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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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zwischen Preußen und Oesterreich eintreten, und dann wäre aus dem Erwerb
Venetiens gleichfalls nichts geworden. Der erste Fall war denkbar; diese
Gefahr aber hatte man ja zum Voraus erwogen und, auf das Kriegsglück
bauend, das Bündniß abgeschlossen; um ihretwillen konnte man nicht mehr
davon zurücktreten. Der zweite Fall aber war nicht denkbar; denn daraus,
daß Oesterreich zur freiwilligen Abtretung Venetiens bereit war und sich mit
preußischem Gebiet entschädigen wollte, ergab sich sonnenklar, daß
es an keine Verständigung mit dem deutschen Rivalen mehr dachte. Der
einzige Beweggrund also, der zu einem Eingehen auf das Telegramm Nigra's
treiben konnte, war Feigheit, war die Furcht, sei es vor einer Niederlage im
Kriege, sei es gar blos vor dem Stirnrunzeln Napoleon's. Zur unbedingten,
entschiedensten Ablehnung dagegen forderte nicht allein die Vertragstreue und
die Achtung vor dem guten Rufe Italiens auf, sondern auch die gewöhnliche
Klugheit. Es stand ja die Erwerbung Venetiens auf dem Wege über Paris
noch gar nicht einmal unverbrüchlich fest; Oesterreich konnte ja von Preußen
geschlagen werden, dann war von einer Entschädigung in Schlesien und also
auch von einer Abtretung an Italien nicht mehr die Rede. Aber gesetzt, es
wäre Alles gut gegangen, was wäre die Folge gewesen? Volk und Heer in
Italien, die nach dem Kriege brannten, wären tief gedemüthigt worden.
Victor Emanuel hätte aus Napoleon's Händen Venetien annehmen müssen;
die französische Vormundschaft wäre ins Unerträgliche gestiegen; Oesterreich
aber, durch seinen Sieg zu neuer Macht emporgewachsen, hätte die erste
günstige Gelegenheit ergreifen können, um seine verlorene Stellung auf der
Halbinsel wieder zu gewinnen.

Es war also, auch wenn sein Ehrgefühl dem ehrlichen Lamarmora nicht
jede Ueberlegung ersparte, der Entschluß, den er fassen mußte, wahrlich so
schwer nicht. Wir glauben auch, daß er nach kurzem Schwanken das Be¬
harren beim preußischen Bündnisse als das Nichtige erkannte, schon deshalb,
weil er auch für seine Person den Krieg wünschte. Aber er hatte Napoleon
gegenüber nicht den Muth zu einer offenen Ablehnung und ließ sich dadurch
zu Zweideutigkeiten verlocken, die er jetzt durch neue Zweideutigkeiten und
Entstellungen zu verdecken sucht. In erster Linie kommt es ihm darauf an,
Preußen als unzuverl affig zu schildern, damit sein eigenesSchwanken
in der Vertragstreue entschuldigt und sein angebliches Beharren als helden-
müthig und ehrenhaft erscheine. Wie er das durchgeführt, haben wir gesehen.
Betrachten wir jetzt seine weiteren Manipulationen.

Umgehend antwortete er Nigra sehr tugendhaft: es sei eine Frage der
Ehre, sich Preußen gegenüber nicht zu entbinden -- "aber da der Vertrag
am 8. Juli erlischt, so könnte man die Sache mit einem Congreß arrangiren."
Also ein Congreß soll die Sache 9 Wochen hinausziehn; dann ist Italien


zwischen Preußen und Oesterreich eintreten, und dann wäre aus dem Erwerb
Venetiens gleichfalls nichts geworden. Der erste Fall war denkbar; diese
Gefahr aber hatte man ja zum Voraus erwogen und, auf das Kriegsglück
bauend, das Bündniß abgeschlossen; um ihretwillen konnte man nicht mehr
davon zurücktreten. Der zweite Fall aber war nicht denkbar; denn daraus,
daß Oesterreich zur freiwilligen Abtretung Venetiens bereit war und sich mit
preußischem Gebiet entschädigen wollte, ergab sich sonnenklar, daß
es an keine Verständigung mit dem deutschen Rivalen mehr dachte. Der
einzige Beweggrund also, der zu einem Eingehen auf das Telegramm Nigra's
treiben konnte, war Feigheit, war die Furcht, sei es vor einer Niederlage im
Kriege, sei es gar blos vor dem Stirnrunzeln Napoleon's. Zur unbedingten,
entschiedensten Ablehnung dagegen forderte nicht allein die Vertragstreue und
die Achtung vor dem guten Rufe Italiens auf, sondern auch die gewöhnliche
Klugheit. Es stand ja die Erwerbung Venetiens auf dem Wege über Paris
noch gar nicht einmal unverbrüchlich fest; Oesterreich konnte ja von Preußen
geschlagen werden, dann war von einer Entschädigung in Schlesien und also
auch von einer Abtretung an Italien nicht mehr die Rede. Aber gesetzt, es
wäre Alles gut gegangen, was wäre die Folge gewesen? Volk und Heer in
Italien, die nach dem Kriege brannten, wären tief gedemüthigt worden.
Victor Emanuel hätte aus Napoleon's Händen Venetien annehmen müssen;
die französische Vormundschaft wäre ins Unerträgliche gestiegen; Oesterreich
aber, durch seinen Sieg zu neuer Macht emporgewachsen, hätte die erste
günstige Gelegenheit ergreifen können, um seine verlorene Stellung auf der
Halbinsel wieder zu gewinnen.

