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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Blut bespritzt, so sah man sich Bourbon der Gruppe nähern, die Franz I.
umstand. Franz. ihn von ferne erkennend, und blutige Vergeltung fürchtend,
trat bei dessen Erscheinen, merkbar beunruhigt, so nahe wie möglich an Pes-
cara heran. Dieser, des Königs Bewegung errathend, bat Bourbon, sich des
Schwertes zu entledigen, sich dem Könige vorzustellen und ihn zu be¬
grüßen. Der Herzog kam Pescara's Bitte sofort nach, schlug das Visir auf,
näherte sich mit unverkennbaren Zeichen einer tiefen Seelenerschütterung dem
Könige, beugte das Knie und wollte ihm die Hand küssen. Bittren Unmuths
voll wendete sich der König von ihm. Da rief der Connetable in losbrechen¬
den Schmerze: "Wenn Euer Majestät in manchen Dingen meinen Rath befolgt
hätten, so würde heute nicht das Blut des französischen Adels Italiens Bo¬
den düngen." Tief aufseufzend soll der König erwiedert haben: "Dem Glück
fehlt die Geduld."*)

Noch viele edle und vornehme Herrn wurden als Gefangene eingebracht;
aber fast alle jene alten Feldhauptleute, welche noch die Zeiten Louis' XI.
Charles'VIII-, und Louis' XII. gesehen und der burgundischen Kriege und des
Beginns der italienischen gedenken konnten,- hatten heute ihr Leben gelassen.
Die jüngere Generation scheint "die schöne Gewohnheit des Daseins" höher
geschätzt zu haben, und mit Ausnahme Bonnivet's fehlte als gefangen dem
Könige "aus dem Kreise seiner Lieben fast kein theueres Haupt". Sie konn¬
ten ihrem Herrn einen stattlichen Hofstaat bilden. Glücklich für ihn, hätte
er an diesem Beispiel gelernt, wahrhaft ergebene Diener von bloßen Höflin¬
gen zu unterscheiden. **) -- Uebrigens war der Gesammtverlust für jene Zeit
enorm. Mehr als 10,000 Mann des französischen Heeres deckten das Schlacht¬
feld; der Verlust der Kaiserlichen betrug kaum den fünften Theil.***)

Das französische Lager, alles Geschütz, darunter 32 vom schwersten Kali¬
ber, das ganze Gepäck fiel in die Hänte der Kaiserlichen, und d>e Beute war
überaus reich, da im französischen Heere und namentlich in des Königs Hof¬
staat großer Luxus geherrscht. Die Zahl der Gefangenen soll an 20,000 be¬
tragen haben.-j-)

Man ritt nun nach Certosa, weil der König lebhaft dagegen protestirte.
als Gefangener nach Pavia gebracht zu werden, was ihm in der That eine
unbeschreiblich demüthigende Empfindung hätte bereiten müssen. Bald nach
dem Abreiten stieß man auf Frundsberg's Landknechte, welche ihrer Freude "durch
eine sehr schöne Salve" Luft machten. Rings umher lagen die Leichen der






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) Nach vielen Briefen Gleichzeitiger sogar nur 700 Mann, was jedoch kaum glaublich
erscheint.
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Blut bespritzt, so sah man sich Bourbon der Gruppe nähern, die Franz I.
umstand. Franz. ihn von ferne erkennend, und blutige Vergeltung fürchtend,
trat bei dessen Erscheinen, merkbar beunruhigt, so nahe wie möglich an Pes-
cara heran. Dieser, des Königs Bewegung errathend, bat Bourbon, sich des
Schwertes zu entledigen, sich dem Könige vorzustellen und ihn zu be¬
grüßen. Der Herzog kam Pescara's Bitte sofort nach, schlug das Visir auf,
näherte sich mit unverkennbaren Zeichen einer tiefen Seelenerschütterung dem
Könige, beugte das Knie und wollte ihm die Hand küssen. Bittren Unmuths
voll wendete sich der König von ihm. Da rief der Connetable in losbrechen¬
den Schmerze: „Wenn Euer Majestät in manchen Dingen meinen Rath befolgt
hätten, so würde heute nicht das Blut des französischen Adels Italiens Bo¬
den düngen." Tief aufseufzend soll der König erwiedert haben: „Dem Glück
fehlt die Geduld."*)

Noch viele edle und vornehme Herrn wurden als Gefangene eingebracht;
aber fast alle jene alten Feldhauptleute, welche noch die Zeiten Louis' XI.
Charles'VIII-, und Louis' XII. gesehen und der burgundischen Kriege und des
Beginns der italienischen gedenken konnten,- hatten heute ihr Leben gelassen.
Die jüngere Generation scheint „die schöne Gewohnheit des Daseins" höher
geschätzt zu haben, und mit Ausnahme Bonnivet's fehlte als gefangen dem
Könige „aus dem Kreise seiner Lieben fast kein theueres Haupt". Sie konn¬
ten ihrem Herrn einen stattlichen Hofstaat bilden. Glücklich für ihn, hätte
er an diesem Beispiel gelernt, wahrhaft ergebene Diener von bloßen Höflin¬
gen zu unterscheiden. **) — Uebrigens war der Gesammtverlust für jene Zeit
enorm. Mehr als 10,000 Mann des französischen Heeres deckten das Schlacht¬
feld; der Verlust der Kaiserlichen betrug kaum den fünften Theil.***)

Das französische Lager, alles Geschütz, darunter 32 vom schwersten Kali¬
ber, das ganze Gepäck fiel in die Hänte der Kaiserlichen, und d>e Beute war
überaus reich, da im französischen Heere und namentlich in des Königs Hof¬
staat großer Luxus geherrscht. Die Zahl der Gefangenen soll an 20,000 be¬
tragen haben.-j-)

Man ritt nun nach Certosa, weil der König lebhaft dagegen protestirte.
als Gefangener nach Pavia gebracht zu werden, was ihm in der That eine
unbeschreiblich demüthigende Empfindung hätte bereiten müssen. Bald nach
dem Abreiten stieß man auf Frundsberg's Landknechte, welche ihrer Freude „durch
eine sehr schöne Salve" Luft machten. Rings umher lagen die Leichen der






") n?aoisll<!iÄ puss vsutui'ii, tÄtta," (Sandoval).
"1 v. Schwartzenau.
-*
) Nach vielen Briefen Gleichzeitiger sogar nur 700 Mann, was jedoch kaum glaublich
erscheint.
5) I,sttrs alö ?isrrs Rai-dz^r ä'^lixlsris - Relation euvoz'so ü I'swxsrsur Mr leg zsno-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/142>, abgerufen am 22.07.2024.