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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Wenn die Centralbehörden competent sind, so ist lediglich eine Majorität
in beiden gesetzgebenden Körpern des Reichs erforderlich -- wenn dagegen
die Zustimmung der einzelnen Landtage und Fürsten verlangt wird, so genügt
der Widerspruch eines einzigen um die Absichten der Uebrigen zu verhindern.
Im vollen Bewußtsein des Ernstes der Frage hat die Preußische Regierung
von Anfang an den festen Standpunkt eingenommen und festgehalten, daß in
allen Fragen des Reiches die souveräner": der Einzelstaaten der sichern
Verwaltung der Centralbehörden anvertraut worden ist, deren Beschlüsse also
in keinem Falle der Bestätigung der Lokalregierungen bedürfen. Die meisten
der kleineren Regierungen nahmen bereitwillig diese Ansicht an. Aber es
waren auch Gegner vorhanden.

Den drei kleineren Königreichen schien es ihrer Würde nicht entsprechend,
in Bezug auf das Recht ihrer selbständigen Existenz auf eine Linie mit den
Fürstenthümern gestellt zu werden. Wenn Reuß-Schleiz damit zufrieden ist,
eine größere Beschränkung seiner Souveränetcit von dem Votum der gesetzge¬
benden Bürger des Reichs abhängen zu lassen, so waren die Könige von
Bayern, Sachsen und Württemberg anderer Ansicht und wollten sich das Ein¬
spruchsrecht gegen derartige Maßregeln reserviren. Dies war noch vor we¬
nigen Monaten der Standpunkt der drei Könige. Als deshalb ihre Bevoll¬
mächtigten im Bundesrathe gefragt wurden, ob sie der Maßregel eines ge¬
meinsamen bürgerlichen Gesetzbuchs zustimmten, gaben sie eine zwar etwas
dunkle Antwort, deren Sinn aber dahin verstanden wurde, daß ihre Regie¬
rungen sich für verpflichtet hielten, die Frage erst vor ihre Landtage zu brin¬
gen. In Sachsen stimmten beide Kammern dem Reichsgesetz zu, in Bayern
das Unterhaus, während das Oberhaus es verwarf. In Württemberg ent¬
schloß sich die Regierung nach näherer Ueberlegung, ohne Zustimmung der
Kammern zu erklären, daß sie für die beabsichtigte Reform stimmen würde.
So weit war das Benehmen dieser Regierungen klar und verständlich genug.
Nun kommt aber ein Zwischenfall hinzu, der nicht unbemerkt bleiben darf,
wenn man sich mit der relativen Stärke der in Deutschland vorhandenen po¬
litischen Factoren bekannt machen will. Unmittelbar vor der in Rede stehen¬
den Abstimmung in den Sächsischen und Bayerischen Kammern erklärten die
Minister beider Länder diesen hohen Versammlungen, daß wenn sie auch ihren
Rath befragt, sie ihnen doch nicht das Recht einer entscheidenden Stimme in
Reichsangelegenheiten zugestehen könnten. Mit andern Worten, sie erkannten
das Recht der Centralbehörden an, diese oder eine andre Reform ohne Sanc¬
tion der Einzellandtage einzuführen; sie hatten es aber in dem vorliegenden
Falle für besser gehalten, die letzteren zu fragen, bevor sie die Vertreter im
Bundesrath mit Auftrag versahen.

Aus verschiedenen Gründen ist es nicht denkbar, daß diese Regierungen


Wenn die Centralbehörden competent sind, so ist lediglich eine Majorität
in beiden gesetzgebenden Körpern des Reichs erforderlich — wenn dagegen
die Zustimmung der einzelnen Landtage und Fürsten verlangt wird, so genügt
der Widerspruch eines einzigen um die Absichten der Uebrigen zu verhindern.
Im vollen Bewußtsein des Ernstes der Frage hat die Preußische Regierung
von Anfang an den festen Standpunkt eingenommen und festgehalten, daß in
allen Fragen des Reiches die souveräner«: der Einzelstaaten der sichern
Verwaltung der Centralbehörden anvertraut worden ist, deren Beschlüsse also
in keinem Falle der Bestätigung der Lokalregierungen bedürfen. Die meisten
der kleineren Regierungen nahmen bereitwillig diese Ansicht an. Aber es
waren auch Gegner vorhanden.

Den drei kleineren Königreichen schien es ihrer Würde nicht entsprechend,
in Bezug auf das Recht ihrer selbständigen Existenz auf eine Linie mit den
Fürstenthümern gestellt zu werden. Wenn Reuß-Schleiz damit zufrieden ist,
eine größere Beschränkung seiner Souveränetcit von dem Votum der gesetzge¬
benden Bürger des Reichs abhängen zu lassen, so waren die Könige von
Bayern, Sachsen und Württemberg anderer Ansicht und wollten sich das Ein¬
spruchsrecht gegen derartige Maßregeln reserviren. Dies war noch vor we¬
nigen Monaten der Standpunkt der drei Könige. Als deshalb ihre Bevoll¬
mächtigten im Bundesrathe gefragt wurden, ob sie der Maßregel eines ge¬
meinsamen bürgerlichen Gesetzbuchs zustimmten, gaben sie eine zwar etwas
dunkle Antwort, deren Sinn aber dahin verstanden wurde, daß ihre Regie¬
rungen sich für verpflichtet hielten, die Frage erst vor ihre Landtage zu brin¬
gen. In Sachsen stimmten beide Kammern dem Reichsgesetz zu, in Bayern
das Unterhaus, während das Oberhaus es verwarf. In Württemberg ent¬
schloß sich die Regierung nach näherer Ueberlegung, ohne Zustimmung der
Kammern zu erklären, daß sie für die beabsichtigte Reform stimmen würde.
So weit war das Benehmen dieser Regierungen klar und verständlich genug.
Nun kommt aber ein Zwischenfall hinzu, der nicht unbemerkt bleiben darf,
wenn man sich mit der relativen Stärke der in Deutschland vorhandenen po¬
litischen Factoren bekannt machen will. Unmittelbar vor der in Rede stehen¬
den Abstimmung in den Sächsischen und Bayerischen Kammern erklärten die
Minister beider Länder diesen hohen Versammlungen, daß wenn sie auch ihren
Rath befragt, sie ihnen doch nicht das Recht einer entscheidenden Stimme in
Reichsangelegenheiten zugestehen könnten. Mit andern Worten, sie erkannten
das Recht der Centralbehörden an, diese oder eine andre Reform ohne Sanc¬
tion der Einzellandtage einzuführen; sie hatten es aber in dem vorliegenden
Falle für besser gehalten, die letzteren zu fragen, bevor sie die Vertreter im
Bundesrath mit Auftrag versahen.

Aus verschiedenen Gründen ist es nicht denkbar, daß diese Regierungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/82>, abgerufen am 24.08.2024.