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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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-- In Wien fehlt die bestimmte Angabe des Gegenstandes, doch ist Zeit und Größe
normirt. Der geistliche Maler soll "zubereiten ein Tauet einer kaufellen lang mit
prunirtem gold vnd sol darauf malen ain pild mit sein selbs Hand in drin Wochen.
Der Glaser soll machen ain stukch ainer kaufellen lautes und glaswerch mit pilden
das sol darjn geprant sein vnd das mit sein selbs hant, das sol er tun in vir
Wochen."

Bet einer solchen festen Regelung des Meisterstückes nach Form und
Inhalt muß uns die Angabe, Dürer habe als Meisterstück eine Zeich¬
nung geliefert: Orpheus von den Bachantinnen gemißhandelt -- einiger¬
maßen verdächtig erscheinen, noch dazu, da es den Anschein hat, als habe sie
der Berichterstatter nur aus der vorzüglichen Sorgfalt der Zeichnung heraus
conjecturirt. Offenbar ist eine Zeichnung als Meisterstück eines Malers etwas
ganz abnormes, und es ist nicht anzunehmen, daß die Nürnberger Zunft¬
vorsteher den jungen Meister mit Rücksicht auf seinen zukünftigen Ruhm
dispensirten.

Noch findet sich die Bestimmung, daß diese Meisterstücke in den Werk¬
stätten der Werkmeister, von deren Amte der betreffende ist, auszuführen seien.

Ueber Gesellen ist wenig zu sagen. Es ist natürlich verboten, hinter des
Meisters Rücken zu pfuschen oder ihm zu Schaden zu arbeiten. Sie hatten
unter der Meister Aufsicht eine gemeinsame Casse (Cracau), in welche sie alle
Quatember die Hälfte von der Summe einzahlten, welche die Meister
zu ihrer Zunftkasse zu zahlen hatten. In Hamburg sollten aus dieser
Kasse in Krankheitsfällen Vorschüsse geleistet und in Todesfällen die
Bestattung bestritten werden. Die zu Aufsehern über diese Büchse Er¬
nannten dürfen die Wahl bei Strafe einer Tonne Biers und 4 Pfd. Wachses
nicht ablehnen. Die Büchse ist doppelt verschlossen, und der Borstand der
Gesellen und Meister führen je einen Schlüssel dazu u. s. w. War der Ge¬
sell frei gesprochen, so hatte er zwei Jahr oder mehr zu reisen.


Vnd wie es ge auff oder ab
Das er ein weil gewandert hab
Vn das er etwas prmg zu lant
Das sust daheim ist vnbekant
Wann mancher mit eim stuck auff kümpt
Das im hinfür sein Lebtag frumpt.

(Rosenbluth.)

Das ist die landläufige Meinung über das Wandern, die auch beim
Malergesellen zutrifft. Er zog aus, um etwas neues zu sehen und zu lernen,
bei berühmten Meistern sich zu bilden und etwas besonderes mit nach Haus
zu bringen. Die "Flandrische Art" aus den Niederlanden und die "antikische
Art" aus Italien ist auf diese Weise durch wandernde Gesellen (und Meister)
mit großer Schnelligkeit über Deutschland verbreitet worden.




— In Wien fehlt die bestimmte Angabe des Gegenstandes, doch ist Zeit und Größe
normirt. Der geistliche Maler soll „zubereiten ein Tauet einer kaufellen lang mit
prunirtem gold vnd sol darauf malen ain pild mit sein selbs Hand in drin Wochen.
Der Glaser soll machen ain stukch ainer kaufellen lautes und glaswerch mit pilden
das sol darjn geprant sein vnd das mit sein selbs hant, das sol er tun in vir
Wochen."

Bet einer solchen festen Regelung des Meisterstückes nach Form und
Inhalt muß uns die Angabe, Dürer habe als Meisterstück eine Zeich¬
nung geliefert: Orpheus von den Bachantinnen gemißhandelt — einiger¬
maßen verdächtig erscheinen, noch dazu, da es den Anschein hat, als habe sie
der Berichterstatter nur aus der vorzüglichen Sorgfalt der Zeichnung heraus
conjecturirt. Offenbar ist eine Zeichnung als Meisterstück eines Malers etwas
ganz abnormes, und es ist nicht anzunehmen, daß die Nürnberger Zunft¬
vorsteher den jungen Meister mit Rücksicht auf seinen zukünftigen Ruhm
dispensirten.

Noch findet sich die Bestimmung, daß diese Meisterstücke in den Werk¬
stätten der Werkmeister, von deren Amte der betreffende ist, auszuführen seien.

