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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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einander im Kampfe, und die Anhänger der einen wie der andern Staatsform
setzten Himmel und Erde in Bewegung, um ihr Ziel zu erreichen; und dazu
waren die Einen wie die Anderen vollkommen berechtigt. Der einzige Unter¬
schied war nur der, daß die Monarchisten ihr Geschäft besser verstanden und
größere Entschlossenheit zeigten, als die Republikaner. Letztere beschränkten
sich darauf, unausgesetzt Versammlungen zu halten, in denen niemals etwas
beschlossen, sondern immer nur die Hoffnungslosigkeit der royalistischen Be¬
strebungen behauptet, und constatirt wurde, daß die republikanische Idee
unausgesetzt im Volke Boden gewänne und daß die royalistische Verschwörung
von allen guten Bürgern verabscheut würde. Selbst der vor jeder Sitzung
der Permanenzeommission in den Fraetionsversammlungen gestellte Antrag,
an die Minister eine Anfrage wegen der royalistischen Verschwörung zu richten,
wurde stets verworfen, im Grunde nur deshalb, weil man eine unwillkom¬
mene, entmuthigende Antwort zu erhalten fürchtete, die zur unbedingten Unter¬
werfung oder zum ungesäumten Handeln genöthigt hätte. Aber zum Handeln
gehört eine bewaffnete Macht, und die stand seit der Niederwerfung der
Commune der Linken nicht zur Verfügung; sie befanden sich in der Hinsicht
genau in derselben Lage wie die Republikaner nach der Unterdrückung des
Juniaufstandes durch Cavaignac,

Während die Republikaner in ihren Fraetionsversammlungen unter ein¬
ander ihre täglichen Erfahrungen über die Stimmung des Landes austausch¬
ten, und in der Permanenzcommission sich durch Interpellationen über ver¬
hältnißmäßig gleichgültige Dinge lächerlich machten, gingen die Fusionisten
um so eifriger an die Arbeit. Schon gegen den 12. August war der "soir"
im Stande, einen Operationsplan der Partei zu veröffentlichen, der darauf
hinauslief, daß, sobald die Mehrheit gesichert und die Räumung des Gebiets
von den deutschen Truppen vollzogen wäre, die Nationalversammlung zusam¬
menberufen werde, der dann sofort folgende Anträge vorgelegt werden sollten.
1) Die Monarchie ist die gesetzmäßige Regierung Frankreichs; 2) eine Com¬
mission von 30 Mitgliedern wird ernannt, um eine Verfassung zu entwerfen;
3) die Nationalversammlung vertagt sich auf 2 Monate, um der Commission
die zur Vollendung nöthige Zeit zu lassen; 4) Mac Mahon wird inzwischen
als Generalstatthalter des Königreichs fortfahren, die ihm gegenwärtig über¬
tragene Macht auszuüben. Die Commission würde sofort ans Werk gehen,
und dann würde der Graf von Chambord, der sich aus diese Weise bedingungs¬
los nur durch die Thatsache der Wiederherstellung der Monarchie berufen
sähe, freiwillig die Zugeständnisse machen, die er bisher verweigert; er würde
der Armee erklären, daß sie die Tricolore behalten solle, und daß er die kon¬
stitutionelle Monarchie mit allen ihren Bürgschaften zu gründen beabsichtige.

In der That waren dies die Grundlagen des Planes, der zwar im Ein-


einander im Kampfe, und die Anhänger der einen wie der andern Staatsform
setzten Himmel und Erde in Bewegung, um ihr Ziel zu erreichen; und dazu
waren die Einen wie die Anderen vollkommen berechtigt. Der einzige Unter¬
schied war nur der, daß die Monarchisten ihr Geschäft besser verstanden und
größere Entschlossenheit zeigten, als die Republikaner. Letztere beschränkten
sich darauf, unausgesetzt Versammlungen zu halten, in denen niemals etwas
beschlossen, sondern immer nur die Hoffnungslosigkeit der royalistischen Be¬
strebungen behauptet, und constatirt wurde, daß die republikanische Idee
unausgesetzt im Volke Boden gewänne und daß die royalistische Verschwörung
von allen guten Bürgern verabscheut würde. Selbst der vor jeder Sitzung
der Permanenzeommission in den Fraetionsversammlungen gestellte Antrag,
an die Minister eine Anfrage wegen der royalistischen Verschwörung zu richten,
wurde stets verworfen, im Grunde nur deshalb, weil man eine unwillkom¬
mene, entmuthigende Antwort zu erhalten fürchtete, die zur unbedingten Unter¬
werfung oder zum ungesäumten Handeln genöthigt hätte. Aber zum Handeln
gehört eine bewaffnete Macht, und die stand seit der Niederwerfung der
Commune der Linken nicht zur Verfügung; sie befanden sich in der Hinsicht
genau in derselben Lage wie die Republikaner nach der Unterdrückung des
Juniaufstandes durch Cavaignac,

Während die Republikaner in ihren Fraetionsversammlungen unter ein¬
ander ihre täglichen Erfahrungen über die Stimmung des Landes austausch¬
ten, und in der Permanenzcommission sich durch Interpellationen über ver¬
hältnißmäßig gleichgültige Dinge lächerlich machten, gingen die Fusionisten
um so eifriger an die Arbeit. Schon gegen den 12. August war der „soir"
im Stande, einen Operationsplan der Partei zu veröffentlichen, der darauf
hinauslief, daß, sobald die Mehrheit gesichert und die Räumung des Gebiets
von den deutschen Truppen vollzogen wäre, die Nationalversammlung zusam¬
menberufen werde, der dann sofort folgende Anträge vorgelegt werden sollten.
1) Die Monarchie ist die gesetzmäßige Regierung Frankreichs; 2) eine Com¬
mission von 30 Mitgliedern wird ernannt, um eine Verfassung zu entwerfen;
3) die Nationalversammlung vertagt sich auf 2 Monate, um der Commission
die zur Vollendung nöthige Zeit zu lassen; 4) Mac Mahon wird inzwischen
als Generalstatthalter des Königreichs fortfahren, die ihm gegenwärtig über¬
tragene Macht auszuüben. Die Commission würde sofort ans Werk gehen,
und dann würde der Graf von Chambord, der sich aus diese Weise bedingungs¬
los nur durch die Thatsache der Wiederherstellung der Monarchie berufen
sähe, freiwillig die Zugeständnisse machen, die er bisher verweigert; er würde
der Armee erklären, daß sie die Tricolore behalten solle, und daß er die kon¬
stitutionelle Monarchie mit allen ihren Bürgschaften zu gründen beabsichtige.

In der That waren dies die Grundlagen des Planes, der zwar im Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/414>, abgerufen am 29.08.2024.