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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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mung derselben zu erzielen und um an Spesen zu sparen: bei allen Fahrten
auf ausgedehnten Wasserstrecken bleiben die Löschungs- und Verladekosten
dieselben und nur die Reisekosten fallen verschiedentlich, je nach Meilenzahl,
Schleußengebühren u. s. w., auf die Fracht.

3) Die dritte Hauptbedingung, die unerläßlichste von allen, ist die größt¬
mögliche Wohlfeilheit. In den Vereinigten Staaten ist die Kanalfracht fünf¬
mal billiger als der Eisenbahntarif. Nach den Untersuchungen von Michae¬
lis und von v. Puttkamer würden die Kanäle in Deutschland bei einem
Satz von 1/2 Pfennig pro Ctr. und Meile reichlich bestehn können -- ein
Tarif, der für die Eisenbahnen viel zu niedrig wäre.

Ueber die Hauptrichtungen, welche die deutschen Kanäle zu nehmen
hätten, müssen hier wenige Andeutungen genügen. Dem Nordostseekanal
ist eine große Gunst der öffentlichen Meinung entgegen gekommen. Man
hat ihn einen zweiten Suez-Kanal genannt. Sogar einen Theil des russischen
Asiens und der Wolga-Länder würde er in den Verkehr hineinziehen. Der
jetzige Seeweg zwischen Nord- und Ostsee ist ermüdend lang, ganz außer
Verhältniß zu der Entfernung beider Meere; außerdem ist er sehr gefährlich.
Die Fahrt durch den Sund mißt gegenwärtig 350 Seemeilen: der Nordsee¬
kanal würde ihn auf 65 deutsche Meilen abkürzen.*) Nun ist aber für tief¬
gehende Schiffe, wegen des schlechten Fahrwassers in dem Großen und
Kleinen Belt, die Sundpassage unerläßlich. Wie gefährlich sie ist,
deutet der unheimliche Name an, den die Seefahrer der Spitze von Skagen
gegeben habe: sie nennen sie den den "Kirchhof der Schiffe". Also
Zeit, Geld, Menschenleben und Güter würden durch den Nordostseekanal
erspart werden.

Ein zweites Kanalprojekt würde das große westphälische
Kohlenbecken für Deutschland erst recht nutzbar und der englischen Steinkohle
in unseren östlichen Provinzen Concurrenz machen. In der westphälischen
Steinkohle würden die deutschen Schiffe einen wichtigen Ausfuhrartikel nach
jenen östlichen Gegenden gewinnen, von denen sie zwar jetzt Holz und
Getreide in Rückfracht nehmen, aber als Ausfracht englische
Steinkohle einzunehmen genöthigt sind. Diese Ausfracht nach
allen Welttheilen sichert der englischen Rhederei große Vortheile, die auch
für Deutschland möglich sind. Das Flötz der Ruhr ist dreimal mäch¬
tiger als das von Lüttich, nämlich 54 Meter.

Wir haben zwar im Jahre 1862 an 114 Millionen Centner gefördert,
also 38 mal so viel als im Jahre 1810; allein die Nachfrage ist noch immer



') Andere berechnen die Zeitersparnis; auf 274 Seemeilen.

mung derselben zu erzielen und um an Spesen zu sparen: bei allen Fahrten
auf ausgedehnten Wasserstrecken bleiben die Löschungs- und Verladekosten
dieselben und nur die Reisekosten fallen verschiedentlich, je nach Meilenzahl,
Schleußengebühren u. s. w., auf die Fracht.

3) Die dritte Hauptbedingung, die unerläßlichste von allen, ist die größt¬
mögliche Wohlfeilheit. In den Vereinigten Staaten ist die Kanalfracht fünf¬
mal billiger als der Eisenbahntarif. Nach den Untersuchungen von Michae¬
lis und von v. Puttkamer würden die Kanäle in Deutschland bei einem
Satz von 1/2 Pfennig pro Ctr. und Meile reichlich bestehn können — ein
Tarif, der für die Eisenbahnen viel zu niedrig wäre.

Ueber die Hauptrichtungen, welche die deutschen Kanäle zu nehmen
hätten, müssen hier wenige Andeutungen genügen. Dem Nordostseekanal
ist eine große Gunst der öffentlichen Meinung entgegen gekommen. Man
hat ihn einen zweiten Suez-Kanal genannt. Sogar einen Theil des russischen
Asiens und der Wolga-Länder würde er in den Verkehr hineinziehen. Der
jetzige Seeweg zwischen Nord- und Ostsee ist ermüdend lang, ganz außer
Verhältniß zu der Entfernung beider Meere; außerdem ist er sehr gefährlich.
Die Fahrt durch den Sund mißt gegenwärtig 350 Seemeilen: der Nordsee¬
kanal würde ihn auf 65 deutsche Meilen abkürzen.*) Nun ist aber für tief¬
gehende Schiffe, wegen des schlechten Fahrwassers in dem Großen und
Kleinen Belt, die Sundpassage unerläßlich. Wie gefährlich sie ist,
deutet der unheimliche Name an, den die Seefahrer der Spitze von Skagen
gegeben habe: sie nennen sie den den „Kirchhof der Schiffe". Also
Zeit, Geld, Menschenleben und Güter würden durch den Nordostseekanal
erspart werden.

Ein zweites Kanalprojekt würde das große westphälische
Kohlenbecken für Deutschland erst recht nutzbar und der englischen Steinkohle
in unseren östlichen Provinzen Concurrenz machen. In der westphälischen
Steinkohle würden die deutschen Schiffe einen wichtigen Ausfuhrartikel nach
jenen östlichen Gegenden gewinnen, von denen sie zwar jetzt Holz und
Getreide in Rückfracht nehmen, aber als Ausfracht englische
Steinkohle einzunehmen genöthigt sind. Diese Ausfracht nach
allen Welttheilen sichert der englischen Rhederei große Vortheile, die auch
für Deutschland möglich sind. Das Flötz der Ruhr ist dreimal mäch¬
tiger als das von Lüttich, nämlich 54 Meter.

Wir haben zwar im Jahre 1862 an 114 Millionen Centner gefördert,
also 38 mal so viel als im Jahre 1810; allein die Nachfrage ist noch immer



') Andere berechnen die Zeitersparnis; auf 274 Seemeilen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/179>, abgerufen am 03.07.2024.