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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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sogleich mit Gegenrüstungen zu antworten; mußte er doch befürchten, daß
man ihm in Paris solch entschiedenes Vorgehen sehr verübeln werde. Meine
Meinung, so telegraphirte ihm Nigra am 24. April, sowie die des Herrn
Drouyn de Lhouys ist, daß wir nicht rüsten sollen! Es sei eine Falle, die
Oesterreich stelle; es wolle Italien zu Rüstungen provociren und es dann
nach einiger Zeit, wie eben jetzt Preußen, wieder zur Entwaffnung zwingen.
Man durchschaute also in Paris den österreichischen Plan ganz richtig, viel¬
leicht weniger in Folge besonderen Scharfsinns, als guter Informationen.
Nigra hatte die Glocken wenigstens von Weitem läuten hören. Aber für
Lamarmora war das zu fein. "Ich verhehle es nicht, so berichtet er uns noch
heute, daß mich dieses Telegramm schmerzlich betroffen hat." Glauben wir
ihm, wie er versichert, daß dieser Schmerz besonders darin seine Ursache hatte,
daß man ihm rieth, eine günstige Gelegenheit, den Krieg herbeizuführen, frei¬
willig zu verpassen, und nicht vielmehr in der Besorgnis?, einem österreichischen
Angriff ungerüstet preisgegeben zu werden. Thatsache ist es doch, daß er,
der am 23. April von den österreichischen Rüstungen Kenntniß erhielt, bis
zum 27. April keinen Entschluß fassen konnte, sondern ängstlich in Paris und
Berlin Rath suchte. Nach seiner Versicherung wurde sein Schwanken gehoben
durch das österreichische Rundschreiben vom 26., welches den fremden Höfen
die Rüstungen in Venetien anzeigte. "Jeder Verzug", so schreibt er, "konnte
jetzt verhängnißvoll werden; und deshalb schickte ich, ohne Jemand in und
außerhalb Italiens um Rath zu fragen, im Auftrage Sr. Maj,, während die
Ordre zur Mobilmachung gegeben wurde, am 27. Morgens das Rundschreiben
ab, welches ich den Lesern unterbreite, in der tiefsten Ueberzeugung,
daß ohne dieses Actenstück Alles vereitelt und daß unsere
Hoffnungen durch die vielen Anschläge des Grasen Bismarck
zu Rauch geworden wären."

Sollen wir es dem General glauben, daß es die österreichische Note vom
26. gewesen ist, welche ihm diesen rettenden Entschluß eingab, und daß er
dieselbe schon einen Tag früher, als sie erlassen our-K, nämlich am 25. Abends
im telegraphischen Auszuge von Berlin aus zugesandt erhielt? Oder sollte
Jemand so schnöde sein, noch an einen andern Beweggrund zu denken, von
dem Lamarmora doch kein Sterbenswörtchen sagt? Erwähnen müssen wir
die Sache doch, da sie der Minister gewiß nur aus Bescheidenheit verschweigt.
Am 26. April lehnte das Parlament mit 168 gegen 72 Stimmen ein Mi߬
trauensvotum gegen ihn ab, das die Linke beantragt, und dessen letztes
Motiv lautete: "In Anbetracht endlich, daß Angesichts der außerordentlichen
Kriegsvorbereitungen Oesterreichs das Ministerium noch zögert, den nationalen
Wünschen energischen Ausdruck zu geben und den Rüstungen Rüstungen ent¬
gegenzustellen." Die Linke war also mit dem Zaudern höchst unzufrieden,


sogleich mit Gegenrüstungen zu antworten; mußte er doch befürchten, daß
man ihm in Paris solch entschiedenes Vorgehen sehr verübeln werde. Meine
Meinung, so telegraphirte ihm Nigra am 24. April, sowie die des Herrn
Drouyn de Lhouys ist, daß wir nicht rüsten sollen! Es sei eine Falle, die
Oesterreich stelle; es wolle Italien zu Rüstungen provociren und es dann
nach einiger Zeit, wie eben jetzt Preußen, wieder zur Entwaffnung zwingen.
Man durchschaute also in Paris den österreichischen Plan ganz richtig, viel¬
leicht weniger in Folge besonderen Scharfsinns, als guter Informationen.
Nigra hatte die Glocken wenigstens von Weitem läuten hören. Aber für
Lamarmora war das zu fein. „Ich verhehle es nicht, so berichtet er uns noch
heute, daß mich dieses Telegramm schmerzlich betroffen hat." Glauben wir
ihm, wie er versichert, daß dieser Schmerz besonders darin seine Ursache hatte,
daß man ihm rieth, eine günstige Gelegenheit, den Krieg herbeizuführen, frei¬
willig zu verpassen, und nicht vielmehr in der Besorgnis?, einem österreichischen
Angriff ungerüstet preisgegeben zu werden. Thatsache ist es doch, daß er,
der am 23. April von den österreichischen Rüstungen Kenntniß erhielt, bis
zum 27. April keinen Entschluß fassen konnte, sondern ängstlich in Paris und
Berlin Rath suchte. Nach seiner Versicherung wurde sein Schwanken gehoben
durch das österreichische Rundschreiben vom 26., welches den fremden Höfen
die Rüstungen in Venetien anzeigte. „Jeder Verzug", so schreibt er, „konnte
jetzt verhängnißvoll werden; und deshalb schickte ich, ohne Jemand in und
außerhalb Italiens um Rath zu fragen, im Auftrage Sr. Maj,, während die
Ordre zur Mobilmachung gegeben wurde, am 27. Morgens das Rundschreiben
ab, welches ich den Lesern unterbreite, in der tiefsten Ueberzeugung,
daß ohne dieses Actenstück Alles vereitelt und daß unsere
Hoffnungen durch die vielen Anschläge des Grasen Bismarck
zu Rauch geworden wären."

Sollen wir es dem General glauben, daß es die österreichische Note vom
26. gewesen ist, welche ihm diesen rettenden Entschluß eingab, und daß er
dieselbe schon einen Tag früher, als sie erlassen our-K, nämlich am 25. Abends
im telegraphischen Auszuge von Berlin aus zugesandt erhielt? Oder sollte
Jemand so schnöde sein, noch an einen andern Beweggrund zu denken, von
dem Lamarmora doch kein Sterbenswörtchen sagt? Erwähnen müssen wir
die Sache doch, da sie der Minister gewiß nur aus Bescheidenheit verschweigt.
Am 26. April lehnte das Parlament mit 168 gegen 72 Stimmen ein Mi߬
trauensvotum gegen ihn ab, das die Linke beantragt, und dessen letztes
Motiv lautete: „In Anbetracht endlich, daß Angesichts der außerordentlichen
Kriegsvorbereitungen Oesterreichs das Ministerium noch zögert, den nationalen
Wünschen energischen Ausdruck zu geben und den Rüstungen Rüstungen ent¬
gegenzustellen." Die Linke war also mit dem Zaudern höchst unzufrieden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/428>, abgerufen am 28.08.2024.