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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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mit über 60 Thlr. pro Kopf der an Dänemark zurückzugebenden Bevölkerung
mit jener chevaleresken Gleichgültigkeit hinweg, welche durch längere Abhängig¬
keit vom k. k. Preßbureau und die gemüthliche Erfahrung, welche Summen dort
für nichts verschwendet wurden, gewonnen wird. Er ist mit keinem Worte
behülflich. uns das von ihm selbst aufgestellte Räthsel zu lösen: wie einerseits
die Rückerwerbung nordschleswigscher Districte eine Lebensfrage für Däne¬
mark sein soll und warum andrerseits zur Lösung dieser Lebensfrage Däne-
Mark nicht das geringste Opfer, ja nicht die geringste Concession an die un¬
zweifelhaft logische und rechtmäßige Auslegung und Erfüllungsbasis Bismarck's
zu bieten bereit ist. --

Schon im Herbst 1867 hatte der norddeutsche Reichstag zum zweiten
Male Gelegenheit, den Kanzler über die nordschleswigsche Frage sich äu¬
ßern zu hören. Dießmal war es der Abg. Prof. Hänel aus Kiel, heute Vi-
cepräsident des preuß. Abgeordnetenhauses, damals noch ein sehr guter Augu-
stenburger, welcher die Adreßdebatte am 20. September sich zur Gelegenheit
ausersah, "über das sich auszusprechen, was er auf dem Herzen habe." Er
meinte, der Art. V. des Prager Friedens sei der Preis, den Preußen habe
zahlen müssen, um Schleswig-Holstein annectiren zu dürfen, und ein Theil
von diesem Lande sei nur Preußisch geworden, um Dänisch zu werden. Bis-
marck erwiederte darauf: "Ich halte eine Herrschaft Deutscher über wider¬
strebende Nationen, ich will nicht sagen eine Herrschaft, aber ein Zusammen¬
leben Deutscher in demselben Gemeinwesen mit solchen Nationen, welche da¬
nach streben, sich von diesem Gemeinwesen zu lösen, nicht für nützlich, mit¬
unter aber ist es nothwendig. In Polen ist es nothwendig, wie ein
Blick auf die Karte zeigt. Die Schwierigkeit der vom Vorredner berührten
Frage liegt deshalb für uns nicht in der Session von Dänen, welche dä¬
nisch sein wollen, an Dänemark, nicht darin, daß wir ablehnen wollen, Dä¬
nemark zu geben was Dänisch, sondern in der Mischung der Bevölkerung,
darin, daß wir Dänen nicht an Dänemark zurückgeben können, ohne ihm
Deutsche zu geben. Wohnten sämmtliche Dänen in einem an der dänischen
Grenze belegenen Landstriche und sämmtliche Deutsche diesseits, so würde ich
es für eine falsche Politik halten, diese Sache nicht mit einem Strich zu lö¬
sen und den rein dänischen Distrikt an Dänemark zurückzugeben. Ich würde
dann die Rückgabe für eine einfache Forderung derselben nationalen Politik
halten, welcher wir in Deutschland folgen." Aber der Kanzler constatirt un¬
mittelbar nachher, unter lebhaftem Beifall der Versammlung, daß "sich eben
keine Quadratmeile findet, in welcher eine vollständig ungemischte dänische
Bevölkerung lebt."

Die nüchterne Klarheit und Energie dieser realpolitischen Erwägungen
'se von dänischer Seite nie gewürdigt worden. Die folgenden Jahre hindurch


mit über 60 Thlr. pro Kopf der an Dänemark zurückzugebenden Bevölkerung
mit jener chevaleresken Gleichgültigkeit hinweg, welche durch längere Abhängig¬
keit vom k. k. Preßbureau und die gemüthliche Erfahrung, welche Summen dort
für nichts verschwendet wurden, gewonnen wird. Er ist mit keinem Worte
behülflich. uns das von ihm selbst aufgestellte Räthsel zu lösen: wie einerseits
die Rückerwerbung nordschleswigscher Districte eine Lebensfrage für Däne¬
mark sein soll und warum andrerseits zur Lösung dieser Lebensfrage Däne-
Mark nicht das geringste Opfer, ja nicht die geringste Concession an die un¬
zweifelhaft logische und rechtmäßige Auslegung und Erfüllungsbasis Bismarck's
zu bieten bereit ist. —

Schon im Herbst 1867 hatte der norddeutsche Reichstag zum zweiten
Male Gelegenheit, den Kanzler über die nordschleswigsche Frage sich äu¬
ßern zu hören. Dießmal war es der Abg. Prof. Hänel aus Kiel, heute Vi-
cepräsident des preuß. Abgeordnetenhauses, damals noch ein sehr guter Augu-
stenburger, welcher die Adreßdebatte am 20. September sich zur Gelegenheit
ausersah, „über das sich auszusprechen, was er auf dem Herzen habe." Er
meinte, der Art. V. des Prager Friedens sei der Preis, den Preußen habe
zahlen müssen, um Schleswig-Holstein annectiren zu dürfen, und ein Theil
von diesem Lande sei nur Preußisch geworden, um Dänisch zu werden. Bis-
marck erwiederte darauf: „Ich halte eine Herrschaft Deutscher über wider¬
strebende Nationen, ich will nicht sagen eine Herrschaft, aber ein Zusammen¬
leben Deutscher in demselben Gemeinwesen mit solchen Nationen, welche da¬
nach streben, sich von diesem Gemeinwesen zu lösen, nicht für nützlich, mit¬
unter aber ist es nothwendig. In Polen ist es nothwendig, wie ein
Blick auf die Karte zeigt. Die Schwierigkeit der vom Vorredner berührten
Frage liegt deshalb für uns nicht in der Session von Dänen, welche dä¬
nisch sein wollen, an Dänemark, nicht darin, daß wir ablehnen wollen, Dä¬
nemark zu geben was Dänisch, sondern in der Mischung der Bevölkerung,
darin, daß wir Dänen nicht an Dänemark zurückgeben können, ohne ihm
Deutsche zu geben. Wohnten sämmtliche Dänen in einem an der dänischen
Grenze belegenen Landstriche und sämmtliche Deutsche diesseits, so würde ich
es für eine falsche Politik halten, diese Sache nicht mit einem Strich zu lö¬
sen und den rein dänischen Distrikt an Dänemark zurückzugeben. Ich würde
dann die Rückgabe für eine einfache Forderung derselben nationalen Politik
halten, welcher wir in Deutschland folgen." Aber der Kanzler constatirt un¬
mittelbar nachher, unter lebhaftem Beifall der Versammlung, daß „sich eben
keine Quadratmeile findet, in welcher eine vollständig ungemischte dänische
Bevölkerung lebt."

Die nüchterne Klarheit und Energie dieser realpolitischen Erwägungen
'se von dänischer Seite nie gewürdigt worden. Die folgenden Jahre hindurch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/205>, abgerufen am 28.09.2024.