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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Erfolges, ist und bleibt die Scala in Mailand; wer hier seine Lorbeeren ge.
Wonnen, der ist willkommen auf jeder fremden Bühne; wer in diesen uner¬
meßlichen Räumen mit mächtiger Stimme durchdrang, der ist des Sieges
überall gewiß. Unbestritten gilt die Scala für die erste Oper Italiens; auch
in dieser Beziehung bleibt Mailand die -- moralische Hauptstadt!

Der seltsame Name "Scala" stammt von einer Marien-Kirche, auf deren
Trümmern das jetzige Gebäude errichtet ward, neben San Carlo das größte,
welches Europa besitzt. Fünffach thürmen sich die Logenreihen empor, die
mit dem Parket beinahe 4000 Zuschauer fassen, alles ist so kostbar und ver¬
schwenderisch, wie es nur vor Beginn der französischen Revolution und dann
unter dem Kaiserreiche der Brauch war. Napoleon und Josefine, Eugen und
seine Marschälle saßen hier mit ihrem glänzenden Hofstaat, es war eine Zeit
des schweren Druckes für Italien, aber der Schein des Glanzes und des
Glückes ward ihr abgetrotzt -- denn das ist der Wille aller Cäsaren.

Dießmal war es ein andres Bild, vor dem wir standen; wieder wie da¬
mals war das Haus mit tausend Flammen erleuchtet und die sammetrothen
Logen strahlten von Seide und Diamanten, es war tK6akrs aber der
Ehrengast, dem es galt, war ein deutscher Prinz, der mit soldatischem Schritt
in die Loge trat, das eiserne Kreuz von 1870 auf die Brust geheftet. Man gab die
"Sonombula", dieß schaurig-schöne Bild von Bellini; vor dem letzten Akte
kam das Ballet, in dem der ganze Zauber weiblicher Schönheit verschwendet
wird, und doch war dieß Alles nicht der Mittelpunkt jenes Abends.

Was seine wahre Bedeutung war, das trat in jenem Augenblick zu Tage,
als der Führer der II. Armee, der die furchtbaren Schlachten vor Metz ge¬
schlagen, in die Loge trat, als Alles sich von den Sitzen erhob und die Hymne
erscholl: "Heil Dir im Siegeskranz."

Es war eine Stunde der Versöhnung zwischen zwei gewaltigen Natio¬
nen, die zur gleichen Zeit die Erfüllung ihrer Sehnsucht gefunden; die sich
lange hassen mußten, eh' sie sich endlich lieben durften. Das war der Ge¬
danke, der in den leuchtenden Augen aller Männer, und in der wogenden
Brust der Frauen lebte; in dem tausendjährigen Kampf zwischen Deutschland
und Welschland ist endlich Friede geschlossen!

Längst war Mitternacht vorbei, als das Theater der Scala geschlossen
ward; aber noch war es auf allen Gassen lebendig, noch war die "Galleria"
festlich beleuchtet und die zahllosen Gruppen, die vor den Cafes politisirten,
sprachen vom einigen Deutschland und vom einigen Italien.

So wogten die Menschenmassen und die Gedanken bis an den grauen¬
den Morgen. Es war ein ergreifendes Bild jene Nacht in Mailand und
doch befehlend mich eine heimliche Sehnsucht, die mich forttrieb aus der ge-


Erfolges, ist und bleibt die Scala in Mailand; wer hier seine Lorbeeren ge.
Wonnen, der ist willkommen auf jeder fremden Bühne; wer in diesen uner¬
meßlichen Räumen mit mächtiger Stimme durchdrang, der ist des Sieges
überall gewiß. Unbestritten gilt die Scala für die erste Oper Italiens; auch
in dieser Beziehung bleibt Mailand die — moralische Hauptstadt!

Der seltsame Name „Scala" stammt von einer Marien-Kirche, auf deren
Trümmern das jetzige Gebäude errichtet ward, neben San Carlo das größte,
welches Europa besitzt. Fünffach thürmen sich die Logenreihen empor, die
mit dem Parket beinahe 4000 Zuschauer fassen, alles ist so kostbar und ver¬
schwenderisch, wie es nur vor Beginn der französischen Revolution und dann
unter dem Kaiserreiche der Brauch war. Napoleon und Josefine, Eugen und
seine Marschälle saßen hier mit ihrem glänzenden Hofstaat, es war eine Zeit
des schweren Druckes für Italien, aber der Schein des Glanzes und des
Glückes ward ihr abgetrotzt — denn das ist der Wille aller Cäsaren.

Dießmal war es ein andres Bild, vor dem wir standen; wieder wie da¬
mals war das Haus mit tausend Flammen erleuchtet und die sammetrothen
Logen strahlten von Seide und Diamanten, es war tK6akrs aber der
Ehrengast, dem es galt, war ein deutscher Prinz, der mit soldatischem Schritt
in die Loge trat, das eiserne Kreuz von 1870 auf die Brust geheftet. Man gab die
„Sonombula", dieß schaurig-schöne Bild von Bellini; vor dem letzten Akte
kam das Ballet, in dem der ganze Zauber weiblicher Schönheit verschwendet
wird, und doch war dieß Alles nicht der Mittelpunkt jenes Abends.

