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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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war. Diese vorbereitende Thätigkeit, von deren günstigem Verlauf die Wie-
derherstellung des Königthums bedingt war, mußte während der Parlaments¬
ferien, d. h. bis Anfang November zu Ende geführt werden, so daß man
also nicht viel Zeit zu verlieren hatte und rasch ans Werk gehen mußte.

Bon großer Bedeutung für den Erfolg der Fusionsbewegung war natür¬
lich die Haltung der Regierung: nicht als ob es einer unmittelbar thätigen
Theilnahme derselben an den Verhandlungen bedurft hätte, wohl aber mußten
die Fusionisten darauf rechnen können, böß die Regierung nicht beabsichtige,
ihre Schritte zu durchkreuzen; vor Allem aber mußten sie die Gewißheit haben,
daß sie bereit sein werde, jeden Beschluß der Nationalversammlung zur Aus¬
führung zu bringen. Dies war ein Punkt von entscheidender Wichtigkeit.
Hätte an der Spitze des Staats ein republikanisch gesinnter Präsident gestan¬
den, so wäre das Unternehmen fast hoffnungslos gewesen, da es einem solchen
keine Mühe gemacht haben würde, die Gegenbewegung kräftig zu organisiren,
ihr die Machtmittel des Staates zur Verfügung zu stellen und schließlich selbst
einem Beschlusse der Versammlung Widerstand entgegenzusetzen. Das Dasein
einer monarchisch gesinnten Regierung war die Vorbedingung für die Wieder¬
herstellung der Monarchie auf parlamentarischem Wege. So lange daher
Thiers am Ruder gewesen war, hatten die Anhänger des bourbontschen König¬
thums auf jeden ernstlichen Wiederherstellungsversuch verzichten müssen. Erst
nach der Beseitigung des zähen alten Staatsmanns konnte man mit einiger
Aussicht auf Erfolg ans Werk gehen, weil man jetzt in der Regierung ein
bereitwilliges Werkzeug für die Ausführung eines auf die Berufung des Grafen
von Chambord zielenden Beschlusses der Nationalversammlung hatte. Auch
schon vor dem 24. Mai hatte man wiederholt mit Fusionsentwürfen sich be¬
schäftigt ; sie waren gescheitert nicht nur an der Sprödigkeit der zu verschmelzen¬
den Stoffe, sondern vor Allem daran, daß auch ein erfolgreicher Versöhnungs¬
versuch der Familien und selbst der Parteien politisch ergebnißlos bleiben
mußte, so lange die Durchführbarkeit der Restauration in Frage stand. Als
die Royalisten die Macht an sich gerissen hatten, wurden auch die spröden
Elemente weicher und geschmeidiger; die Neigung zu gegenseitigen Zugeständ¬
nissen nahm zu, seit man wußte, daß eine Verschmelzung der Parteien mehr
als ein principielles und theoretisches Interesse bot, daß sie die Verwirklichung
des beiden Parteien theuersten Planes zu unmittelbarer und, wie es schien,
nothwendiger Folge haben mußte.

Ueber die Ansichten und Absichten des schweigsamen und zurückhaltender
Staatsoberhaupts selbst waren freilich zunächst auch die Führer der Bewegung
im Unklaren. Aber Mac Mahon war in den Augen der Royalisten nur ein
Strohmann. Für die Seele der Regierung galt der Herzog von Broglie, und
dessen war man sicher; er war -- später stellte sich das vollkommen klar


war. Diese vorbereitende Thätigkeit, von deren günstigem Verlauf die Wie-
derherstellung des Königthums bedingt war, mußte während der Parlaments¬
ferien, d. h. bis Anfang November zu Ende geführt werden, so daß man
also nicht viel Zeit zu verlieren hatte und rasch ans Werk gehen mußte.

Bon großer Bedeutung für den Erfolg der Fusionsbewegung war natür¬
lich die Haltung der Regierung: nicht als ob es einer unmittelbar thätigen
Theilnahme derselben an den Verhandlungen bedurft hätte, wohl aber mußten
die Fusionisten darauf rechnen können, böß die Regierung nicht beabsichtige,
ihre Schritte zu durchkreuzen; vor Allem aber mußten sie die Gewißheit haben,
daß sie bereit sein werde, jeden Beschluß der Nationalversammlung zur Aus¬
führung zu bringen. Dies war ein Punkt von entscheidender Wichtigkeit.
Hätte an der Spitze des Staats ein republikanisch gesinnter Präsident gestan¬
den, so wäre das Unternehmen fast hoffnungslos gewesen, da es einem solchen
keine Mühe gemacht haben würde, die Gegenbewegung kräftig zu organisiren,
ihr die Machtmittel des Staates zur Verfügung zu stellen und schließlich selbst
einem Beschlusse der Versammlung Widerstand entgegenzusetzen. Das Dasein
einer monarchisch gesinnten Regierung war die Vorbedingung für die Wieder¬
herstellung der Monarchie auf parlamentarischem Wege. So lange daher
Thiers am Ruder gewesen war, hatten die Anhänger des bourbontschen König¬
thums auf jeden ernstlichen Wiederherstellungsversuch verzichten müssen. Erst
nach der Beseitigung des zähen alten Staatsmanns konnte man mit einiger
Aussicht auf Erfolg ans Werk gehen, weil man jetzt in der Regierung ein
bereitwilliges Werkzeug für die Ausführung eines auf die Berufung des Grafen
von Chambord zielenden Beschlusses der Nationalversammlung hatte. Auch
schon vor dem 24. Mai hatte man wiederholt mit Fusionsentwürfen sich be¬
schäftigt ; sie waren gescheitert nicht nur an der Sprödigkeit der zu verschmelzen¬
den Stoffe, sondern vor Allem daran, daß auch ein erfolgreicher Versöhnungs¬
versuch der Familien und selbst der Parteien politisch ergebnißlos bleiben
mußte, so lange die Durchführbarkeit der Restauration in Frage stand. Als
die Royalisten die Macht an sich gerissen hatten, wurden auch die spröden
Elemente weicher und geschmeidiger; die Neigung zu gegenseitigen Zugeständ¬
nissen nahm zu, seit man wußte, daß eine Verschmelzung der Parteien mehr
als ein principielles und theoretisches Interesse bot, daß sie die Verwirklichung
des beiden Parteien theuersten Planes zu unmittelbarer und, wie es schien,
nothwendiger Folge haben mußte.

Ueber die Ansichten und Absichten des schweigsamen und zurückhaltender
Staatsoberhaupts selbst waren freilich zunächst auch die Führer der Bewegung
im Unklaren. Aber Mac Mahon war in den Augen der Royalisten nur ein
Strohmann. Für die Seele der Regierung galt der Herzog von Broglie, und
dessen war man sicher; er war — später stellte sich das vollkommen klar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/411>, abgerufen am 30.08.2024.