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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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feindlichen Verfügungen und der Einzelne, ungehört da, wo des Rechtes
Quelle sein sollte, endlich über die Grenzen des Staates hinaufruft, um we¬
nigstens nicht schweigend hier, fast mitten in Europa, dem Geschicke der Recht¬
losigkeit zu verfallen.

Und dagegen -- hilft nun eben nichts mehr als die alte Lüge von den
sächsischen Privilegien und der ultraconservativen Gesinnung dieser "entarteten
Deutschen" und von ihrer UnWillfährigkeit, sich in das moderne Staatsrecht
zu fügen, die man versuchend in die deutschen Blätter hinausstreut. Die
liberalste That der neuern ungarischen Reichsgesetzgebung, das Gewerbegesetz,
ist wesentlich unter Mitwirkung sächsischer Reichstagsabgeordneter zu Stande
gekommen, obgleich es gerade in den sächsischen Kreisen, denen die Wohlthat
zweckmäßiger Schienenverbindung mit dem Auslande noch immer systematisch
vorenthalten wird, zunächst keine heilsamen Wirkungen äußern konnte; bei
der Berathung über das Municipal- und Gemeindegesetz haben dieselben Ab¬
geordneten gegen die Regierung mit der Opposition für liberalere Institu¬
tionen gestimmt; überhaupt überall, wo es sich nicht um chauvinistisch-magya¬
rische, sondern um wahrhaftige Staatsinteressen handelte, eine freisinnige Hal¬
tung bewährt. So weit sind sie in der Selbstüberwindung gegangen, daß sie
in der berüchtigten Ostbahnangelegenheit bei ihrer Stimmenabgabe jeder per¬
sönlichen Rancüne gegen das Ministerium entsagten und für Gerechtigkeit
gegen die Gläubiger des Staates entschieden, während das Ministerium,
dessen Lebenfrist sie damals verlängerten, in eben jenem Augenblicke ihre
Sender bis in die Wurzeln ihres nationalen Pflichtbewußtseins hinein ver¬
letzte.

Seither freilich dürften sie das nicht mehr thun und man würde ihnen
in den tief aufgeregten Kreisen ihrer Wähler eher eine illiberale Abstimmung
als nur die geringste Mitwirkung dazu verzeihen, daß dieses Ministerium
weiter bestehe.

Das ist die authentische Signatur des schweren Kampfes, in welchem
jetzt ein Häuflein um das ungarische Reich wahrlich nicht unverdienter deut¬
scher Männer hier hinten an der Grenze der Türkei gegen den staatsfeind¬
lichen Chauvinismus der magyarischen Racen kämpft und in welchem sie auf
jede dem Gesetze nicht widersprechende moralische Unterstützung des gebildeten
Publikums, nicht in Deuschland allein, mit Zuversicht rechnen dürfen. All
ihr "sclavisches Sichanklammern an die vor Jahrhunderten gewährten Ge¬
rechtsame" reducirt sich in Wahrheit darauf, daß sie ihr Deutschthum, auf
welches sie ein natürliches und positives Recht haben, nicht aufgeben wollen
und daß sie der Ueberzeugung sind, man müsse nicht eben Magyare sein, um
ein treuer Bürger des Staates Ungarn zu sein.




feindlichen Verfügungen und der Einzelne, ungehört da, wo des Rechtes
Quelle sein sollte, endlich über die Grenzen des Staates hinaufruft, um we¬
nigstens nicht schweigend hier, fast mitten in Europa, dem Geschicke der Recht¬
losigkeit zu verfallen.

Und dagegen — hilft nun eben nichts mehr als die alte Lüge von den
sächsischen Privilegien und der ultraconservativen Gesinnung dieser „entarteten
Deutschen" und von ihrer UnWillfährigkeit, sich in das moderne Staatsrecht
zu fügen, die man versuchend in die deutschen Blätter hinausstreut. Die
liberalste That der neuern ungarischen Reichsgesetzgebung, das Gewerbegesetz,
ist wesentlich unter Mitwirkung sächsischer Reichstagsabgeordneter zu Stande
gekommen, obgleich es gerade in den sächsischen Kreisen, denen die Wohlthat
zweckmäßiger Schienenverbindung mit dem Auslande noch immer systematisch
vorenthalten wird, zunächst keine heilsamen Wirkungen äußern konnte; bei
der Berathung über das Municipal- und Gemeindegesetz haben dieselben Ab¬
geordneten gegen die Regierung mit der Opposition für liberalere Institu¬
tionen gestimmt; überhaupt überall, wo es sich nicht um chauvinistisch-magya¬
rische, sondern um wahrhaftige Staatsinteressen handelte, eine freisinnige Hal¬
tung bewährt. So weit sind sie in der Selbstüberwindung gegangen, daß sie
in der berüchtigten Ostbahnangelegenheit bei ihrer Stimmenabgabe jeder per¬
sönlichen Rancüne gegen das Ministerium entsagten und für Gerechtigkeit
gegen die Gläubiger des Staates entschieden, während das Ministerium,
dessen Lebenfrist sie damals verlängerten, in eben jenem Augenblicke ihre
Sender bis in die Wurzeln ihres nationalen Pflichtbewußtseins hinein ver¬
letzte.