Was seine wahre Bedeutung war, das trat in jenem Augenblick zu Tage,
als der Führer der II. Armee, der die furchtbaren Schlachten vor Metz ge¬
schlagen, in die Loge trat, als Alles sich von den Sitzen erhob und die Hymne
erscholl: „Heil Dir im Siegeskranz."

Es war eine Stunde der Versöhnung zwischen zwei gewaltigen Natio¬
nen, die zur gleichen Zeit die Erfüllung ihrer Sehnsucht gefunden; die sich
lange hassen mußten, eh' sie sich endlich lieben durften. Das war der Ge¬
danke, der in den leuchtenden Augen aller Männer, und in der wogenden
Brust der Frauen lebte; in dem tausendjährigen Kampf zwischen Deutschland
und Welschland ist endlich Friede geschlossen!

Längst war Mitternacht vorbei, als das Theater der Scala geschlossen
ward; aber noch war es auf allen Gassen lebendig, noch war die „Galleria"
festlich beleuchtet und die zahllosen Gruppen, die vor den Cafes politisirten,
sprachen vom einigen Deutschland und vom einigen Italien.

So wogten die Menschenmassen und die Gedanken bis an den grauen¬
den Morgen. Es war ein ergreifendes Bild jene Nacht in Mailand und
doch befehlend mich eine heimliche Sehnsucht, die mich forttrieb aus der ge-


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[0159] Erfolges, ist und bleibt die Scala in Mailand; wer hier seine Lorbeeren ge. Wonnen, der ist willkommen auf jeder fremden Bühne; wer in diesen uner¬ meßlichen Räumen mit mächtiger Stimme durchdrang, der ist des Sieges überall gewiß. Unbestritten gilt die Scala für die erste Oper Italiens; auch in dieser Beziehung bleibt Mailand die — moralische Hauptstadt! Der seltsame Name „Scala" stammt von einer Marien-Kirche, auf deren Trümmern das jetzige Gebäude errichtet ward, neben San Carlo das größte, welches Europa besitzt. Fünffach thürmen sich die Logenreihen empor, die mit dem Parket beinahe 4000 Zuschauer fassen, alles ist so kostbar und ver¬ schwenderisch, wie es nur vor Beginn der französischen Revolution und dann unter dem Kaiserreiche der Brauch war. Napoleon und Josefine, Eugen und seine Marschälle saßen hier mit ihrem glänzenden Hofstaat, es war eine Zeit des schweren Druckes für Italien, aber der Schein des Glanzes und des Glückes ward ihr abgetrotzt — denn das ist der Wille aller Cäsaren. Dießmal war es ein andres Bild, vor dem wir standen; wieder wie da¬ mals war das Haus mit tausend Flammen erleuchtet und die sammetrothen Logen strahlten von Seide und Diamanten, es war tK6akrs aber der Ehrengast, dem es galt, war ein deutscher Prinz, der mit soldatischem Schritt in die Loge trat, das eiserne Kreuz von 1870 auf die Brust geheftet. Man gab die „Sonombula", dieß schaurig-schöne Bild von Bellini; vor dem letzten Akte kam das Ballet, in dem der ganze Zauber weiblicher Schönheit verschwendet wird, und doch war dieß Alles nicht der Mittelpunkt jenes Abends. Was seine wahre Bedeutung war, das trat in jenem Augenblick zu Tage, als der Führer der II. Armee, der die furchtbaren Schlachten vor Metz ge¬ schlagen, in die Loge trat, als Alles sich von den Sitzen erhob und die Hymne erscholl: „Heil Dir im Siegeskranz." Es war eine Stunde der Versöhnung zwischen zwei gewaltigen Natio¬ nen, die zur gleichen Zeit die Erfüllung ihrer Sehnsucht gefunden; die sich lange hassen mußten, eh' sie sich endlich lieben durften. Das war der Ge¬ danke, der in den leuchtenden Augen aller Männer, und in der wogenden Brust der Frauen lebte; in dem tausendjährigen Kampf zwischen Deutschland und Welschland ist endlich Friede geschlossen! Längst war Mitternacht vorbei, als das Theater der Scala geschlossen ward; aber noch war es auf allen Gassen lebendig, noch war die „Galleria" festlich beleuchtet und die zahllosen Gruppen, die vor den Cafes politisirten, sprachen vom einigen Deutschland und vom einigen Italien. So wogten die Menschenmassen und die Gedanken bis an den grauen¬ den Morgen. Es war ein ergreifendes Bild jene Nacht in Mailand und doch befehlend mich eine heimliche Sehnsucht, die mich forttrieb aus der ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/159>, abgerufen am 22.07.2024.