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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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nationalen Hoffnungen, der zu Ende der revolutionären Erhebung unsres
Volkes eintrat, sondern in ihnen Menschen schildert, die warten und werben
können um die große Erfüllung der Verheißungen seines deutschen Jugend¬
traumes, die ihm die letzten Jahre seines Lebens, nach Goethe's schönem
Wort, in Fülle bescheerten. --

Was der Deutsche leiden konnte in den Jahren der tiefsten Erniedrigung
unsres nationalen Lebens, hat Reuter gelitten. Was der deutsche Mann
hoffen und erstreben konnte als das edelste Ziel der Zukunft, hat er in seinen
Thaten und Werken als sein Ziel bekannt. Was der deutsche Patriot an
Erfüllung seiner Jugendhoffnungen' im letzten Jahrzehnt verwirklicht sehen
konnte in der einigen Größe, Unabhängigkeit und Freiheit seines Vaterlandes,
hat Fritz Reuter noch geschaut vor seinem Ende.

So möge ihm die thüringische Erde leicht sein, über die sein Fuß in den
Hans Blum. glücklichsten Tagen seines Lebens gewandelt ist!




Ariefe aus der Kaiserstadt.

Welch' ein Sommer! sengend heiß lag seit Wochen der Sonnenbrand
über den breiten, staubigen Straßen der Hauptstadt und aus der Tiefe stieg
der unholde Pesthauch, der den Unglückseliger, die an diese Scholle gebannt
sind, den Athem benimmt. Schmachtend harrten wir der sternklaren Nacht¬
zeit, um im luftigen Garten bei kühlem Trank der beschaulichen Ruhe zu
Pflegen. In dem frohen Bewußtsein, daß die hohe Politik bei uns ihren
Sommerschlaf begonnen, erging sich die Seele in behaglichen Träumen. Ohne
sonderliche Erregung betrachteten wir die Händel der Franzosen; kaum daß
wir die wechselnden Gerüchte über eine Begegnung zwischen unserm Kaiser
und dem König von Baiern mit einigem Interesse verfolgten. Da traf wie
eine Bombe in unser Stillleben die Kunde von dem Kissinger Verbrechen.
Im Nu hatte sich das Antlitz Berlins verändert. In den Kaffee- und Bier¬
häusern, an den öffentlichen Plätzen drängte man sich, das Neueste zu erfahren,
Schreck und Freude zugleich malten sich auf allen Gesichtern, unter den Linden,
in der Kaisergalerie, überall wurde mit einer Lebhaftigkeit polttisirt, als
ständen wir auf dem Höhepunkte der politischen Saison. Heute ist die erste
Aufregung gewichen, aber die volle Ruhe der Gemüther kehrt in diesem
Sommer schwerlich zurück. Zu tief ist die öffentliche Meinung von der Ueber¬
zeugung durchdrungen, daß das Ereigntß von Kisstngen in seinen Folgen
eine entscheidungsvolle Bedeutung gewinnen muß. Der 13. Juli ist ein


nationalen Hoffnungen, der zu Ende der revolutionären Erhebung unsres
Volkes eintrat, sondern in ihnen Menschen schildert, die warten und werben
können um die große Erfüllung der Verheißungen seines deutschen Jugend¬
traumes, die ihm die letzten Jahre seines Lebens, nach Goethe's schönem
Wort, in Fülle bescheerten. —

Was der Deutsche leiden konnte in den Jahren der tiefsten Erniedrigung
unsres nationalen Lebens, hat Reuter gelitten. Was der deutsche Mann
hoffen und erstreben konnte als das edelste Ziel der Zukunft, hat er in seinen
Thaten und Werken als sein Ziel bekannt. Was der deutsche Patriot an
Erfüllung seiner Jugendhoffnungen' im letzten Jahrzehnt verwirklicht sehen
konnte in der einigen Größe, Unabhängigkeit und Freiheit seines Vaterlandes,
hat Fritz Reuter noch geschaut vor seinem Ende.

So möge ihm die thüringische Erde leicht sein, über die sein Fuß in den
Hans Blum. glücklichsten Tagen seines Lebens gewandelt ist!




Ariefe aus der Kaiserstadt.

