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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Chevalier A. E. Wollheim da Fonseca, Dr., der mit einer so naiven Um¬
ständlichkeit uns erzählt, wer bisher Alles bei ihm Gutachten und Schrift¬
werke über die dänische Frage bestellt und zur höchsten Befriedigung auch er¬
halten habe, es ist schmerzlich sagen wir, daß dieser unabhängige Geist nicht
auch bekennt, auf wessen Wunsch das vorliegende Product seiner innersten
Ueberzeugung entflossen ist. Wir sind nicht so indiscret, in dieser Hinsicht die
vom Verfasser geübte edle Zurückhaltung zu durchbrechen. Aber es ist wohl
gestattet, mit "ahnungsvollem Ernst" darauf hinzuweisen, daß große Menschen
das ritorv' al Segno so häufig in ihrem Leben befolgen, und daß der Herr
Chevalier uns S. 41 selbst eingesteht, daß er "trotz seiner patriotischen Ge¬
sinnungen, doch in Erinnerung an frühere glückliche, in der unmittelbarsten
Nähe Sr. weiland Majestät Friedrich's VI. verlebte Zeiten und an die
Gnadenbezeigungen, mit denen dieser edle Monarch ihn überhäuft hatte, von
lebhaften Sympathieen für Dänemark (!) beseelt war" , und wohl noch ist,
da bei einem so vorzüglichen Charakter, wie unserm Chevalier, die Länge der
Zeit, welche seit Verleihung der Decorationen verflossen ist, keineswegs das
Dankgefühl gegen den edeln Geber oder dessen Nachfolger abschwächt. Dieser
Vermuthung, daß der Verfasser dießmal geschrieben habe infolge von Wünschen,
welche aus Dänemark an ihn ergangen wären, steht nur die Erwägung entgegen,
daß die Dänen bisher sich nicht der Maske deutscher Patrioten bedienten, um
ihre Sache zu führen, und noch weniger Politiker von der eminenten Unge¬
schicklichkeit des Herrn Chevalier sich anwünschten. Die ganze Methode der
Geschichtsschreibung und Gruppirung der Thatsachen, das Vorwalten der
elegischen Stimmung bei dem Rückblick auf die Entwickelung der deutschen
Frage von 1864 bis 1866. die moralische Indignation über jene Berliner
"Diplomatie", die sich bisher den Andern so rücksichtslos überlegen gezeigt
hat, endlich die absolute Impotenz des Verfassers an fruchtbaren politischen
Gedanken, alle diese Momente weisen der vorliegenden Broschüre vielmehr
eine intime Verwandtschaft mit dem System Beust zu, obschon der Verfasser
glaubhaft versichert, daß er "in keinem Verhältnisse mehr zur k. k. Regierung
stehe". Das thut ja Herr v. Beust in gewissem Sinne auch nicht mehr. Auch
er wird nur noch passiv conjugirt. Aber das platonische Verhältniß, welches
Herr v. Beust an den Usern der Themse zur k. k. Regierungsleitung unter¬
hält, läßt ihm auch Zeit genug übrig, hie und da ein bischen deutschfeindliche
Politik zu inspiriren oder selbst zu treiben.

Für die angeführten Eigenthümlichkeiten der vorliegenden Schrift sollen,
so weit es der Raum gestattet, authentische Belege beigebracht werden. S. 48.
bekennt sich der Verfasser zu dem naiven Glauben, daß wenn Oesterreich
1864 Preußen allein die Action gegen Dänemark überlassen hätte, "das Mi߬
trauen zwischen den beiden Großmächten durch einen geschickten Zug beseitigt


Grenzboten til. 1874. 25

Chevalier A. E. Wollheim da Fonseca, Dr., der mit einer so naiven Um¬
ständlichkeit uns erzählt, wer bisher Alles bei ihm Gutachten und Schrift¬
werke über die dänische Frage bestellt und zur höchsten Befriedigung auch er¬
halten habe, es ist schmerzlich sagen wir, daß dieser unabhängige Geist nicht
auch bekennt, auf wessen Wunsch das vorliegende Product seiner innersten
Ueberzeugung entflossen ist. Wir sind nicht so indiscret, in dieser Hinsicht die
vom Verfasser geübte edle Zurückhaltung zu durchbrechen. Aber es ist wohl
gestattet, mit „ahnungsvollem Ernst" darauf hinzuweisen, daß große Menschen
das ritorv' al Segno so häufig in ihrem Leben befolgen, und daß der Herr
Chevalier uns S. 41 selbst eingesteht, daß er „trotz seiner patriotischen Ge¬
sinnungen, doch in Erinnerung an frühere glückliche, in der unmittelbarsten
Nähe Sr. weiland Majestät Friedrich's VI. verlebte Zeiten und an die
Gnadenbezeigungen, mit denen dieser edle Monarch ihn überhäuft hatte, von
lebhaften Sympathieen für Dänemark (!) beseelt war" , und wohl noch ist,
da bei einem so vorzüglichen Charakter, wie unserm Chevalier, die Länge der
Zeit, welche seit Verleihung der Decorationen verflossen ist, keineswegs das
Dankgefühl gegen den edeln Geber oder dessen Nachfolger abschwächt. Dieser
Vermuthung, daß der Verfasser dießmal geschrieben habe infolge von Wünschen,
welche aus Dänemark an ihn ergangen wären, steht nur die Erwägung entgegen,
daß die Dänen bisher sich nicht der Maske deutscher Patrioten bedienten, um
ihre Sache zu führen, und noch weniger Politiker von der eminenten Unge¬
schicklichkeit des Herrn Chevalier sich anwünschten. Die ganze Methode der
Geschichtsschreibung und Gruppirung der Thatsachen, das Vorwalten der
elegischen Stimmung bei dem Rückblick auf die Entwickelung der deutschen
Frage von 1864 bis 1866. die moralische Indignation über jene Berliner
„Diplomatie", die sich bisher den Andern so rücksichtslos überlegen gezeigt
hat, endlich die absolute Impotenz des Verfassers an fruchtbaren politischen
Gedanken, alle diese Momente weisen der vorliegenden Broschüre vielmehr
eine intime Verwandtschaft mit dem System Beust zu, obschon der Verfasser
glaubhaft versichert, daß er „in keinem Verhältnisse mehr zur k. k. Regierung
stehe". Das thut ja Herr v. Beust in gewissem Sinne auch nicht mehr. Auch
er wird nur noch passiv conjugirt. Aber das platonische Verhältniß, welches
Herr v. Beust an den Usern der Themse zur k. k. Regierungsleitung unter¬
hält, läßt ihm auch Zeit genug übrig, hie und da ein bischen deutschfeindliche
Politik zu inspiriren oder selbst zu treiben.

