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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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rottbar in den Gliedern steckt. Jene aufrichtigen Freunde des Friedens,
welche darauf rechneten, daß die Alles heilende Zeit und die ruhige Ueber-
legung der eigenen Lage in Frankreich allmählig eine Stimmung erzeugen
müßte, die ein freundnachbarliches Verhältniß gemeinsamer Arbeit an dem
Werke der Menschheitskultur herzustellen erlauben würde, -- sie werden ihre
Hoffnungen am Beginn des neuen Jahres bedeutend herabstimmen müssen.
Auch wenn die nackten Revanchegelüste mehr und mehr zurückgedrängt wer¬
den, es bleibt das alte Dogma, daß Frankreich zur Unterstützung jedes ge¬
gen die deutsche Einheit gerichteten Bestrebens berufen sei. Die Sicherheit
vor einem künftigen Kriege, soweit eine solche überhaupt gewonnen werden
kann, wird also deutscherseits wahrlich nicht in dem guten Willen der Fran¬
zosen, sondern lediglich in der fortschreitenden Festigung des deutschen Reichs
und der Aufrechterhaltung der isolirten Stellung Frankreichs in Europa ge¬
sucht werden dürfen.

Die Anstrengungen der französischen Diplomatie, ihr Vaterland von dem
bösen Isolirschemel zu befreien, sind allbekannt; nicht minder offenkundig aber
ist ihre bisherige Resultatlostgkeit. Wie könnte es anders sein? Um Allianzen zu
werben, muß man sich auf eine klare, unzweideutige Politik berufen können.
Mit Leichtigkeit hätte Frankreich sich das Herz Italiens zuwenden können;
König Victor Emanuel hatte und hat noch heute eine starke Vorliebe für
französisches Wesen; eine mächtige Partei im Lande hatte das Bündniß mit
Frankreich zum Glaubenssatz erhoben und hält noch heute an demselben fest.
Kurz, wie wenig der objectiv urtheilende Zuschauer auch zugeben möge, daß
der junge italienische Einheitsstaat von Frankreich jemals wahre Freundschaft
zu erwarten habe, er wird sich der Thatsache nicht verschließen können, daß
dieser Aberglaube in Italien weit verbreitet ist, und daß eine geschickte aus¬
wärtige Politik der französischen Regierung ihn trefflich ausnutzen könnte.
Nichtsdestoweniger hat das Ministerium Broglie mit seinen klerikalen Vellei-
täten, mit seiner Unterstützung der bourbonischen Restauration Victor Ema¬
nuel fester als je in Deutschlands Arme getrieben. Wohl begriff man nach¬
her den Fehler und wurde vorsichtiger. Aber gerade in den letzten Tagen
wieder war es die Affaire des "Orenoque", welche die Zweideutigkeit der
Stellung Frankreichs Italien gegenüber wieder einmal im hellsten Lichte zeigte.
Bereits vor Jahresfrist, als ein lebhafter Streit über die Frage geführt
wurde, wem die Officiere des "Orenoque" in Rom den Neujahrsbesuch zu
machen hätten, war von der öffentlichen Meinung Italiens und der republi¬
kanischen Opposition Frankreichs die Entfernung dieses zum Schutze des
Papstes im Hafen von Civitavecchia ankernden französischen Kriegsschiffs ver¬
langt worden. Ausgesprochenermaßen betrachten die französischen Klerikalen
den "Orenoque" als einen Rest, resp, als den Wiederbeginn der römischen


rottbar in den Gliedern steckt. Jene aufrichtigen Freunde des Friedens,
welche darauf rechneten, daß die Alles heilende Zeit und die ruhige Ueber-
legung der eigenen Lage in Frankreich allmählig eine Stimmung erzeugen
müßte, die ein freundnachbarliches Verhältniß gemeinsamer Arbeit an dem
Werke der Menschheitskultur herzustellen erlauben würde, — sie werden ihre
Hoffnungen am Beginn des neuen Jahres bedeutend herabstimmen müssen.
Auch wenn die nackten Revanchegelüste mehr und mehr zurückgedrängt wer¬
den, es bleibt das alte Dogma, daß Frankreich zur Unterstützung jedes ge¬
gen die deutsche Einheit gerichteten Bestrebens berufen sei. Die Sicherheit
vor einem künftigen Kriege, soweit eine solche überhaupt gewonnen werden
kann, wird also deutscherseits wahrlich nicht in dem guten Willen der Fran¬
zosen, sondern lediglich in der fortschreitenden Festigung des deutschen Reichs
und der Aufrechterhaltung der isolirten Stellung Frankreichs in Europa ge¬
sucht werden dürfen.

Die Anstrengungen der französischen Diplomatie, ihr Vaterland von dem
bösen Isolirschemel zu befreien, sind allbekannt; nicht minder offenkundig aber
ist ihre bisherige Resultatlostgkeit. Wie könnte es anders sein? Um Allianzen zu
werben, muß man sich auf eine klare, unzweideutige Politik berufen können.
Mit Leichtigkeit hätte Frankreich sich das Herz Italiens zuwenden können;
König Victor Emanuel hatte und hat noch heute eine starke Vorliebe für
französisches Wesen; eine mächtige Partei im Lande hatte das Bündniß mit
Frankreich zum Glaubenssatz erhoben und hält noch heute an demselben fest.
Kurz, wie wenig der objectiv urtheilende Zuschauer auch zugeben möge, daß
der junge italienische Einheitsstaat von Frankreich jemals wahre Freundschaft
zu erwarten habe, er wird sich der Thatsache nicht verschließen können, daß
dieser Aberglaube in Italien weit verbreitet ist, und daß eine geschickte aus¬
wärtige Politik der französischen Regierung ihn trefflich ausnutzen könnte.
Nichtsdestoweniger hat das Ministerium Broglie mit seinen klerikalen Vellei-
täten, mit seiner Unterstützung der bourbonischen Restauration Victor Ema¬
nuel fester als je in Deutschlands Arme getrieben. Wohl begriff man nach¬
her den Fehler und wurde vorsichtiger. Aber gerade in den letzten Tagen
wieder war es die Affaire des „Orenoque", welche die Zweideutigkeit der
Stellung Frankreichs Italien gegenüber wieder einmal im hellsten Lichte zeigte.
Bereits vor Jahresfrist, als ein lebhafter Streit über die Frage geführt
wurde, wem die Officiere des „Orenoque" in Rom den Neujahrsbesuch zu
machen hätten, war von der öffentlichen Meinung Italiens und der republi¬
kanischen Opposition Frankreichs die Entfernung dieses zum Schutze des
Papstes im Hafen von Civitavecchia ankernden französischen Kriegsschiffs ver¬
langt worden. Ausgesprochenermaßen betrachten die französischen Klerikalen
den „Orenoque" als einen Rest, resp, als den Wiederbeginn der römischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/75>, abgerufen am 25.12.2024.