Es war also, auch wenn sein Ehrgefühl dem ehrlichen Lamarmora nicht
jede Ueberlegung ersparte, der Entschluß, den er fassen mußte, wahrlich so
schwer nicht. Wir glauben auch, daß er nach kurzem Schwanken das Be¬
harren beim preußischen Bündnisse als das Nichtige erkannte, schon deshalb,
weil er auch für seine Person den Krieg wünschte. Aber er hatte Napoleon
gegenüber nicht den Muth zu einer offenen Ablehnung und ließ sich dadurch
zu Zweideutigkeiten verlocken, die er jetzt durch neue Zweideutigkeiten und
Entstellungen zu verdecken sucht. In erster Linie kommt es ihm darauf an,
Preußen als unzuverl affig zu schildern, damit sein eigenesSchwanken
in der Vertragstreue entschuldigt und sein angebliches Beharren als helden-
müthig und ehrenhaft erscheine. Wie er das durchgeführt, haben wir gesehen.
Betrachten wir jetzt seine weiteren Manipulationen.

Umgehend antwortete er Nigra sehr tugendhaft: es sei eine Frage der
Ehre, sich Preußen gegenüber nicht zu entbinden — „aber da der Vertrag
am 8. Juli erlischt, so könnte man die Sache mit einem Congreß arrangiren."
Also ein Congreß soll die Sache 9 Wochen hinausziehn; dann ist Italien


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[0433] zwischen Preußen und Oesterreich eintreten, und dann wäre aus dem Erwerb Venetiens gleichfalls nichts geworden. Der erste Fall war denkbar; diese Gefahr aber hatte man ja zum Voraus erwogen und, auf das Kriegsglück bauend, das Bündniß abgeschlossen; um ihretwillen konnte man nicht mehr davon zurücktreten. Der zweite Fall aber war nicht denkbar; denn daraus, daß Oesterreich zur freiwilligen Abtretung Venetiens bereit war und sich mit preußischem Gebiet entschädigen wollte, ergab sich sonnenklar, daß es an keine Verständigung mit dem deutschen Rivalen mehr dachte. Der einzige Beweggrund also, der zu einem Eingehen auf das Telegramm Nigra's treiben konnte, war Feigheit, war die Furcht, sei es vor einer Niederlage im Kriege, sei es gar blos vor dem Stirnrunzeln Napoleon's. Zur unbedingten, entschiedensten Ablehnung dagegen forderte nicht allein die Vertragstreue und die Achtung vor dem guten Rufe Italiens auf, sondern auch die gewöhnliche Klugheit. Es stand ja die Erwerbung Venetiens auf dem Wege über Paris noch gar nicht einmal unverbrüchlich fest; Oesterreich konnte ja von Preußen geschlagen werden, dann war von einer Entschädigung in Schlesien und also auch von einer Abtretung an Italien nicht mehr die Rede. Aber gesetzt, es wäre Alles gut gegangen, was wäre die Folge gewesen? Volk und Heer in Italien, die nach dem Kriege brannten, wären tief gedemüthigt worden. Victor Emanuel hätte aus Napoleon's Händen Venetien annehmen müssen; die französische Vormundschaft wäre ins Unerträgliche gestiegen; Oesterreich aber, durch seinen Sieg zu neuer Macht emporgewachsen, hätte die erste günstige Gelegenheit ergreifen können, um seine verlorene Stellung auf der Halbinsel wieder zu gewinnen. Es war also, auch wenn sein Ehrgefühl dem ehrlichen Lamarmora nicht jede Ueberlegung ersparte, der Entschluß, den er fassen mußte, wahrlich so schwer nicht. Wir glauben auch, daß er nach kurzem Schwanken das Be¬ harren beim preußischen Bündnisse als das Nichtige erkannte, schon deshalb, weil er auch für seine Person den Krieg wünschte. Aber er hatte Napoleon gegenüber nicht den Muth zu einer offenen Ablehnung und ließ sich dadurch zu Zweideutigkeiten verlocken, die er jetzt durch neue Zweideutigkeiten und Entstellungen zu verdecken sucht. In erster Linie kommt es ihm darauf an, Preußen als unzuverl affig zu schildern, damit sein eigenesSchwanken in der Vertragstreue entschuldigt und sein angebliches Beharren als helden- müthig und ehrenhaft erscheine. Wie er das durchgeführt, haben wir gesehen. Betrachten wir jetzt seine weiteren Manipulationen. Umgehend antwortete er Nigra sehr tugendhaft: es sei eine Frage der Ehre, sich Preußen gegenüber nicht zu entbinden — „aber da der Vertrag am 8. Juli erlischt, so könnte man die Sache mit einem Congreß arrangiren." Also ein Congreß soll die Sache 9 Wochen hinausziehn; dann ist Italien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/433>, abgerufen am 25.12.2024.