Für die angeführten Eigenthümlichkeiten der vorliegenden Schrift sollen,
so weit es der Raum gestattet, authentische Belege beigebracht werden. S. 48.
bekennt sich der Verfasser zu dem naiven Glauben, daß wenn Oesterreich
1864 Preußen allein die Action gegen Dänemark überlassen hätte, „das Mi߬
trauen zwischen den beiden Großmächten durch einen geschickten Zug beseitigt


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[0201] Chevalier A. E. Wollheim da Fonseca, Dr., der mit einer so naiven Um¬ ständlichkeit uns erzählt, wer bisher Alles bei ihm Gutachten und Schrift¬ werke über die dänische Frage bestellt und zur höchsten Befriedigung auch er¬ halten habe, es ist schmerzlich sagen wir, daß dieser unabhängige Geist nicht auch bekennt, auf wessen Wunsch das vorliegende Product seiner innersten Ueberzeugung entflossen ist. Wir sind nicht so indiscret, in dieser Hinsicht die vom Verfasser geübte edle Zurückhaltung zu durchbrechen. Aber es ist wohl gestattet, mit „ahnungsvollem Ernst" darauf hinzuweisen, daß große Menschen das ritorv' al Segno so häufig in ihrem Leben befolgen, und daß der Herr Chevalier uns S. 41 selbst eingesteht, daß er „trotz seiner patriotischen Ge¬ sinnungen, doch in Erinnerung an frühere glückliche, in der unmittelbarsten Nähe Sr. weiland Majestät Friedrich's VI. verlebte Zeiten und an die Gnadenbezeigungen, mit denen dieser edle Monarch ihn überhäuft hatte, von lebhaften Sympathieen für Dänemark (!) beseelt war" , und wohl noch ist, da bei einem so vorzüglichen Charakter, wie unserm Chevalier, die Länge der Zeit, welche seit Verleihung der Decorationen verflossen ist, keineswegs das Dankgefühl gegen den edeln Geber oder dessen Nachfolger abschwächt. Dieser Vermuthung, daß der Verfasser dießmal geschrieben habe infolge von Wünschen, welche aus Dänemark an ihn ergangen wären, steht nur die Erwägung entgegen, daß die Dänen bisher sich nicht der Maske deutscher Patrioten bedienten, um ihre Sache zu führen, und noch weniger Politiker von der eminenten Unge¬ schicklichkeit des Herrn Chevalier sich anwünschten. Die ganze Methode der Geschichtsschreibung und Gruppirung der Thatsachen, das Vorwalten der elegischen Stimmung bei dem Rückblick auf die Entwickelung der deutschen Frage von 1864 bis 1866. die moralische Indignation über jene Berliner „Diplomatie", die sich bisher den Andern so rücksichtslos überlegen gezeigt hat, endlich die absolute Impotenz des Verfassers an fruchtbaren politischen Gedanken, alle diese Momente weisen der vorliegenden Broschüre vielmehr eine intime Verwandtschaft mit dem System Beust zu, obschon der Verfasser glaubhaft versichert, daß er „in keinem Verhältnisse mehr zur k. k. Regierung stehe". Das thut ja Herr v. Beust in gewissem Sinne auch nicht mehr. Auch er wird nur noch passiv conjugirt. Aber das platonische Verhältniß, welches Herr v. Beust an den Usern der Themse zur k. k. Regierungsleitung unter¬ hält, läßt ihm auch Zeit genug übrig, hie und da ein bischen deutschfeindliche Politik zu inspiriren oder selbst zu treiben. Für die angeführten Eigenthümlichkeiten der vorliegenden Schrift sollen, so weit es der Raum gestattet, authentische Belege beigebracht werden. S. 48. bekennt sich der Verfasser zu dem naiven Glauben, daß wenn Oesterreich 1864 Preußen allein die Action gegen Dänemark überlassen hätte, „das Mi߬ trauen zwischen den beiden Großmächten durch einen geschickten Zug beseitigt Grenzboten til. 1874. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/201>, abgerufen am 22.07.2024.