Welch' ein Sommer! sengend heiß lag seit Wochen der Sonnenbrand
über den breiten, staubigen Straßen der Hauptstadt und aus der Tiefe stieg
der unholde Pesthauch, der den Unglückseliger, die an diese Scholle gebannt
sind, den Athem benimmt. Schmachtend harrten wir der sternklaren Nacht¬
zeit, um im luftigen Garten bei kühlem Trank der beschaulichen Ruhe zu
Pflegen. In dem frohen Bewußtsein, daß die hohe Politik bei uns ihren
Sommerschlaf begonnen, erging sich die Seele in behaglichen Träumen. Ohne
sonderliche Erregung betrachteten wir die Händel der Franzosen; kaum daß
wir die wechselnden Gerüchte über eine Begegnung zwischen unserm Kaiser
und dem König von Baiern mit einigem Interesse verfolgten. Da traf wie
eine Bombe in unser Stillleben die Kunde von dem Kissinger Verbrechen.
Im Nu hatte sich das Antlitz Berlins verändert. In den Kaffee- und Bier¬
häusern, an den öffentlichen Plätzen drängte man sich, das Neueste zu erfahren,
Schreck und Freude zugleich malten sich auf allen Gesichtern, unter den Linden,
in der Kaisergalerie, überall wurde mit einer Lebhaftigkeit polttisirt, als
ständen wir auf dem Höhepunkte der politischen Saison. Heute ist die erste
Aufregung gewichen, aber die volle Ruhe der Gemüther kehrt in diesem
Sommer schwerlich zurück. Zu tief ist die öffentliche Meinung von der Ueber¬
zeugung durchdrungen, daß das Ereigntß von Kisstngen in seinen Folgen
eine entscheidungsvolle Bedeutung gewinnen muß. Der 13. Juli ist ein


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[0164] nationalen Hoffnungen, der zu Ende der revolutionären Erhebung unsres Volkes eintrat, sondern in ihnen Menschen schildert, die warten und werben können um die große Erfüllung der Verheißungen seines deutschen Jugend¬ traumes, die ihm die letzten Jahre seines Lebens, nach Goethe's schönem Wort, in Fülle bescheerten. — Was der Deutsche leiden konnte in den Jahren der tiefsten Erniedrigung unsres nationalen Lebens, hat Reuter gelitten. Was der deutsche Mann hoffen und erstreben konnte als das edelste Ziel der Zukunft, hat er in seinen Thaten und Werken als sein Ziel bekannt. Was der deutsche Patriot an Erfüllung seiner Jugendhoffnungen' im letzten Jahrzehnt verwirklicht sehen konnte in der einigen Größe, Unabhängigkeit und Freiheit seines Vaterlandes, hat Fritz Reuter noch geschaut vor seinem Ende. So möge ihm die thüringische Erde leicht sein, über die sein Fuß in den Hans Blum. glücklichsten Tagen seines Lebens gewandelt ist! Ariefe aus der Kaiserstadt. Welch' ein Sommer! sengend heiß lag seit Wochen der Sonnenbrand über den breiten, staubigen Straßen der Hauptstadt und aus der Tiefe stieg der unholde Pesthauch, der den Unglückseliger, die an diese Scholle gebannt sind, den Athem benimmt. Schmachtend harrten wir der sternklaren Nacht¬ zeit, um im luftigen Garten bei kühlem Trank der beschaulichen Ruhe zu Pflegen. In dem frohen Bewußtsein, daß die hohe Politik bei uns ihren Sommerschlaf begonnen, erging sich die Seele in behaglichen Träumen. Ohne sonderliche Erregung betrachteten wir die Händel der Franzosen; kaum daß wir die wechselnden Gerüchte über eine Begegnung zwischen unserm Kaiser und dem König von Baiern mit einigem Interesse verfolgten. Da traf wie eine Bombe in unser Stillleben die Kunde von dem Kissinger Verbrechen. Im Nu hatte sich das Antlitz Berlins verändert. In den Kaffee- und Bier¬ häusern, an den öffentlichen Plätzen drängte man sich, das Neueste zu erfahren, Schreck und Freude zugleich malten sich auf allen Gesichtern, unter den Linden, in der Kaisergalerie, überall wurde mit einer Lebhaftigkeit polttisirt, als ständen wir auf dem Höhepunkte der politischen Saison. Heute ist die erste Aufregung gewichen, aber die volle Ruhe der Gemüther kehrt in diesem Sommer schwerlich zurück. Zu tief ist die öffentliche Meinung von der Ueber¬ zeugung durchdrungen, daß das Ereigntß von Kisstngen in seinen Folgen eine entscheidungsvolle Bedeutung gewinnen muß. Der 13. Juli ist ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/164>, abgerufen am 26.06.2024.