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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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"Privilegien", sogar jenes bis dahin hochgeschätzten, der Wahl des
Grafen der Nation, nicht mehr an politischer Competenz für die sächsischen
Stühle und Districte als das für die übrigen Municipien des Reichs ge-
schaffene Municipal- und Gemeindegesetz diesen bereits gewährt, und fordern
nur. daß ihr überlassen bleibe, dieses Maaß zwischen den einzelnen Kreisver-
tretungen und der Nationsuniversität auszutheilen. Das heißt "starres Fest¬
halten am Altüberlieferten und unvereinbar mit dem Staatsrecht unserer Tage."
Aber das ist vereinbar mit diesem Staatsrecht unserer Tage, daß in Sieben¬
bürgen der Adel als solcher Reichstagswähler ist. daß magyarische Orte von
wenig über tausend Seelen Bevölkerung einen eignen Deputirten in den
Reichstag schicken, während sächsische Orte von 30.000 Seelen dieses "Privi-
legium" nicht besitzen; daß der Edelmann von mancher Brückenmauth befreit
ist. der Seller theilweise billigern Tabak raucht und unversteuerten Brannt¬
wein brennt, während andern "verhätschelten" Staatsbürgern trotz der Gleich¬
berechtigung, die sich in der Gesetzgebung breit macht, dieses alles nicht
zusteht.

Seit dem Aufhören des Bach'schen Absolutismus hat die sächsische Na¬
tionsuniversität an alle Regierungen des Landes eingehende Anträge in
Betreff der Erneuerung der Kreis- und Gemeindeordnung im Sachsenlande
gemacht. Sie waren alle viel liberaler als das vom Ungarischen Reichstag
1870 und 1871 beschlossene Municipal und Gemeindegesetz, welches -- um
nur eines zu erwähnen -- den höchsten Steuerträgern als solchen, d. h. in
Siebenbürgen vorzüglich den Wirthshauspächtern, Branntweinbrennern und
dergleichen Sitz und Stimme in den Vertretungen des Kreises und der Ge¬
meinde bis zur vollen Hälfte giebt; aber keiner hat bis heute noch eine Er¬
ledigung gefunden.

Gegenwärtig sind die Gemeinde- und Kreisvertretungen in den sächsischen
Stühlen und Districten factisch nicht mehr nach den älteren, zu Recht be¬
standenen Ordnungen sondern nach einer vom ungarischen Minister Wenkheim
1869 erlassenen Ordonanz gewählt und organisirt; sogar die sächsische Na-
tionsuniversttät hat sein Wille in einen unförmlichen, schwer arbeitenden
Körper unter dem Vorsitze eines nach unten unverantwortlichen Regierungs¬
beamten umgewandelt. Die Verwaltungsbeamten verdanken im Sachsenlande
zu °/lo ausschließlich demselben Willen ihre Stelle, kein Diurnist darf ange-
stellt werden ohne seine Genehmigung, während dieses alles in den übrigen
nicht sächsischen Kreisen des Landes anders, freier, gesetzlicher sich verhält. --
Unter solchen Ausnahmezuständen seufzen nur jene und verderben doch nicht
und wollen doch nicht ablassen von ihrem zähen Festhalten an ihrem Recht
und Volksthum; und der Minister muß den Schmerz erleben, daß die von
ihm selbst geschaffenen Vertretungskörper sich verwahren gegen seine deutsch-


„Privilegien", sogar jenes bis dahin hochgeschätzten, der Wahl des
Grafen der Nation, nicht mehr an politischer Competenz für die sächsischen
Stühle und Districte als das für die übrigen Municipien des Reichs ge-
schaffene Municipal- und Gemeindegesetz diesen bereits gewährt, und fordern
nur. daß ihr überlassen bleibe, dieses Maaß zwischen den einzelnen Kreisver-
tretungen und der Nationsuniversität auszutheilen. Das heißt „starres Fest¬
halten am Altüberlieferten und unvereinbar mit dem Staatsrecht unserer Tage."
Aber das ist vereinbar mit diesem Staatsrecht unserer Tage, daß in Sieben¬
bürgen der Adel als solcher Reichstagswähler ist. daß magyarische Orte von
wenig über tausend Seelen Bevölkerung einen eignen Deputirten in den
Reichstag schicken, während sächsische Orte von 30.000 Seelen dieses „Privi-
legium" nicht besitzen; daß der Edelmann von mancher Brückenmauth befreit
ist. der Seller theilweise billigern Tabak raucht und unversteuerten Brannt¬
wein brennt, während andern „verhätschelten" Staatsbürgern trotz der Gleich¬
berechtigung, die sich in der Gesetzgebung breit macht, dieses alles nicht
zusteht.

