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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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neue ansichtig wird, wie das erste mal. Die geordnete Unruhe ladet sodann
zur Aufmerksamkeit und man entziffert sich gern den Totaleindruck aus einer
so wohl überdachten Mannigfaltigkeit und kehrt mit Antheil zu der seltsa¬
men Erscheinung zurück, die uns immer wieder aufreizt und befriedigt.

Haben sie tausend Dank! Erhalten Sie mir ein gemüthliches Andenken
und empfehlen mich dem theueren Gräflich Reinhartischen Hause.


Hochachtungsvoll
ergebenst.
I. W. Goethe.

Weimar den 15. Juny 1824.




Im nordschleswigschen Irage.

Diese Ueberschrift ist eigentlich nicht richtig: es giebt keine nordschleswigsche
Frage. Nicht einmal in dem Sinne wie etwa eine sociale Frage, auf welche
bis jetzt bekanntlich niemand eine genügende sociale Antwort bereit hat.
Nein, die nordschleswigsche Frage gehört heutzutage nur noch in das Gebiet
jener gemüthlichen Seeschlangen, die in unendlichen Windungen auftauchen,
wenn das bevorzugte Gewächs der deutschen Tropenhitze, die saure Gurke, in
ihr Recht tritt. Diese Seeschlangen sind anständige Raubthiere, denn sie er¬
würgen und todten nichts als die unendliche Zeit der gelangweilten Menschen.
Weiter haben sie keinen Zweck. In diesem Sinne kann man das in diese
heißen Tage fallende Erscheinen einer Schrift über die nordschleswigsche Frage*)
mit Freuden ein zeitgemäßes Unternehmen nennen. Der Verfasser hac sein
Opus bereits zu einer Zeit abgeschlossen, wo der Besuch des deutschen Kron¬
prinzen in Kopenhagen, des dänischen Kronprinzen in Berlin als Novum
und Novissimum nur noch in kleinen erstaunten Noten am Fuße des Textes
Berücksichtigung finden, und die Erlebnisse der jüngsten Reichstagswahlen
kurzweg als störende Eingriffe in die weit früher abgeschlossenen Gedankeneirkel
des Verfassers vornehm abgewiesen werden konnten. Das Manuseript muß
also bereits zu Anfang dieses Jahres druckfertig gewesen sein. Allein mit
einer die Bedürfnisse der Leser während des Hochsommers außerordentlich rich¬
tig tarirenden Menschenkenntniß, und in ebenso tactvoller. Würdigung des
Stoffes, hat die Verlagshandlung sich beeilt, die Schrift gerade zur Kimto
Saison der Seeschlangen fertig zu stellen. Ja, aus der Bemerkung auf dem
Umschlag: der "Verfasser behält sich das Uebersetzungsrecht vor", darf auf die



") Zur nordschlcswigschen Frage. Historisch-politische Skizze von Chevalier A. E. Woll¬
heim da Fonseca. -- Leipzig, Harttnoch 1874.

neue ansichtig wird, wie das erste mal. Die geordnete Unruhe ladet sodann
zur Aufmerksamkeit und man entziffert sich gern den Totaleindruck aus einer
so wohl überdachten Mannigfaltigkeit und kehrt mit Antheil zu der seltsa¬
men Erscheinung zurück, die uns immer wieder aufreizt und befriedigt.

Haben sie tausend Dank! Erhalten Sie mir ein gemüthliches Andenken
und empfehlen mich dem theueren Gräflich Reinhartischen Hause.


Hochachtungsvoll
ergebenst.
I. W. Goethe.

Weimar den 15. Juny 1824.




Im nordschleswigschen Irage.

Diese Ueberschrift ist eigentlich nicht richtig: es giebt keine nordschleswigsche
Frage. Nicht einmal in dem Sinne wie etwa eine sociale Frage, auf welche
bis jetzt bekanntlich niemand eine genügende sociale Antwort bereit hat.
Nein, die nordschleswigsche Frage gehört heutzutage nur noch in das Gebiet
jener gemüthlichen Seeschlangen, die in unendlichen Windungen auftauchen,
wenn das bevorzugte Gewächs der deutschen Tropenhitze, die saure Gurke, in
ihr Recht tritt. Diese Seeschlangen sind anständige Raubthiere, denn sie er¬
würgen und todten nichts als die unendliche Zeit der gelangweilten Menschen.
Weiter haben sie keinen Zweck. In diesem Sinne kann man das in diese
heißen Tage fallende Erscheinen einer Schrift über die nordschleswigsche Frage*)
mit Freuden ein zeitgemäßes Unternehmen nennen. Der Verfasser hac sein
Opus bereits zu einer Zeit abgeschlossen, wo der Besuch des deutschen Kron¬
prinzen in Kopenhagen, des dänischen Kronprinzen in Berlin als Novum
und Novissimum nur noch in kleinen erstaunten Noten am Fuße des Textes
Berücksichtigung finden, und die Erlebnisse der jüngsten Reichstagswahlen
kurzweg als störende Eingriffe in die weit früher abgeschlossenen Gedankeneirkel
des Verfassers vornehm abgewiesen werden konnten. Das Manuseript muß
also bereits zu Anfang dieses Jahres druckfertig gewesen sein. Allein mit
einer die Bedürfnisse der Leser während des Hochsommers außerordentlich rich¬
tig tarirenden Menschenkenntniß, und in ebenso tactvoller. Würdigung des
Stoffes, hat die Verlagshandlung sich beeilt, die Schrift gerade zur Kimto
Saison der Seeschlangen fertig zu stellen. Ja, aus der Bemerkung auf dem
Umschlag: der „Verfasser behält sich das Uebersetzungsrecht vor", darf auf die



") Zur nordschlcswigschen Frage. Historisch-politische Skizze von Chevalier A. E. Woll¬
heim da Fonseca. — Leipzig, Harttnoch 1874.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/198>, abgerufen am 22.07.2024.