Ueber Gesellen ist wenig zu sagen. Es ist natürlich verboten, hinter des
Meisters Rücken zu pfuschen oder ihm zu Schaden zu arbeiten. Sie hatten
unter der Meister Aufsicht eine gemeinsame Casse (Cracau), in welche sie alle
Quatember die Hälfte von der Summe einzahlten, welche die Meister
zu ihrer Zunftkasse zu zahlen hatten. In Hamburg sollten aus dieser
Kasse in Krankheitsfällen Vorschüsse geleistet und in Todesfällen die
Bestattung bestritten werden. Die zu Aufsehern über diese Büchse Er¬
nannten dürfen die Wahl bei Strafe einer Tonne Biers und 4 Pfd. Wachses
nicht ablehnen. Die Büchse ist doppelt verschlossen, und der Borstand der
Gesellen und Meister führen je einen Schlüssel dazu u. s. w. War der Ge¬
sell frei gesprochen, so hatte er zwei Jahr oder mehr zu reisen.


Vnd wie es ge auff oder ab
Das er ein weil gewandert hab
Vn das er etwas prmg zu lant
Das sust daheim ist vnbekant
Wann mancher mit eim stuck auff kümpt
Das im hinfür sein Lebtag frumpt.

(Rosenbluth.)

Das ist die landläufige Meinung über das Wandern, die auch beim
Malergesellen zutrifft. Er zog aus, um etwas neues zu sehen und zu lernen,
bei berühmten Meistern sich zu bilden und etwas besonderes mit nach Haus
zu bringen. Die „Flandrische Art" aus den Niederlanden und die „antikische
Art" aus Italien ist auf diese Weise durch wandernde Gesellen (und Meister)
mit großer Schnelligkeit über Deutschland verbreitet worden.




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[0096] — In Wien fehlt die bestimmte Angabe des Gegenstandes, doch ist Zeit und Größe normirt. Der geistliche Maler soll „zubereiten ein Tauet einer kaufellen lang mit prunirtem gold vnd sol darauf malen ain pild mit sein selbs Hand in drin Wochen. Der Glaser soll machen ain stukch ainer kaufellen lautes und glaswerch mit pilden das sol darjn geprant sein vnd das mit sein selbs hant, das sol er tun in vir Wochen." Bet einer solchen festen Regelung des Meisterstückes nach Form und Inhalt muß uns die Angabe, Dürer habe als Meisterstück eine Zeich¬ nung geliefert: Orpheus von den Bachantinnen gemißhandelt — einiger¬ maßen verdächtig erscheinen, noch dazu, da es den Anschein hat, als habe sie der Berichterstatter nur aus der vorzüglichen Sorgfalt der Zeichnung heraus conjecturirt. Offenbar ist eine Zeichnung als Meisterstück eines Malers etwas ganz abnormes, und es ist nicht anzunehmen, daß die Nürnberger Zunft¬ vorsteher den jungen Meister mit Rücksicht auf seinen zukünftigen Ruhm dispensirten. Noch findet sich die Bestimmung, daß diese Meisterstücke in den Werk¬ stätten der Werkmeister, von deren Amte der betreffende ist, auszuführen seien. Ueber Gesellen ist wenig zu sagen. Es ist natürlich verboten, hinter des Meisters Rücken zu pfuschen oder ihm zu Schaden zu arbeiten. Sie hatten unter der Meister Aufsicht eine gemeinsame Casse (Cracau), in welche sie alle Quatember die Hälfte von der Summe einzahlten, welche die Meister zu ihrer Zunftkasse zu zahlen hatten. In Hamburg sollten aus dieser Kasse in Krankheitsfällen Vorschüsse geleistet und in Todesfällen die Bestattung bestritten werden. Die zu Aufsehern über diese Büchse Er¬ nannten dürfen die Wahl bei Strafe einer Tonne Biers und 4 Pfd. Wachses nicht ablehnen. Die Büchse ist doppelt verschlossen, und der Borstand der Gesellen und Meister führen je einen Schlüssel dazu u. s. w. War der Ge¬ sell frei gesprochen, so hatte er zwei Jahr oder mehr zu reisen. Vnd wie es ge auff oder ab Das er ein weil gewandert hab Vn das er etwas prmg zu lant Das sust daheim ist vnbekant Wann mancher mit eim stuck auff kümpt Das im hinfür sein Lebtag frumpt. (Rosenbluth.) Das ist die landläufige Meinung über das Wandern, die auch beim Malergesellen zutrifft. Er zog aus, um etwas neues zu sehen und zu lernen, bei berühmten Meistern sich zu bilden und etwas besonderes mit nach Haus zu bringen. Die „Flandrische Art" aus den Niederlanden und die „antikische Art" aus Italien ist auf diese Weise durch wandernde Gesellen (und Meister) mit großer Schnelligkeit über Deutschland verbreitet worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/96>, abgerufen am 26.06.2024.