Seit dem Aufhören des Bach'schen Absolutismus hat die sächsische Na¬
tionsuniversität an alle Regierungen des Landes eingehende Anträge in
Betreff der Erneuerung der Kreis- und Gemeindeordnung im Sachsenlande
gemacht. Sie waren alle viel liberaler als das vom Ungarischen Reichstag
1870 und 1871 beschlossene Municipal und Gemeindegesetz, welches — um
nur eines zu erwähnen — den höchsten Steuerträgern als solchen, d. h. in
Siebenbürgen vorzüglich den Wirthshauspächtern, Branntweinbrennern und
dergleichen Sitz und Stimme in den Vertretungen des Kreises und der Ge¬
meinde bis zur vollen Hälfte giebt; aber keiner hat bis heute noch eine Er¬
ledigung gefunden.

Gegenwärtig sind die Gemeinde- und Kreisvertretungen in den sächsischen
Stühlen und Districten factisch nicht mehr nach den älteren, zu Recht be¬
standenen Ordnungen sondern nach einer vom ungarischen Minister Wenkheim
1869 erlassenen Ordonanz gewählt und organisirt; sogar die sächsische Na-
tionsuniversttät hat sein Wille in einen unförmlichen, schwer arbeitenden
Körper unter dem Vorsitze eines nach unten unverantwortlichen Regierungs¬
beamten umgewandelt. Die Verwaltungsbeamten verdanken im Sachsenlande
zu °/lo ausschließlich demselben Willen ihre Stelle, kein Diurnist darf ange-
stellt werden ohne seine Genehmigung, während dieses alles in den übrigen
nicht sächsischen Kreisen des Landes anders, freier, gesetzlicher sich verhält. —
Unter solchen Ausnahmezuständen seufzen nur jene und verderben doch nicht
und wollen doch nicht ablassen von ihrem zähen Festhalten an ihrem Recht
und Volksthum; und der Minister muß den Schmerz erleben, daß die von
ihm selbst geschaffenen Vertretungskörper sich verwahren gegen seine deutsch-


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[0469] „Privilegien", sogar jenes bis dahin hochgeschätzten, der Wahl des Grafen der Nation, nicht mehr an politischer Competenz für die sächsischen Stühle und Districte als das für die übrigen Municipien des Reichs ge- schaffene Municipal- und Gemeindegesetz diesen bereits gewährt, und fordern nur. daß ihr überlassen bleibe, dieses Maaß zwischen den einzelnen Kreisver- tretungen und der Nationsuniversität auszutheilen. Das heißt „starres Fest¬ halten am Altüberlieferten und unvereinbar mit dem Staatsrecht unserer Tage." Aber das ist vereinbar mit diesem Staatsrecht unserer Tage, daß in Sieben¬ bürgen der Adel als solcher Reichstagswähler ist. daß magyarische Orte von wenig über tausend Seelen Bevölkerung einen eignen Deputirten in den Reichstag schicken, während sächsische Orte von 30.000 Seelen dieses „Privi- legium" nicht besitzen; daß der Edelmann von mancher Brückenmauth befreit ist. der Seller theilweise billigern Tabak raucht und unversteuerten Brannt¬ wein brennt, während andern „verhätschelten" Staatsbürgern trotz der Gleich¬ berechtigung, die sich in der Gesetzgebung breit macht, dieses alles nicht zusteht. Seit dem Aufhören des Bach'schen Absolutismus hat die sächsische Na¬ tionsuniversität an alle Regierungen des Landes eingehende Anträge in Betreff der Erneuerung der Kreis- und Gemeindeordnung im Sachsenlande gemacht. Sie waren alle viel liberaler als das vom Ungarischen Reichstag 1870 und 1871 beschlossene Municipal und Gemeindegesetz, welches — um nur eines zu erwähnen — den höchsten Steuerträgern als solchen, d. h. in Siebenbürgen vorzüglich den Wirthshauspächtern, Branntweinbrennern und dergleichen Sitz und Stimme in den Vertretungen des Kreises und der Ge¬ meinde bis zur vollen Hälfte giebt; aber keiner hat bis heute noch eine Er¬ ledigung gefunden. Gegenwärtig sind die Gemeinde- und Kreisvertretungen in den sächsischen Stühlen und Districten factisch nicht mehr nach den älteren, zu Recht be¬ standenen Ordnungen sondern nach einer vom ungarischen Minister Wenkheim 1869 erlassenen Ordonanz gewählt und organisirt; sogar die sächsische Na- tionsuniversttät hat sein Wille in einen unförmlichen, schwer arbeitenden Körper unter dem Vorsitze eines nach unten unverantwortlichen Regierungs¬ beamten umgewandelt. Die Verwaltungsbeamten verdanken im Sachsenlande zu °/lo ausschließlich demselben Willen ihre Stelle, kein Diurnist darf ange- stellt werden ohne seine Genehmigung, während dieses alles in den übrigen nicht sächsischen Kreisen des Landes anders, freier, gesetzlicher sich verhält. — Unter solchen Ausnahmezuständen seufzen nur jene und verderben doch nicht und wollen doch nicht ablassen von ihrem zähen Festhalten an ihrem Recht und Volksthum; und der Minister muß den Schmerz erleben, daß die von ihm selbst geschaffenen Vertretungskörper sich verwahren gegen seine deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/469>, abgerufen am 25.12.2024.