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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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und hinter der Linken stand das Land, stand im Hintergrunde auch die
Kammer, die vier Tage später einstimmig alle Vorbereitungen zum Kriege
billigte. Hätte Lamarmora seinen Sieg in der Kammer vielleicht rechtzeitig
als einen Pyrrhussieg erkannt? Oder hätten vielleicht auch die Führer der
Rechten, die das Mißtrauensvotum noch einmal glücklich von seinem Haupte
ablenkten, ihm die Augen über die wahre Bedeutung dieser Abstimmung ge¬
öffnet? Man konnte leicht auf diesen Gedanken verfallen: aber da der ehr¬
liche Lamarmora Nichts von der ganzen Geschichte erwähnt, so wollen wir
das Gesagte nur als ein Beispiel der vielen gottlosen Gedanken anführen,
die uns über der Lectüre dieses Buches gekommen sind.

Also Italien fing am 27. April an zu rüsten. Wie verhielt sich denn
nun Preußen ? Ganz abscheulich, wie Lamarmora meint. Allerdings gab der
preußische Gesandte in Wien schon am 26. die Erklärung ab, daß es unzu¬
lässig sei, wenn Oesterreich unter dem Vorwande der Haltung Italiens gerüstet
bleibe, und daß Preußen einem Angriffe auf Italien, das es als zur Erhaltung
des europäischen Gleichgewichts nothwendig betrachte, nicht gleichgültig zusehen
werde. Aber man beachte, so ermahnt uns Lamarmora, daß der preußische
Gesandte von dieser Erklärung keine Abschrift zurücklassen durste! Und mehr
als das: der italienische Vertreter in Berlin, Puliga --- denn Barral und
Govone waren sonderbarer Weise Beide auf Reisen -- telegraphirte am 26.,
28. und 29. April an Lamarmora, ohne "auch nur ein einziges beifälliges
Wörtchen" von Bismarck über das Rundschreiben vom 27. April und die
Mobilmachungsordre zu erwähnen. Drei Telegramme und keine lobende Be¬
merkung, wie schrecklich! Zwar das erste Telegramm konnte noch nicht gut
eine enthalten, weil es einen Tag älter war als der zu belobende Act; in
dem zweiten erwähnt Puliga, daß er Bismarck erst am 30. sehen werde, und
das dritte ist unglücklicher Weise schon vom 29. April. Aber man wird es
Lamarmora gewiß nachfühlen: gerade darin besteht ja die- herzlose Kälte
Bismarck's, daß er drei Tage ruhig zu Bett gehen und wieder aufstehen
konnte, ohne Herrn Puliga zu sich zu rufen oder vielleicht auch ihn zu be¬
suchen und ihm ein schönes Compliment an seinen hohen Vorgesetzten aus¬
zutragen. Fast sollte man glauben, Bismarck hätte damals gar Dringenderes
zu thun gehabt!

Einige Kleinigkeiten besorgte er allerdings, z. B. ein Rundschreiben an
die deutschen Regierungen und eine Aufforderung an Sachsen, daß es abrüsten
solle, beides vom 29. April. Auch ließ er an demselben Tage Herrn von
Savigny aus Frankfurt kommen, um mit ihm zu conferiren, und hielt am
28. einen Ministerrath unter Vorsitz des Königs, um die Antwort aus zwei
österreichische Depeschen vom 26. festzustellen. Diese Antwort fertigte er dann
zum 30. aus und verweigerte darin die Abrüstung, wenn Oesterreich nicht


und hinter der Linken stand das Land, stand im Hintergrunde auch die
Kammer, die vier Tage später einstimmig alle Vorbereitungen zum Kriege
billigte. Hätte Lamarmora seinen Sieg in der Kammer vielleicht rechtzeitig
als einen Pyrrhussieg erkannt? Oder hätten vielleicht auch die Führer der
Rechten, die das Mißtrauensvotum noch einmal glücklich von seinem Haupte
ablenkten, ihm die Augen über die wahre Bedeutung dieser Abstimmung ge¬
öffnet? Man konnte leicht auf diesen Gedanken verfallen: aber da der ehr¬
liche Lamarmora Nichts von der ganzen Geschichte erwähnt, so wollen wir
das Gesagte nur als ein Beispiel der vielen gottlosen Gedanken anführen,
die uns über der Lectüre dieses Buches gekommen sind.

Also Italien fing am 27. April an zu rüsten. Wie verhielt sich denn
nun Preußen ? Ganz abscheulich, wie Lamarmora meint. Allerdings gab der
preußische Gesandte in Wien schon am 26. die Erklärung ab, daß es unzu¬
lässig sei, wenn Oesterreich unter dem Vorwande der Haltung Italiens gerüstet
bleibe, und daß Preußen einem Angriffe auf Italien, das es als zur Erhaltung
des europäischen Gleichgewichts nothwendig betrachte, nicht gleichgültig zusehen
werde. Aber man beachte, so ermahnt uns Lamarmora, daß der preußische
Gesandte von dieser Erklärung keine Abschrift zurücklassen durste! Und mehr
als das: der italienische Vertreter in Berlin, Puliga —- denn Barral und
Govone waren sonderbarer Weise Beide auf Reisen — telegraphirte am 26.,
28. und 29. April an Lamarmora, ohne „auch nur ein einziges beifälliges
Wörtchen" von Bismarck über das Rundschreiben vom 27. April und die
Mobilmachungsordre zu erwähnen. Drei Telegramme und keine lobende Be¬
merkung, wie schrecklich! Zwar das erste Telegramm konnte noch nicht gut
eine enthalten, weil es einen Tag älter war als der zu belobende Act; in
dem zweiten erwähnt Puliga, daß er Bismarck erst am 30. sehen werde, und
das dritte ist unglücklicher Weise schon vom 29. April. Aber man wird es
Lamarmora gewiß nachfühlen: gerade darin besteht ja die- herzlose Kälte
Bismarck's, daß er drei Tage ruhig zu Bett gehen und wieder aufstehen
konnte, ohne Herrn Puliga zu sich zu rufen oder vielleicht auch ihn zu be¬
suchen und ihm ein schönes Compliment an seinen hohen Vorgesetzten aus¬
zutragen. Fast sollte man glauben, Bismarck hätte damals gar Dringenderes
zu thun gehabt!

Einige Kleinigkeiten besorgte er allerdings, z. B. ein Rundschreiben an
die deutschen Regierungen und eine Aufforderung an Sachsen, daß es abrüsten
solle, beides vom 29. April. Auch ließ er an demselben Tage Herrn von
Savigny aus Frankfurt kommen, um mit ihm zu conferiren, und hielt am
28. einen Ministerrath unter Vorsitz des Königs, um die Antwort aus zwei
österreichische Depeschen vom 26. festzustellen. Diese Antwort fertigte er dann
zum 30. aus und verweigerte darin die Abrüstung, wenn Oesterreich nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/429>, abgerufen am 28.08.2024.