Vereinigung
mit Preußen zu befördern. Er rühmte die wiedergeborene jugendliche Kraft,
in der Preußen aufgetreten und das neue verjüngte Leben, welches sich in
ihm entzündet hatte. „Es ist nicht mehr", — so sagt er an einer andern
Stelle — „das alte Preußen durch fressende Eifersucht und transcendentale
Pfiffigkeit der Schrecken aller Nachbarstaaten; es ist, wie das alte Sachsen¬
land, der Sitz der Vaterlandsliebe, deutschen Muths und rechter Kraft und
Tüchtigkeit geworden und mit freudigem Stolze blicken alle deutschen Länder
zu ihm aus." In Wahrheit gaben sich auch die Rheinländer den freudigen
Hoffnungen hin, als in Aachen am 15. Mai 1815 die Huldigung erfolgte.
Ihre Hoffnungen stützten sich nicht sowohl auf den Zuruf des Königs vom
S. April 1816, sondern darauf, daß ihnen der freisinnige v. Sack zum Gou¬
verneur gegeben und daß dieser Männer wie Görres, Arndt und Koppe an
sich zog und die freie Bewegung und Entwickelung im Sinne der Stein'schen
Gesetzgebung unterstützte. Leider wurden die Hoffnungen der Rheinländer sehr
bald durch die Reactionspartei, welche in Berlin unter Leitung von Wittgen«
stein, Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz, Tauenzien, v. Kamptz, Schmalz,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/210>, abgerufen am 22.07.2024.