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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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gewesen, der Flecken Sadowa keine historische Berühmtheit erlangt, und
Oesterreich wahrscheinlich heute noch die deutsche Vormacht gewesen wäre."
Man wird uns zugeben, daß dieser brutal ideenlose Standpunkt so wenig
Ahnung für die gesammte Entwickelung der preußischen Politik und der na¬
tionalen Idee während der letzten sechszig Jahre verräth, wie eben nur die
unbelehrbare Perversität des Herrn v. Beust in nationalen Dingen. S. 80
führt dann der Verfasser liebkosend das Schooßkind des weil. Sachs.
Ministers in den Jahren 1864 und 1865 ein. jenes "Compromiß, infolge
dessen die beiden Herzogthümer als selbständiger Staat unter einem deutschen,
zunächst der Schleswig-holsteinischen Herzogsfamilie entstammenden Fürsten in
den deutschen Bund treten." Diesem Standpunkt entsprechend, gestaltet sich
das Urtheil des Verfassers über die preußische Diplomatie in der dänischen
Frage und im Allgemeinen. "Für die Diplomatie gibt es -- oder soll es
wenigstens geben -- kein anderes als das Recht, welches die Vernunft und
die dem Menschen angeborene lebhafte Empfindung für das Wahre und Edle
lehrt, und das uns die Vernünftigen, Edelen und Gerechten" -- z. B. der
Verfasser -- "aufgeschrieben und gelehrt haben. Leider ist die Diplomatie,
diesen edeln Beruf verkennend, von der hohen Stufe, auf der sie stehen muß,
herabgestiegen, indem sie ihr Recht in dem Unrecht gegen Andere, ihre Lor¬
beeren auf Dorngestrüppen sucht, indem sie Klugheit mit Hinterlist verwechselt
und Mißtrauen säet und erntet, statt durch weise Vorsicht bei edler Geradheit
Vertrauen zu zeigen und zu erwecken." Schließlich droht der Verfasser, "die
Vorzüge und die großen Eigenschaften dieses Berufes in seinem Lehrbuch des
Völkerrechts weiter auseinander zu setzen, da hier nicht der geeignete Ort dazu
ist." Wir sind auf das Curiosum gespannt, empfehlen dem Verfasser inzwi¬
schen aber das lehrreiche Nachdenken, ob denn nicht gerade die preußische Di¬
plomatie unter Bismarck die ehrliche muthige Offenheit und, die Reinheit des
Strebens, ohne Kränkung irgendwelcher internationalen Interessen, auf eine bis
dahin ungeahnte Höhe und Strenge gehoben'hat? Es soll dem Verfasser
nicht vorgeworfen werden, daß er den deutschen Kanzler so blind haßt, wie
etwa Herr Sonnemann oder Herr Ewald. Der Verfasser ist gerechter. Er
nennt Bismarck einen "durch Geist und Energie einzelne Menschen und Dinge
klar übersehenden Minister", womit er sicherlich die Fähigkeiten und Leistungen
des deutschen Kanzlers in ebenso geistvoller als erschöpfender Weise ausdrückt.
Aber Bismarck ist leider nicht unfehlbar. Er läßt sich, führt der Verfasser des
Breiteren aus, von der sogenannten öffentlichen Meinung und namentlich von
der bösen nationalliberalen Mehrheit der parlamentarischen Körperschaften in
Preußen und im Reiche verblenden. Diese Mehrheit ist in hohem Grade un¬
vernünftig und dreiste. Sie kann immer nicht genug bekommen und besitzt
die falsche Scham, nichts von dem hergeben zu wollen, was Deutschland ein-


gewesen, der Flecken Sadowa keine historische Berühmtheit erlangt, und
Oesterreich wahrscheinlich heute noch die deutsche Vormacht gewesen wäre."
Man wird uns zugeben, daß dieser brutal ideenlose Standpunkt so wenig
Ahnung für die gesammte Entwickelung der preußischen Politik und der na¬
tionalen Idee während der letzten sechszig Jahre verräth, wie eben nur die
unbelehrbare Perversität des Herrn v. Beust in nationalen Dingen. S. 80
führt dann der Verfasser liebkosend das Schooßkind des weil. Sachs.
Ministers in den Jahren 1864 und 1865 ein. jenes „Compromiß, infolge
dessen die beiden Herzogthümer als selbständiger Staat unter einem deutschen,
zunächst der Schleswig-holsteinischen Herzogsfamilie entstammenden Fürsten in
den deutschen Bund treten." Diesem Standpunkt entsprechend, gestaltet sich
das Urtheil des Verfassers über die preußische Diplomatie in der dänischen
Frage und im Allgemeinen. „Für die Diplomatie gibt es — oder soll es
wenigstens geben — kein anderes als das Recht, welches die Vernunft und
die dem Menschen angeborene lebhafte Empfindung für das Wahre und Edle
lehrt, und das uns die Vernünftigen, Edelen und Gerechten" — z. B. der
Verfasser — „aufgeschrieben und gelehrt haben. Leider ist die Diplomatie,
diesen edeln Beruf verkennend, von der hohen Stufe, auf der sie stehen muß,
herabgestiegen, indem sie ihr Recht in dem Unrecht gegen Andere, ihre Lor¬
beeren auf Dorngestrüppen sucht, indem sie Klugheit mit Hinterlist verwechselt
und Mißtrauen säet und erntet, statt durch weise Vorsicht bei edler Geradheit
Vertrauen zu zeigen und zu erwecken." Schließlich droht der Verfasser, „die
Vorzüge und die großen Eigenschaften dieses Berufes in seinem Lehrbuch des
Völkerrechts weiter auseinander zu setzen, da hier nicht der geeignete Ort dazu
ist." Wir sind auf das Curiosum gespannt, empfehlen dem Verfasser inzwi¬
schen aber das lehrreiche Nachdenken, ob denn nicht gerade die preußische Di¬
plomatie unter Bismarck die ehrliche muthige Offenheit und, die Reinheit des
Strebens, ohne Kränkung irgendwelcher internationalen Interessen, auf eine bis
dahin ungeahnte Höhe und Strenge gehoben'hat? Es soll dem Verfasser
nicht vorgeworfen werden, daß er den deutschen Kanzler so blind haßt, wie
etwa Herr Sonnemann oder Herr Ewald. Der Verfasser ist gerechter. Er
nennt Bismarck einen „durch Geist und Energie einzelne Menschen und Dinge
klar übersehenden Minister", womit er sicherlich die Fähigkeiten und Leistungen
des deutschen Kanzlers in ebenso geistvoller als erschöpfender Weise ausdrückt.
Aber Bismarck ist leider nicht unfehlbar. Er läßt sich, führt der Verfasser des
Breiteren aus, von der sogenannten öffentlichen Meinung und namentlich von
der bösen nationalliberalen Mehrheit der parlamentarischen Körperschaften in
Preußen und im Reiche verblenden. Diese Mehrheit ist in hohem Grade un¬
vernünftig und dreiste. Sie kann immer nicht genug bekommen und besitzt
die falsche Scham, nichts von dem hergeben zu wollen, was Deutschland ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/202>, abgerufen am 25.08.2024.