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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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noch zum Stehn zu bringen und eilte ihnen mit seinem persönlichen Gefolge
nach. Aber das war schon längst nicht mehr möglich; vielmehr ward er selbst
in die rückgängige Bewegung mit fortgezogen. Da fiel sein Blick auf die
Stickerei seines Aermels, die ihm in guten Tagen in Frankreich eine Dame
gegeben, die er liebte und der er dagegen gelobt hatte, unter keinen Umständen
vor dem Feinde zurückzuweichen. AIs er dessen gedachte, riß er sein Roß mit
aller Macht herum und bot aufs Neue dem Gegner die Stirn. Von allen
Seiten umringt blieb ihm jetzt kaum eine andere Wahl als Tod oder
Gefangenschaft; aber er zog das Loos mit der höchsten Würde.
Nachdem der König sein Heer verloren und aufgehört hatte, Feldherr zu
sein, erfüllte er doch noch alle Pflichten eines tapferen, entschlossenen
Ritters. Nun begann der Todeskampf der Chevallerie. Wer von den
französischen Edlen an anderen Orten dem Tode entgangen war, oder sich
der schimpflichen Flucht zu entziehen vermocht, der brach sich jetzt Bahn
zum Banner des Lehnsherrn, ohne Hoffnung zum Steg, aber fest im Ent¬
schluß mit Ehren zu sterben. Um sich her sah der König hochgeehrte und
vielgeliebte Häupter fallen; da sank La Paline. der greise Marschall von
Chabannes. der seit Fornuovo in allen Schlachten Frankreichs gestritten; da
fielen Louis d'Ars, Jmbrecourt und La Tremouille; da sank der alte Grand-
Escuyer Galeaz de S. Severin, der dem Könige in der Schlacht das Reichs¬
schwert vorgetragen, todwund vom Rosse; da stürzte sich der Admiral Bonnivet,
außer sich darüber, daß er dem Könige zur Schlacht gerathen, in die Spieße
der Landsknechte. Gleichsam berauscht von heroischer Trunkenheit starb der
großmüthige Adel von Frankreich mit Freuden und wetteifernd um seinen
Herrscher.*) -- Auf dem linken Flügel beklagte sich der alte Baron von Trans,
der unter Alencon's Befehl gefochten, über das Schicksal, welches ihm die
Gelegenheit zur Auszeichnung vorenthielt. Sein einziger Sohn, glücklicher
nach des Vaters Meinung, focht in der Mitte. Der junge Mensch hatte
wüthig gekämpft; endlich den Anstrengungen und gänzlicher Erschöpfung er¬
regend, wurde er im Gedränge gegen den linken Flügel geführt und glaubte
Reh zu seinem Vater begeben zu dürfen. Der rief ihn unwillig an: "Wo ist
der König?" ""Ich weiß es nicht."" "Geh und erfahre es; es ist dir
schimpflich, es nicht zu wissen!" Und der junge Herr kehrt in die Schlacht
Zurück, dringt bis zum Könige und fällt unter dessen Augen.**) Ariost hat
diesen Kämpfen eine der schönsten Strophen seines "Orlando tui'ioso" ge¬
widmet ***):





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*) v. Schwartzenau.
') SS. Gesang. 52. Strophe. Uebevsehung von Gres.

noch zum Stehn zu bringen und eilte ihnen mit seinem persönlichen Gefolge
nach. Aber das war schon längst nicht mehr möglich; vielmehr ward er selbst
in die rückgängige Bewegung mit fortgezogen. Da fiel sein Blick auf die
Stickerei seines Aermels, die ihm in guten Tagen in Frankreich eine Dame
gegeben, die er liebte und der er dagegen gelobt hatte, unter keinen Umständen
vor dem Feinde zurückzuweichen. AIs er dessen gedachte, riß er sein Roß mit
aller Macht herum und bot aufs Neue dem Gegner die Stirn. Von allen
Seiten umringt blieb ihm jetzt kaum eine andere Wahl als Tod oder
Gefangenschaft; aber er zog das Loos mit der höchsten Würde.
Nachdem der König sein Heer verloren und aufgehört hatte, Feldherr zu
sein, erfüllte er doch noch alle Pflichten eines tapferen, entschlossenen
Ritters. Nun begann der Todeskampf der Chevallerie. Wer von den
französischen Edlen an anderen Orten dem Tode entgangen war, oder sich
der schimpflichen Flucht zu entziehen vermocht, der brach sich jetzt Bahn
zum Banner des Lehnsherrn, ohne Hoffnung zum Steg, aber fest im Ent¬
schluß mit Ehren zu sterben. Um sich her sah der König hochgeehrte und
vielgeliebte Häupter fallen; da sank La Paline. der greise Marschall von
Chabannes. der seit Fornuovo in allen Schlachten Frankreichs gestritten; da
fielen Louis d'Ars, Jmbrecourt und La Tremouille; da sank der alte Grand-
Escuyer Galeaz de S. Severin, der dem Könige in der Schlacht das Reichs¬
schwert vorgetragen, todwund vom Rosse; da stürzte sich der Admiral Bonnivet,
außer sich darüber, daß er dem Könige zur Schlacht gerathen, in die Spieße
der Landsknechte. Gleichsam berauscht von heroischer Trunkenheit starb der
großmüthige Adel von Frankreich mit Freuden und wetteifernd um seinen
Herrscher.*) — Auf dem linken Flügel beklagte sich der alte Baron von Trans,
der unter Alencon's Befehl gefochten, über das Schicksal, welches ihm die
Gelegenheit zur Auszeichnung vorenthielt. Sein einziger Sohn, glücklicher
nach des Vaters Meinung, focht in der Mitte. Der junge Mensch hatte
wüthig gekämpft; endlich den Anstrengungen und gänzlicher Erschöpfung er¬
regend, wurde er im Gedränge gegen den linken Flügel geführt und glaubte
Reh zu seinem Vater begeben zu dürfen. Der rief ihn unwillig an: „Wo ist
der König?" „„Ich weiß es nicht."" „Geh und erfahre es; es ist dir
schimpflich, es nicht zu wissen!" Und der junge Herr kehrt in die Schlacht
Zurück, dringt bis zum Könige und fällt unter dessen Augen.**) Ariost hat
diesen Kämpfen eine der schönsten Strophen seines „Orlando tui'ioso« ge¬
widmet ***):





") v!ÜII»rS: llistoirs as ^i^novis I. 4 low. ?»rls 176S,
*) v. Schwartzenau.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/139>, abgerufen am 22.07.2024.