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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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würden, um Preußens Entschlüsse zu ändern; ja er bringt es fertig, den fol¬
genden Satz hinzuschreiben, der gegenüber den Thatsachen, welche wir gleich
berichten werden, nicht anders als unverschämt genannt werden kann. "Was
die Erklärung betrifft," so schreibt er, "daß Preußen Oesterreich angegriffen
hätte, sobald Oesterreich Italien angegriffen hätte, so konnte ich dieselbe nach
alledem, was mir vor 2 Tagen aus Berlin berichtet wurde, nicht mehr
als Ernst ansehen, besonders da ich die Beharrlichkeit sah. womit das
preußische Cabinet behauptete, Italien verhandle mitOester-
reich über die Abtretung Venetiens."

Man glaubt die gekränkte Unschuld selbst zu hören. Das preußische
Cabinet steht wie ein beharrlicher Verleumder da. Es beschuldigt Italien,
wegen friedlicher Erwerbung von Venetien in Unterhandlung zu stehen und
hofft sich dadurch selbst seinen Verpflichtungen zu entziehen. Und zwei Seiten
darauf lesen wir folgendes Telegramm: "Paris, S. Mai 1866. Entziffern
Sie es selbst. Der Kaiser hat mich heute rufen lassen. Er hat mir gesagt,
Oesterreich habe ihm den förmlichen Vorschlag gemacht, Venetien abzutreten,
unter der Bedingung, daß man Oesterreich frei gewähren lassen würde, sich
an Preußen zu entschädigen. (Lücke.) Die (Zession würde an Frankreich ge¬
schehen, welches es ohne Bedingung an Italien retrocediren würde. Der
Kaiser hat auch gefragt, ob wir unser Engagement mit Preußen brechen
könnten..... Nigra." Das ist die Thatsache, um die es sich handelt.
Und was hatte Bismarck gesagt? "Bismarck", so telegraphirte Barral einen
Tag vorher, am 4. Mai, "hat mir neuerdings von geheimen Versuchen
gesprochen, welche ihm durch die diplomatischen Agenten signalisirt worden
sind und den Zweck hätten, zwischen Italien und Oesterreich eine Ver¬
mittelung über die Abtretung Venetiens anzubahnen." Also hatte Bis¬
marck von bereits bestehenden Verhandlungen zwischen Oesterreich
und Italien kein Wort gesagt und hatte zweitens nur das gesagt, was
Lamarmora andern Tags officiell von seinem Gesandten in Paris erfuhr.
Und dieser, der darauf hin wirklich Unterhandlungen begann, erdreistet sich
nun, sieben Jahre nachher den oben citirten Satz drucken zu lassen! Mehr
kann man selbst von einem Lamarmora nicht verlangen.

Und doch leistet er beinahe noch mehr. Wenn Bismarck ein Abschaum
von Verwerflichkeit ist, so ist er selbst ein wahrer Ausbund von Tugend.
Die schwarze Folie dient trefflich dazu, seinen eigenen Glanz um so Heller
strahlen zu lassen.

Man vergegenwärtige sich die Sachlage. Bei treuem Festhalten am
preußischen Bündniß gab es für Italien zwei schlimme Möglichkeiten: es
konnte mit seinem Bundesgenossen besiegt und so in seinen Hoffnungen auf
Venetien getäuscht werden; es konnte zweitens auch eine Verständigung


würden, um Preußens Entschlüsse zu ändern; ja er bringt es fertig, den fol¬
genden Satz hinzuschreiben, der gegenüber den Thatsachen, welche wir gleich
berichten werden, nicht anders als unverschämt genannt werden kann. „Was
die Erklärung betrifft," so schreibt er, „daß Preußen Oesterreich angegriffen
hätte, sobald Oesterreich Italien angegriffen hätte, so konnte ich dieselbe nach
alledem, was mir vor 2 Tagen aus Berlin berichtet wurde, nicht mehr
als Ernst ansehen, besonders da ich die Beharrlichkeit sah. womit das
preußische Cabinet behauptete, Italien verhandle mitOester-
reich über die Abtretung Venetiens."

Man glaubt die gekränkte Unschuld selbst zu hören. Das preußische
Cabinet steht wie ein beharrlicher Verleumder da. Es beschuldigt Italien,
wegen friedlicher Erwerbung von Venetien in Unterhandlung zu stehen und
hofft sich dadurch selbst seinen Verpflichtungen zu entziehen. Und zwei Seiten
darauf lesen wir folgendes Telegramm: „Paris, S. Mai 1866. Entziffern
Sie es selbst. Der Kaiser hat mich heute rufen lassen. Er hat mir gesagt,
Oesterreich habe ihm den förmlichen Vorschlag gemacht, Venetien abzutreten,
unter der Bedingung, daß man Oesterreich frei gewähren lassen würde, sich
an Preußen zu entschädigen. (Lücke.) Die (Zession würde an Frankreich ge¬
schehen, welches es ohne Bedingung an Italien retrocediren würde. Der
Kaiser hat auch gefragt, ob wir unser Engagement mit Preußen brechen
könnten..... Nigra." Das ist die Thatsache, um die es sich handelt.
Und was hatte Bismarck gesagt? „Bismarck", so telegraphirte Barral einen
Tag vorher, am 4. Mai, „hat mir neuerdings von geheimen Versuchen
gesprochen, welche ihm durch die diplomatischen Agenten signalisirt worden
sind und den Zweck hätten, zwischen Italien und Oesterreich eine Ver¬
mittelung über die Abtretung Venetiens anzubahnen." Also hatte Bis¬
marck von bereits bestehenden Verhandlungen zwischen Oesterreich
und Italien kein Wort gesagt und hatte zweitens nur das gesagt, was
Lamarmora andern Tags officiell von seinem Gesandten in Paris erfuhr.
Und dieser, der darauf hin wirklich Unterhandlungen begann, erdreistet sich
nun, sieben Jahre nachher den oben citirten Satz drucken zu lassen! Mehr
kann man selbst von einem Lamarmora nicht verlangen.

Und doch leistet er beinahe noch mehr. Wenn Bismarck ein Abschaum
von Verwerflichkeit ist, so ist er selbst ein wahrer Ausbund von Tugend.
Die schwarze Folie dient trefflich dazu, seinen eigenen Glanz um so Heller
strahlen zu lassen.

Man vergegenwärtige sich die Sachlage. Bei treuem Festhalten am
preußischen Bündniß gab es für Italien zwei schlimme Möglichkeiten: es
konnte mit seinem Bundesgenossen besiegt und so in seinen Hoffnungen auf
Venetien getäuscht werden; es konnte zweitens auch eine Verständigung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/432>, abgerufen am 28.08.2024.