Seither freilich dürften sie das nicht mehr thun und man würde ihnen
in den tief aufgeregten Kreisen ihrer Wähler eher eine illiberale Abstimmung
als nur die geringste Mitwirkung dazu verzeihen, daß dieses Ministerium
weiter bestehe.

Das ist die authentische Signatur des schweren Kampfes, in welchem
jetzt ein Häuflein um das ungarische Reich wahrlich nicht unverdienter deut¬
scher Männer hier hinten an der Grenze der Türkei gegen den staatsfeind¬
lichen Chauvinismus der magyarischen Racen kämpft und in welchem sie auf
jede dem Gesetze nicht widersprechende moralische Unterstützung des gebildeten
Publikums, nicht in Deuschland allein, mit Zuversicht rechnen dürfen. All
ihr „sclavisches Sichanklammern an die vor Jahrhunderten gewährten Ge¬
rechtsame" reducirt sich in Wahrheit darauf, daß sie ihr Deutschthum, auf
welches sie ein natürliches und positives Recht haben, nicht aufgeben wollen
und daß sie der Ueberzeugung sind, man müsse nicht eben Magyare sein, um
ein treuer Bürger des Staates Ungarn zu sein.




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[0470] feindlichen Verfügungen und der Einzelne, ungehört da, wo des Rechtes Quelle sein sollte, endlich über die Grenzen des Staates hinaufruft, um we¬ nigstens nicht schweigend hier, fast mitten in Europa, dem Geschicke der Recht¬ losigkeit zu verfallen. Und dagegen — hilft nun eben nichts mehr als die alte Lüge von den sächsischen Privilegien und der ultraconservativen Gesinnung dieser „entarteten Deutschen" und von ihrer UnWillfährigkeit, sich in das moderne Staatsrecht zu fügen, die man versuchend in die deutschen Blätter hinausstreut. Die liberalste That der neuern ungarischen Reichsgesetzgebung, das Gewerbegesetz, ist wesentlich unter Mitwirkung sächsischer Reichstagsabgeordneter zu Stande gekommen, obgleich es gerade in den sächsischen Kreisen, denen die Wohlthat zweckmäßiger Schienenverbindung mit dem Auslande noch immer systematisch vorenthalten wird, zunächst keine heilsamen Wirkungen äußern konnte; bei der Berathung über das Municipal- und Gemeindegesetz haben dieselben Ab¬ geordneten gegen die Regierung mit der Opposition für liberalere Institu¬ tionen gestimmt; überhaupt überall, wo es sich nicht um chauvinistisch-magya¬ rische, sondern um wahrhaftige Staatsinteressen handelte, eine freisinnige Hal¬ tung bewährt. So weit sind sie in der Selbstüberwindung gegangen, daß sie in der berüchtigten Ostbahnangelegenheit bei ihrer Stimmenabgabe jeder per¬ sönlichen Rancüne gegen das Ministerium entsagten und für Gerechtigkeit gegen die Gläubiger des Staates entschieden, während das Ministerium, dessen Lebenfrist sie damals verlängerten, in eben jenem Augenblicke ihre Sender bis in die Wurzeln ihres nationalen Pflichtbewußtseins hinein ver¬ letzte. Seither freilich dürften sie das nicht mehr thun und man würde ihnen in den tief aufgeregten Kreisen ihrer Wähler eher eine illiberale Abstimmung als nur die geringste Mitwirkung dazu verzeihen, daß dieses Ministerium weiter bestehe. Das ist die authentische Signatur des schweren Kampfes, in welchem jetzt ein Häuflein um das ungarische Reich wahrlich nicht unverdienter deut¬ scher Männer hier hinten an der Grenze der Türkei gegen den staatsfeind¬ lichen Chauvinismus der magyarischen Racen kämpft und in welchem sie auf jede dem Gesetze nicht widersprechende moralische Unterstützung des gebildeten Publikums, nicht in Deuschland allein, mit Zuversicht rechnen dürfen. All ihr „sclavisches Sichanklammern an die vor Jahrhunderten gewährten Ge¬ rechtsame" reducirt sich in Wahrheit darauf, daß sie ihr Deutschthum, auf welches sie ein natürliches und positives Recht haben, nicht aufgeben wollen und daß sie der Ueberzeugung sind, man müsse nicht eben Magyare sein, um ein treuer Bürger des Staates Ungarn zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/470>, abgerufen am 25.12.2024.