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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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der, wie sich bald genug herausstellte, gegen jedes klare und unzweideutige
Zugeständniß eine unüberwindliche Abneigung hatte. Sodann aber drängte
sich, je näher man der Ausführung trat, die Frage auf, über die man Anfangs
leicht hinweggegangen war, ob in der That die Fusionisten mit Sicherheit
auf eine Mehrheit in der Nationalversammlung würden rechnen können.
Selbstverständlich mußte man die Bonapartisten von vorn herein in Abzug
bringen und den Gegnern zuzählen. Ohne die bonapartistischen Stimmen
bildeten aber Rechte und rechtes Centrum nicht mehr die Majorität. Man
mußte sich also einer ausreichenden Anzahl von Stimmen unter den keiner
Fraction angehangen Mitgliedern der Versammlung versichern und wo möglich
die konservative Gruppe des linken Centrums zu gewinnen suchen, um mit
Zuversicht der entscheidenden Abstimmung entgegenzusehen. Natürlich wurden
diese schwankenden Gruppen von den Republikanern mit gleichem Eifer be¬
arbeitet. Welche der beiden Parteien in ihren Bemühungen erfolgreich war,
blieb lange zweifelhaft, da die Umworbenen unaufhörlich von Rechts nach
Links schwankten, jeder bestimmten Antwort auswichen, und ihre Entscheidung
von den Umständen abhängig machten. Mit ermüdender Einförmigkeit brachten
täglich die Zeitungen der beiden Parteien Berechnungen des Stimmenverhält'
nisses, um nachzuweisen, daß sie über die Mehrheit verfügten. Aber bei dem
Schwanken der mittleren Gruppe war diesen Berechnungen gar kein Gewicht
beizumessen. Was heute richtig war, das war vielleicht morgen falsch. Das
Eine war klar, daß die Schwankenden sich der stärkeren Sache anschließen
würden, der Sache, welche die besten Aussichten auf Erfolg hätte. So lange
die Waage unsicher zwischen den Parteien schwankte, schwankten auch die
Elemente, deren Bedeutung darin lag, daß sie zur Bildung einer Majorität
nothwendig waren.

Was die erwähnten Mitglieder, die im Grunde ihres Herzens nichts
sehnlicher wünschten, als die Herstellung der Monarchie, vor Allem von einem
offenen Anschluß an die Fusionisten abhielt, war aber eben wieder der Un¬
glaube an den Erfolg der mit dem Grafen von Chambord einzuleitenden
Verhandlungen. Von dem Verlauf dieser Verhandlungen, das mußte jeder
unbefangene Beobachter einsehen, war das Schicksal des Plans abhängig. Die
Republikaner mochten täglich die Unmöglichkeit einer Wiederherstellung des
Königthums beweisen: sie wußten selbst sehr wohl, daß. wenn die Einigung
der Royalisten mit dem Roy zu Stande kam, die parlamentarische Mehrheit
dem Vertrag zustimmen würde; und damit war die Wiederherstellung gesichert.

Die Royalisten boten denn auch alle Anstrengungen auf. mit Chambord
rasch aufs reine zu kommen. Bet ihren Verhandlungen gingen sie mit so
großer Offenheit zu Werke, daß die Republikaner keineswegs berechtigt waren,
sie als Verschwörer zu denunciren. Monarchie und Republik lagen mit


der, wie sich bald genug herausstellte, gegen jedes klare und unzweideutige
Zugeständniß eine unüberwindliche Abneigung hatte. Sodann aber drängte
sich, je näher man der Ausführung trat, die Frage auf, über die man Anfangs
leicht hinweggegangen war, ob in der That die Fusionisten mit Sicherheit
auf eine Mehrheit in der Nationalversammlung würden rechnen können.
Selbstverständlich mußte man die Bonapartisten von vorn herein in Abzug
bringen und den Gegnern zuzählen. Ohne die bonapartistischen Stimmen
bildeten aber Rechte und rechtes Centrum nicht mehr die Majorität. Man
mußte sich also einer ausreichenden Anzahl von Stimmen unter den keiner
Fraction angehangen Mitgliedern der Versammlung versichern und wo möglich
die konservative Gruppe des linken Centrums zu gewinnen suchen, um mit
Zuversicht der entscheidenden Abstimmung entgegenzusehen. Natürlich wurden
diese schwankenden Gruppen von den Republikanern mit gleichem Eifer be¬
arbeitet. Welche der beiden Parteien in ihren Bemühungen erfolgreich war,
blieb lange zweifelhaft, da die Umworbenen unaufhörlich von Rechts nach
Links schwankten, jeder bestimmten Antwort auswichen, und ihre Entscheidung
von den Umständen abhängig machten. Mit ermüdender Einförmigkeit brachten
täglich die Zeitungen der beiden Parteien Berechnungen des Stimmenverhält'
nisses, um nachzuweisen, daß sie über die Mehrheit verfügten. Aber bei dem
Schwanken der mittleren Gruppe war diesen Berechnungen gar kein Gewicht
beizumessen. Was heute richtig war, das war vielleicht morgen falsch. Das
Eine war klar, daß die Schwankenden sich der stärkeren Sache anschließen
würden, der Sache, welche die besten Aussichten auf Erfolg hätte. So lange
die Waage unsicher zwischen den Parteien schwankte, schwankten auch die
Elemente, deren Bedeutung darin lag, daß sie zur Bildung einer Majorität
nothwendig waren.

Was die erwähnten Mitglieder, die im Grunde ihres Herzens nichts
sehnlicher wünschten, als die Herstellung der Monarchie, vor Allem von einem
offenen Anschluß an die Fusionisten abhielt, war aber eben wieder der Un¬
glaube an den Erfolg der mit dem Grafen von Chambord einzuleitenden
Verhandlungen. Von dem Verlauf dieser Verhandlungen, das mußte jeder
unbefangene Beobachter einsehen, war das Schicksal des Plans abhängig. Die
Republikaner mochten täglich die Unmöglichkeit einer Wiederherstellung des
Königthums beweisen: sie wußten selbst sehr wohl, daß. wenn die Einigung
der Royalisten mit dem Roy zu Stande kam, die parlamentarische Mehrheit
dem Vertrag zustimmen würde; und damit war die Wiederherstellung gesichert.

Die Royalisten boten denn auch alle Anstrengungen auf. mit Chambord
rasch aufs reine zu kommen. Bet ihren Verhandlungen gingen sie mit so
großer Offenheit zu Werke, daß die Republikaner keineswegs berechtigt waren,
sie als Verschwörer zu denunciren. Monarchie und Republik lagen mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/413>, abgerufen am 29.08.2024.